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Jürgen Todenhöfer und Baschar al-Assad

Schelmenstück im Ersten

Kommentar

Baschar al-Assad bot viele Angriffsflächen, doch Interviewer Jürgen Todenhöfer hat sie allesamt ignoriert. Das ist bestenfalls naiv, im schlimmsten Fall anbiedernd, findet Imad Mustafa.

Wie realistisch erscheint es, inmitten eines Bürgerkrieges mit internationalen Implikationen, den Präsidenten der angegriffenen Regierung zu interviewen und belastbare Aussagen zu erwarten? Wie wahrscheinlich ist es, sich hier nicht zum Vehikel einer Staatspropaganda zu machen, die sich als Opfer einer internationalen Verschwörung inszeniert?

 

Welchen Wert hat ein Interview, in dem sich der Befragte nahezu unwidersprochen als Reformer darstellen kann, als Politiker, der dem Wandel offen gegenübersteht, als dialogbereiter Präsident, der Recht und Gesetz achtet, während ganze Dörfer und Städte in Schutt und Asche gebombt werden? Das Interview hat dem syrischen Präsidenten eine Plattform geboten, in dem er das wiederholen konnte, was er seit über einem Jahr sagt: Terroristen, kriminelle Gangs, Drogenschmuggler und Jihadisten der al-Qaida griffen seine Sicherheitsleute an. Und natürlich müsse der Staat darauf reagieren. Ein Narr, der etwas anderes erwartet hatte.

 

Und doch: Diese und andere Aussagen boten viele Angriffsflächen, die vom Interviewer, Jürgen Todenhöfer, allesamt ignoriert wurden.

 

Todenhöfer widerspricht nicht, hakt nicht nach

 

Denn wenn es stimmt, dass die syrische Staatsmacht von »kriminellen Gangs« und »Drogenschmugglern« herausgefordert werde, und dies zu einem Bürgerkrieg mit zehntausenden Toten führt, von denen »der (weitaus) größte Anteil von Banden getötet wurde« und die Mehrheit der Opfer zudem unter den Angehörigen des Sicherheitsapparates zu finden seien, was sagt das dann über den Zustand des syrischen Staats aus? Ist Syrien angesichts »dutzender« Jihadisten und anderer »Banden« etwa ein »failed state«?

 

Es wäre ein leichtes gewesen, den Präsidenten auf die Bombardierungen syrischer Städte durch die Regierungsarmee aufmerksam zu machen. Ein anderes Mal ergriff Präsident al-Assad die Möglichkeit, die ihm hier geboten wurde, um sich als Präsident der Mehrheit zu positionieren, die ihn längst aus dem Amt gejagt hätte, wäre sie seiner überdrüssig: »Wenn ich nicht die Unterstützung durch die Öffentlichkeit hätte, wie könnte ich dann in diesem Amt verbleiben?

 

Die Vereinigten Staaten sind gegen mich, der Westen ist gegen mich, zahlreiche regionale Mächte und Länder sind gegen mich, wenn dann auch noch das Volk gegen mich wäre, wie könnte ich mich dann in meiner Stellung halten?« Warum konfrontiert Jürgen Todenhöfer den Befragten nicht mit der Absurdität solcher und anderer Aussagen?  Aber er hakt nicht nach, er drängt den Präsidenten nicht in die Ecke.

 

Weder, als es um dessen Legitimität, noch um die vielen Toten geht. Auch beim Thema Annan-Plan, der maßgeblich durch die Weigerung der syrischen Regierung scheiterte, Panzer und Artillerie aus den Städten zurückzuziehen, widerspricht Todenhöfer al-Assad nicht, als dieser »viele Länder« dafür verantwortlich macht, die ihre eigene Agenda verfolgten.

 

Nicht mehr als Geplänkel zwischen zwei Boxern, die sich nicht weh tun möchten

 

Heikle Themen, wie die mittlerweile belegten Folterknäste, die Desertionen und die Zerstörung von Homs, spricht er gar nicht erst an, obwohl er doch laut eigener Aussage dort war und die »friedlichen Demonstrationen« begleitet hat. 2011 hatte er sich zu einem Gespräch mit al-Assad getroffen, Damaskus und andere Orte Syriens besucht und im Anschluss daran wusste er von einer Normalität zu berichten, die angesichts von tausenden Toten und zehntausenden Verletzten und Verschleppten wohl nur er so empfinden konnte. Was hier zum Ausdruck kommt, ist im besten Fall als naiv zu bezeichnen, im schlimmsten Fall als falsche Rücksichtnahme und Anbiederung an die Macht.

 

Jürgen Todenhöfer fehlte der Wille, ein kraftvolles Interview zu führen, das mehr ist, als bloßes Geplänkel zwischen zwei Boxern, die sich nicht weh tun möchten. Mehr noch, bietet seine wachsweiche Haltung seinem Gegenüber eine Steilvorlage, die dieser gerne annimmt. Er hat damit die vielleicht einmalige Chance verpasst, Präsident Baschar al-Assad und dessen Regime bloßzustellen. Gewollt oder ungewollt macht er sich so zu dessen Komplizen.


Imad Mustafa, 30,

ist gebürtiger Schwabe mit palästinensischem Migrationshintergrund. Er studierte Politik- und Islamwissenschaft an der Universität Heidelberg und der Universität Frankfurt, ein Jahr davon in Damaskus. Er schreibt u.a. für den Blog migrantenstadl.

Von: 
Imad Mustafa

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