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Israel und mögliche Allianzen mit den Golfstaaten

Vom Feind zum potentiellen Partner

Analyse

Lange war eine Allianz dieser Länder undenkbar. Doch die wachsende Unordnung im Nahen Osten und geteilte Bedrohungsszenarien haben die Perspektive Israels und der Golfstaaten aufeinander verändert.

Im Oktober 2013 trugen Katar und Dubai die Turniere der jährlichen FINA-Weltmeisterschaften im Schwimmen aus. Die Silbermedaille im 100-Meter-Medley der Frauen gewann Amit Ivry, Israels erfolgreichste Schwimmerin. Auf den Anzeigetafeln der katarischen Veranstalter war jedoch nicht die israelische Fahne mit den Davidstern zwischen zwei hellblauen Streifen zu sehen, sondern lediglich blankes Weiß.

 

Wie zuvor in Katar wurde das israelische Team zunächst auch in Dubai ohne Fahne und nur mit der Landesabkürzung »ISR« dargestellt. Erst nach einer Intervention der Trägerorganisation FINA erschienen die Sportler aus Israel am letzten Turniertag schließlich mit Fahne und ausgeschriebenem Landesnamen erkennbar als israelisches Team. Die Geheimniskrämerei über die Herkunft der israelischen Sportler sagt viel über die Beziehungen zwischen Israel und den Monarchien am persischen Golf aus: Sie existieren, auch wenn die Herrscher am Golf versuchen, ihren Bürgern diese Tatsache zu verschleiern.

 

Die USA leiten erste Schritte der Annäherung in die Wege

 

Mit manchen der Golfstaaten wurden die Weichen für erste Kontakte bereits vor über zwanzig Jahren gestellt. Der Zweite Golfkrieg 1991 und der zwei Jahre später losgetretene Oslo-Prozess zwischen der Regierung Jitzhak Rabins und Jassir Arafats PLO machten erste Schritte der  Annäherung möglich. In dieser frühen Phase war die Rolle der USA entscheidend. Der Krieg gegen Saddam Husseins Irak lieferte den USA einen Prestigegewinn unter den Golfstaaten.

 

Durch ihre Intervention nach dem irakischen Einmarsch in Kuwait demonstrierten die USA den Golfstaaten, nicht nur eine formelle Schutzmacht zu sein, sondern die Sicherheit ihrer Partner am Golf notfalls auch militärisch zu verteidigen. Dieses politische Kapital versuchten die USA auch in einen diplomatischen Erfolg umzumünzen. Kurz nach Ende des Irak-Kriegs organisierten amerikanische Diplomaten die erste Konferenz, die zu einer Verhandlungslösung des Nahostkonfliktes führen sollte.

 

Auf der Madrid-Konferenz Ende 1991 saßen Vertreter Israels, der PLO, Jordaniens, Syriens, des Libanons und der Golfstaaten am Verhandlungstisch. Die USA erwarteten von den Golfstaaten, den Friedensprozess zu unterstützen – auch wenn Israel zu diesem Zeitpunkt aus der Perspektive der Golfherrscher offiziell noch ein feindlicher Staat war. Amerikanische Diplomaten setzten darauf, das durch den Krieg gegen Saddam Hussein gewonnene Prestige auch für eine graduelle Annäherung zwischen ihren wichtigsten Partnern in der Region einsetzen zu können: Den Golfstaaten und Israel.

 

Die Zeichen dafür standen gut. PLO-Chef Arafat war bei den Golfstaaten ohnehin in Ungnade gefallen, nachdem er sich im Zweiten Golf-Krieg auf die Seite Saddam Husseins gestellt hatte. Nachdem die ersten Verhandlungen schließlich 1993 in den Osloer Friedensprozess mündeten, änderte sich am Golf die Perspektive auf Israel. Die Aussicht auf die baldige Schaffung eines palästinensischen Staates nahm den Monarchen einen Teil des gesellschaftlichen Drucks, sich gegen Israel positionieren zu müssen. Über graduelle Schritte zur Normalisierung der Beziehungen mit Israel nachzudenken, war nun kein Tabu mehr.

 

Israelische Büros in Katar und im Oman

 

Über eine politische Normalisierung der Beziehungen oder gar einen Friedensvertrag – wie ihn Jordanien 1994 mit Israel abschloss – war am Golf freilich noch nicht zu denken. Die ersten Schritte der Annäherung waren ökonomischer Art. 1993 hob der Golfkooperationsrat (GCC) sein Boykott gegen Firmen auf, die mit Israel Geschäfte machten. Der direkte Boykott israelischer Firmen seitens der Golfstaaten blieb zwar bestehen, doch nunmehr war es möglich, über Drittfirmen Geschäfte zu abzuwickeln.

 

Die israelische Handelskammer unterstützte daraufhin aktiv wirtschaftliche Aktivitäten von israelischen Firmen am Golf. In den frühen 1990er Jahren erschien sogar ein Leitfaden auf Hebräisch zu dem Thema »Wirtschaftliche Unternehmungen in den Golfstaaten«. Kurz darauf erfolgte der erste offizielle Staatsbesuch, als der damalige Premier Jitzhak Rabin 1994 im Oman mit Sultan Qabus bin Said Al Said zusammentraf. Der israelische Premier soll politische Themen auf dem Staatsbesuch bewusst ausgespart haben.

 

Stattdessen wurde über die Wasserversorgung gesprochen – ein Thema von zentraler Bedeutung in den Wüstenstaaten des Persischen Golfes und ein Bereich, in dem Israel für seine Expertise bekannt ist.  1996 wurde ein weiteres Tabu gebrochen, als Israel in den Hauptstädten Katars und des Omans inoffizielle diplomatische Vertretungen eröffnete. Die israelischen Auslandsbüros in Maskat und Doha hatten zwar keine Fahnen angebracht und waren nur von einem kleinen Diplomatenteam von jeweils drei Leuten besetzt, doch sie erfüllten die wesentlichen Funktionen einer Botschaft.

 

Diese Form der semi-offiziellen Präsenz Israels am Golf währte jedoch nicht lange. Mit dem Ausbruch der Zweiten Intifada im Jahre 2000 forderte Oman Israel auf, seine Vertretung zu schließen, Katar zog im Jahre 2005 nach. Ein Ende der Kontakte bedeutete dies allerdings nicht. Israelischen Diplomaten und Geheimdienstlern wurde angeboten, vor Ort zu bleiben – solange sie sich nicht als Israelis zu erkennen geben.

 

Diese informellen Kontakte auf geheimdienstlicher Ebene bestehen bis heute. Der auf die Beziehungen zwischen Israel und den Golfstaaten spezialisierte israelische Journalist Raphael Ahren schrieb 2013 in der Times of Israel: »Es ist davon auszugehen, dass Israel mit den meisten der sechs GCC-Staaten geheime Kontakte unterhält, wenn nicht mit allen.« Vieles deutet darauf hin, dass sich diese Kontakte in der jüngsten Vergangenheit vertieft haben.

 

Bei einem Treffen zwischen führenden amerikanischen und israelischen Militärs im März 2014 in Jerusalem sprach der amerikanische Generalstabschef Martin Dempsey öffentlich von der Annäherung zweier Partner, »die in der Vergangenheit nicht gewillt waren, Partner zu sein«.

 

Der Botschafter der Vereinigten Arabischen Emirate in den USA, Yousef al-Otaiba, bestätigte diesen Trend – wenn auch ohne Israel dabei explizit beim Namen zu nennen: »Die USA und ihre Alliierten in der Region können ohne einander weder eine Lösung in Syrien erreichen, noch Ägypten stabilisieren, noch die iranische Bedrohung aufhalten. An einer engeren Zusammenarbeit führt schlichtweg kein Weg vorbei.« Auch wenn die Herrscherhäuser am Golf sich davor scheuen, die Kontakte mit Israel offenzulegen: In Sicherheitskreisen wird Israel mittlerweile nicht mehr als feindlicher Staat betrachtet, sondern eher als potentieller Verbündeter.

 

Geteilte Furcht vor dem Iran 

 

In den meisten wichtigen strategischen Fragen der Region besteht ein bemerkenswertes Maß an Übereinstimmung zwischen Israel und den Golfstaaten – vor allem die Angst vor einer Hegemonialstellung des Irans und dessen klandestinem Atomprogramm. »ISIS zu besiegen und gleichzeitig zuzulassen, dass der Iran zu einer Atommacht wird, bedeutet eine Schlacht zu gewinnen und den Krieg zu verlieren«, sagte Israels Premier Netanjahu in seiner jüngsten Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen – und machte damit einmal mehr deutlich, wo seine israelische Regierung die größte Bedrohung für die Sicherheit des Landes sieht.

 

Die Königshäuser am Golf fürchten in einer iranischen Hegemonialstellung in der Region vor allem eine Destabilisierung der eigenen Länder. In der Lesart der Monarchen versucht der Iran Proteste der schiitischen Bevölkerung am Golf aktiv zu schüren, um die Stabilität der Golfstaaten zu erschüttern. In der ölreichen Ostprovinz Saudi-Arabiens ist die Mehrheit der Bevölkerung schiitisch, in Kuwait sind es rund 40 Prozent der Gesamtbevölkerung, in Bahrain fast zwei Drittel.

 

Im Zuge der arabischen Aufstände forderten im Februar 2011 schiitische Parteien in Bahrain die Schaffung einer »bahrainischen Republik« – und stellten damit den Machtanspruch des Königshauses direkt in Frage. Nach wiederholten tödlichen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten reagierte die Königsfamilie der Al Khalifa letztlich damit, einen Hilfegesuch an die GCC-Staaten zu senden. Daraufhin marschierten 2.000 Soldaten aus Saudi-Arabien und den VAE in Bahrain ein. Der König rief den Ausnahmezustand aus, im Anschluss daran verhaftete der Sicherheitsapparat über 1.000 an den Demonstrationen beteiligte Oppositionelle – die meisten von ihnen Mitglieder der schiitischen Parteien.

 

Die Furcht vor einer Destabilisierung des Königreichs durch schiitische Proteste treibt die Herrscher in Riad nach wie vor um

 

Aus Solidarität mit den Protesten der Schiiten in Bahrain gingen auch im Osten Saudi-Arabiens schiitische Demonstranten auf die Straße. Demonstrationen jeglicher Art sind im Königreich verboten, so löste die Polizei auch dort die Proteste gewaltsam auf, insgesamt 24 Menschen kamen dabei ums Leben. Die Furcht vor einer Destabilisierung des Königreichs durch schiitische Proteste treibt die  saudischen Monarchen jedoch nach wie vor um.

 

Jüngster Beweis dessen ist das Todesurteil gegen den schiitischen Geistlichen Nimr Al-Nimr Mitte Oktober, der bei den Protesten im Frühjahr 2011 eine aktive Rolle gespielt hatte. Amnesty International nannte das Urteil »rein politisch«, die saudische Presseagentur SPA sprach hingegen von »einer Abschreckung für andere Unruhestifter«. In der Anklage wurde Nimr neben dem »Skandieren von staatsfeindlichen Parolen« und »Ungehorsam gegenüber den Machthabern« auch vorgeworfen, »ausländische Einmischung« herbeiführen zu wollen – eine Andeutung auf die mutmaßliche iranische Rolle in den Protesten.

 

Mehr als vor dem Aufbegehren der schiitischen Bevölkerung alleine fürchten sich die Herrscher am Golf vor einer Kettenreaktion der Proteste. Zeitgleich zu den Protesten von Schiiten im Osten des Landes gingen im Frühjahr 2011 in Riad auch sunnitische Demonstranten auf die Straße, wenn auch in kleineren Zahlen. Der zum Tode verurteilte schiitische Kleriker Nimr Al-Nimr forderte »die Freilassung aller politischer Gefangener, ganz gleich ob Sunniten oder Schiiten«.

 

In dieser Forderung liegt Sprengstoff für das Königshaus. Unzufriedenheit mit der Regierung ist mittlerweile auch in weiten Teilen der sunnitischen Gesellschaft verbreitet. Ein Teil dieser Frustration kanalisiert sich in Unterstützung für die Ableger der Muslimbruderschaft am Golf. Mit dem Wahlsieg Muhammad Mursis in Ägypten im Sommer 2012 erfuhr die islamistische Bewegung in der gesamten Region ungeahnten Auftrieb.

 

Die Herrscher am Golf nahmen den Aufstieg gewählter Islamisten von Anfang an als innenpolitische Bedrohung war, da dieser ihren absoluten Machtanspruch in Frage stellte. Als das ägyptische Militär im Sommer 2013 die Regierung der Muslimbrüder in Ägypten stürzte, machte sich in Abu Dhabi und Riad Erleichterung breit. Auch in israelischen Sicherheitskreisen wurde die Machtübernahme des Militärs mit Erleichterung aufgenommen.

 

Sie bedeutete ein Ende der außenpolitischen Neuorientierung, an der sich Mursi versuchte, und eine Rückkehr zur engen sicherheitspolitischen Kooperation der Mubarak-Ära. Diese Rückkehr zu alten Verhältnissen spiegelte sich in aller Deutlichkeit während des Krieges zwischen Israel und der Hamas im Sommer 2014 wieder. Die Regierung von Präsident Abdelfattah Al-Sisi, die die Waffenstillstandsverhandlungen leitete, nahm kaum eine der  Forderungen der Hamas auf – und trug damit wesentlich zur Isolation der Islamisten bei.

 

Im Gegensatz dazu hatte die Mursi-Regierung während der vorherigen Eskalation zwischen den beiden Konfliktparteien im November 2012 noch Premier Hisham Qandil zu einem Solidaritätsbesuch in den Gaza-Streifen entsandt.

 

Geteiltes Unbehagen über die amerikanische Politik in der Region

 

Die Übereinstimmungen zwischen Israel und den Golfstaaten hinsichtlich Iran und Ägypten werden von einer weiteren Sorge begleitet: einer wachsenden Skepsis gegenüber der Rolle der USA in der Region. In Israel wie am Golf wird die diplomatische Initiative der Obama-Administration gegenüber dem Iran als strategischer Fehler und Ausdruck von Schwäche verstanden. Auch der Rückzug der amerikanischen Unterstützung für Ägyptens Ex-Diktator Hosni Mubarak während der Massenproteste im Februar 2011 wurde am Golf mit Unbehagen wahrgenommen.

 

In den Augen der Monarchen versagten die USA einem ihrer wichtigsten Alliierten die Unterstützung. Die Bedeutung Israels steigt in der Perspektive der Golfstaaten nicht nur wegen diesen Übereinstimmungen in zentralen strategischen Fragen, sondern auch wegen dem als gewichtig eingeschätzten Einfluss Israels auf die außenpolitischen Entscheidungen der USA in der Region. »Die Golf-Araber glauben, wir hätten einen magischen Draht zu den USA«, sagt Yakov Hadas-Handelsman, Israels gegenwärtiger Botschafter in Deutschland.

 

Auch wenn die Vereinigten Staaten vor über 20 Jahren die Weichen für erste Kontakte zwischen Israel und den Golfstaaten stellten – heute ist es vielmehr die Skepsis gegenüber der amerikanischen Politik in der Region, die zu einer wichtigen Triebkraft der Annäherung zwischen Israel und den Golfstaaten geworden ist. »Es gibt eine wachsende Übereinstimmung zwischen den beiden – in Opposition, zu dem, was wir in der Region machen« zitiert die New York Times anonym einen Beamten des amerikanischen Außenministeriums. Daniel Levy vom »European Council on Foreign Relations« sagt: »Wenn du deine Augen schließt, weißt du nicht, ob du einem Saudi oder einem Israeli zuhörst.«

Von: 
Martin Hoffmann

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