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Grenzgebiet zwischen Türkei und Syrien

Der Treibstoff für Syriens Niedergang

Feature

Als Taxifahrer bringt Abdulrahman Reisende durch das Grenzgebiet zwischen Türkei und Syrien. Dabei durchquert er eine Region, in der nicht nur der Umsatz von Tankstellen am Boden liegt.

Ein halbes dutzend Konkurrenten hatte Abdulrahman vor einem Jahr. Nun ist er der einzige, dessen Rufe am Busbahnhof von Antakya den Namen einer syrischen Stadt ergeben: »Aleppo! Halep!« ruft er in die Menge. »Aleppo Mister? Halep?« redet er Jedem im väterlichen Ton zu, der irgendwie danach aussieht, als wäre das Ziel seines Reiseziels nicht ein Handwerksviertel im türkischen Nirgendwo.

 

»Beförderungsservice und Übersetzung« steht auf Abdulrahmans Visitenkarte. Taxifahrer ist aber auch ok, sagt er lachend und hustet den Qualm seiner Marlboro hinterher. Seine Route verläuft zwischen der türkischen Stadt Antakya und dem syrischen Aleppo. »Zumindest solange das Benzin reicht«, schränkt er ein, befestigt mit Klebeband den abgebrochenen Seitenspiegel und tritt aufs Gas.

 

Abdulrahman ist ein typisch arabischer Taxifahrer: unangenehm aggressiv bei der Kundenakquise, ungewohnt freundlich, sobald die Autotür zugefallen ist und unglaublich schnell, wenn die Straße frei ist. Wie schnell? Seinem Tacho nach zu urteilen sind es konstante 20 km/h, selbst wenn Abdulrahman nicht am Steuer sitzt.

 

Mehr Kontrollen, weniger Benzin

 

Seine Fahrt führt über 120 Kilometer und sechs syrische Tankstellen; durch eine Szenerie, die Reiseführer entweder idyllisch oder traditionell nennen: Schafherden fressen an trockenen Grasbüscheln. Eine Mutter mit Kindern sitzt hinter einem Berg Bauschutt und reibt ein rotes Hemd am Waschbrett. Ein paar ältere Männer stehen am unfertigen Neubau vor einer Zementmischmaschine, die sich weigert zu drehen. Selbst vom Armeejeep mit aufgebautem Maschinengewehr winken zwei Kinder freundlich herunter.

 

»Wir halten kurz an der Tankstelle dort vorn.« Mit diesen Worten beginnt Abdulrahmans Odyssee. Vier Männer sitzen am Rand einer Zapfsäule, winken so schnell ab, wie ihre Hände wieder nach den Teegläsern greifen: »Nein, zwei Kilometer weiter gibt es vielleicht noch etwas.« Abdulrahmans Suche nach Benzin wäre wohl eine langweilige Geschichte, würde sie nicht in Syrien spielen. Abdulrahmans Arbeitsplatz taucht in den Medien immer mal wieder auf, wenn es um Flüchtlingsströme, verlegte Minen oder Nachschubwege für die syrischen Rebellen geht. Vor zwei Wochen seien »zwanzig Panzer über die Felder gerumpelt«, erzählt er. Angst habe er keine gehabt. Nein! Nur seine Frau sei sauer gewesen, weil sein Auto so verstaubt war.

 

»Da vorne sind die Kerle«, sagt er und deutet mit dem Stummel seiner Zigarette auf die beiden Soldaten am Straßenrand. Die Armee sei schuld daran, dass es kein Benzin gebe. Militärkontrollen sind neben Benzinmangel die zweite Neuerung, die die Unruhen in Syrien Abdulrahmans Arbeit gebracht haben. Ein Mitte Zwanzigjähriger krempelt die Ärmel seiner zu großen Uniform zurück, die so neu wirkt, als habe sie gestern noch auf einem Bügel im Military Store gehangen. Minutenlang starrt er regungslos auf das syrische Visum. »Aha, Deutschland«, sagt er schließlich, bevor er weiter starrt.

 

»Scheiß Soldaten, scheiß Terroristen«

 

Die Sanktionen der Europäischen Union gegen syrische Ölkonzerne ist einer der Gründe für die Benzinknappheit in ganz Syrien. Anschläge auf Raffinerien und Pipelines sind ein zweiter, sagen Regierungsvertreter. Ein Mittel der Unterdrückung sei es, dass Benzin ausgerechnet dort knapp wird, wo Menschen gegen das Regime protestieren, sagt der oppositionelle Syrische Nationalrat (SNC). 

 

»5 Liter verbraucht der scheiß Panzer auf einen Kilometer« und eine dicke Qualmwolke sind Abdulrahmans Antwort auf die verwaisten Tankstellen. Wenn Abdulrahman sich aufregen will, nimmt er die Hand vom Lenkrad und einen langen Zug an seiner Marlboro und hustet schließlich seine Wut über »die scheiß Soldaten«, »die scheiß Terroristen« oder eben das Benzin zusammen mit dem Qualm seiner Zigarette heraus.

 

In einem »scheiß Panzer« saß Abdulrahman selbst einmal: »Wir verteidigten die Heimat«, schwärmt er vom Yom-Kippur Krieg, den Syrien 1973 gegen Israel verlor. »Bloß Machtspiele« seien hingegen die heutigen Unruhen, sagt er und biegt in die staubige Einfahrt der nächsten Tankstelle ein. Zwei oder drei, manchmal vier Leute habe er früher pro Tag über die Grenze gebracht. Heute freue er sich über zwei pro Woche. Das hätten die Proteste erreicht. Er wolle aber nicht so viel fluchen, sagt er und lässt offen, ob dies nun sein Kommentar zur negativen Auskunft des Tankwartes oder seine Einschätzung der Lage Syriens ist.

 

Minuten später stehen wieder Soldaten an der Straßenseite. Einer von ihnen schleudert seinen Granatwerfer umher, als halte er ihn für einen Tambour-Stab; verzichtet aber auf jegliche Passkontrolle. Wie die Karikatur einer Straßensperre wirken zuweilen auch die improvisierten Unterstände. Soldaten in Trainingskleidung spielen Backgammon in einem Bushaltestelle großen Betonkasten. Dieser sollte einst nicht Soldaten vor Gewehrbeschuss, sondern Schäfer vor dem Regen schützen. Ein paar Kilometer weiter weht eine verblassende Plastikplane vom Granatrohr eines Panzers. Die warb einmal für einen syrischen Softdrink. Nun dient sie der syrischen Armee als Sonnenschirm.

 

Syriens Zukunft sitzt in einem ausgebrannten Motorraum

 

»Ist das Syriens Zukunft?«, fragt Abdulrahman und deutet auf zwei spielende Kinder auf der anderen Straßenseite. Die beiden sitzen im Motorraum eines ausbrannten Tanklastwagens. Ein spanischer Journalist habe nach dem Anblick eines brennenden Wagens gebeten, ihn zurück in die Türkei zu bringen. »Da hat man aber auch noch gesehen, wer da mal drin saß.« Journalisten seien heute noch die einzigen Westler, die er anstatt der einstigen Sprachschüler und Rucksacktouristen befördere: »Auch wenn sie selten zugeben, dass sie welche sind.« Manchmal bringt er jetzt »Dinge« über die Grenze: »Waschmittel, Süßigkeiten, so einen Kram.« Nein, Schmuggel würde er es nicht nennen: »Dazu gehört Jemand, an dem man es vorbeischmuggelt.Wie wäre es mit Import Export«, lacht er bis ihm seine ebenfalls »importierte« Marlboro wieder zum Husten zwingt.

 

Auch an Tankstelle Nummer fünf ist das einzige Rohöl-Produkt der Plastikstuhl auf dem der Tankwart konsequent aber aussichtslos seinem Job nachgeht. Stattdessen tanzen fünf Kinder um drei vergilbte Plastikflaschen, als wollten sie durch das Ritual den Wert des Besitzes noch zusätzlich demonstrieren. Keiner von ihnen ist so alt, dass der hypothetische Versuch, das Benzin selbst zu verbrauchen, glücken würde: Der Abstand zwischen Gaspedal und Kinderfuß wäre schlichtweg zu groß. Zwei Flaschen Benzin leistet sich Abdulrahman und seinem Auto: »Das wird bis zur Tankstelle reichen.«

 

Doch schon am nächsten Hügel krächzt sich Abdulrahmans Taxi einen Hügel hoch. Man würde ihn kaum als solchen erkennen, würde der gelbe Fiat mit der eingedrückten Motorhaube nicht so unmissverständlich um Mitleid flehen. Bis der Scheitelpunkt der Anhöhe das Versprechen gibt, das der Geruch von Benzin an Tankstelle Nummer sechs schließlich einlöst. Vier Liter gibt es. »Besser als nichts«, sagt Abdulrahman, dessen Wut mittlerweile Resignation gewichen ist.

 

Benzin ist das geringste Problem in Syrien

 

»Drei Kinder und meine Frau« sind die Antwort auf die Frage, ob er schon einmal daran gedacht hat, die Gegend zu verlassen, eine angemessene Arbeit für einen studierten Ingenieur zu suchen. »Das ist unsere Heimat, egal was passiert«, sagt er. In dieser Heimat wartet steht nun der nächste Soldat auf der Straße, der wie ein schlecht verkleideter Statist aus einem jener Discount-Thriller wirkt, mit denen Ägypten die arabische Welt unterhält. Neben ihm speist sich ein Häufchen Sand aus dem Inhalt eines löchrigen Polyestersacks.

 

Eine verblichene syrische Fahne steckt darin. Nur der Wind vermag es ihr, wie der gesamten Szenerie, ein Mindestmaß an würdigem Anschein zu verleihen, bis Abdulrahman zu flüstern beginnt: »Schau mal nach links.« Im Schatten eines Wohnhauses liegen drei Männer eingeklemmt zwischen Sandboden und einem Dutzend neuer syrischer Armeestiefel. Zehn Kilometer vor Aleppo hält auf dem Dach des besetzten Gebäudes ein Soldat in schmutziger Uniform die Griffe eines Maschinengewehres fest umklammert. Vier Panzer richten ihre Kanonenrohre auf die Straße. »Das Benzin ist das geringste Problem in Syrien«, sagt Abdulrahman, wirft seine Marlboro aus dem Fenster und tritt aufs Gas.

Von: 
Fabian Köhler

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