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Interview mit dem Gouverneur des Gazastreifens

»Das ist der schlimmste Krieg, den wir bisher erlebt haben«

Interview

Seit Sommer 2014 ist Abdallah Frangi Gouverneur des Gazastreifens. Der Fatah-Politiker darüber, wie das Gebiet nach dem verheerenden Krieg wieder auf die Beine kommt – und ob die Hamas bald vom »Islamischen Staat« ersetzt werden könnte.

zenith: Sie sind seit Juli Gouverneur in Gaza. Warum tun Sie sich das an: Traumjob oder Pflichtgefühl?

Abdallah Frangi: Ich habe mich in meinem Leben immer für das eingesetzt, wovon ich überzeugt war. Und ich bin überzeugt, dass ich durch diesen Job sehr viel für mein Volk tun kann.

 

Schon 2012 warnten die Vereinten Nationen, der Gazastreifen werde 2020 ein »nicht mehr lebenswerter Ort« sein. Wie ist die Lage nach dem Krieg letzten Sommer?

Noch schlimmer. Über 90.000 Menschen leben weiterhin in Zelten in der Kälte und haben von den internationalen Spenden nicht viel gesehen. Deshalb ist die Frustration bei uns sehr groß. Ende November gab es starke Unwetter, das hat die Lage noch verschlimmert. Die Kanalisation funktionierte nicht und das Wasser floss in die Zelte.

 

Vor welchen weiteren Herausforderungen stehen Sie als Gouverneur?

Meine Arbeit ist davon abhängig, dass wir Palästinenser unsere Einheit erreichen. Leider gibt es noch strittige Punkte. Das ist auch ein Hindernis für mich und meine Arbeit.

 

Im Frühsommer 2014 haben die Autonomiebehörde und die Hamas einen neuen Anlauf zu einer Einheitsregierung unternommen. Wie gestaltet sich denn die Zusammenarbeit mit der Hamas in der Praxis?

Wir führen zur Zeit intensive Gespräche, die jedoch oft gestoppt werden.

 

Von welcher Seite?

Nun ja, ich möchte nicht einseitig sein. Die innerparteilichen Umstände sind auf beiden Seiten kompliziert. Ich möchte nur die Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass wir entschlossen sind, bald mit einer Stimme sprechen zu können.

 

Dennoch verliert die palästinensische Einheitsregierung bereits wieder an Zustimmung. Wie begegnen Sie dem Unmut der Bevölkerung?

Es ist nicht leicht. Manchmal findet man nicht die richtige Antwort und die Menschen sind unzufrieden. Dieser Krieg war der schlimmste Krieg, den wir bisher erlebt haben. Vor allem, weil er gezielt gegen die Zivilbevölkerung geführt wurde. Die Menschen werden erst zufrieden sein, wenn sie ein Dach über dem Kopf haben.

 

Auch die Hamas verliert als islamistische Kraft im Gaza an Unterstützung. Wie schätzen Sie die Gerüchte über Zellen der Gruppe »Islamischer Staat« in Gaza ein?

Daran glaube ich nicht.

 


Abdallah Frangi,

1943 in Beerscheba geboren, musste 1948 mit seiner Familie nach Gaza fliehen. Er studierte Medizin und Politik in Frankfurt am Main und Algier, seit 1960 ist er Mitglied der Fatah. Bekannt wurde Frangi als palästinensischer »Generaldelegierter« in Deutschland von 1993 bis 2005. Danach war er außenpolitischer Sprecher der Fatah.


 

Aber es sind Bekennerschreiben im Namen von IS zu Anschlägen in Gaza aufgetaucht.

Das stimmt, aber ich glaube nicht, dass IS im Gaza viele Unterstützer finden wird. Ich nehme die Hamas beim Wort: Sie hat versprochen, die Täter ausfindig zu machen und vor Gericht zu stellen.

 

Die bestreitet jede Verbindung zu IS. Glauben Sie, dass es innerhalb der Hamas dennoch Unterstützer der Gruppe gibt?

Ich glaube nicht, dass die Hamas Interesse am IS hat. Sie vertritt eine total andere politische Richtung und keine radikale islamische Politik.

 

Die Bevölkerung sieht wenig Perspektiven. Können Sie ihr welche bieten?

Wir arbeiten intensiv für die Anerkennung Palästinas und machen die Bevölkerung darauf aufmerksam, dass die Mehrheit der Staaten uns unterstützt. Es belastet mich, wenn ich morgens aufwache und unfähig bin, die Wünsche der Menschen zu erfüllen. Ich bin in dieser Lage nicht zu beneiden.

 

Wäre eine internationale Anerkennung Palästinas der Schlüssel für die Verbesserung der Lebensumstände, besonders auch für den Gazastreifen?

Auf internationaler Ebene haben wir viel mehr Anerkennung als der Staat Israel. Der Einfluss Israels auf bestimmte Länder ist jedoch so groß, dass jeder Beschluss des UN-Sicherheitsrats in diese Richtung verhindert werden kann. Die internationale Anerkennung wäre eine Wiedergutmachung für das palästinensische Volk.

Von: 
Isabelle Büchner

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