Seit der Revolution blühen in Ägypten unabhängige Gewerkschaften auf. Nicht nur ihre Streikfreudigkeit ist vielen Politikern und Unternehmern ein Dorn im Auge. Ein neuer Gesetzesentwurf soll ihr Wachstum verlangsamen.
»Ein Betrieb, eine Gewerkschaft« war ein jahrzehntelanger Grundsatz der deutschen Arbeitsmarktpolitik. Ein solches Prinzip soll nach dem Willen der den Muslimbrüdern nahe stehenden Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (FJP) auch in Ägypten etabliert werden. Alle vier Jahre sollten die Angestellten entscheiden dürfen, welcher Gewerkschaft man angehören wolle. Damit würde man die nach der Revolution im vergangenen Jahr neu entstandenen unabhängigen Gewerkschaften in einen direkten Wettbewerb mit dem staatlichen Gewerkschaftsbund ETUF zwingen.
Nach Berichten der emiratischen Tageszeitung The National haben sich in den vergangenen Monaten bis zu zwei Millionen Arbeiter in insgesamt 305 Einzelgewerkschaften organisiert. Abdel Hafiz Tayel, Vizepräsident der Unabhängigen Lehrergewerkschaft, kündigte gegenüber dem Internetportal Egypt Independent bereits Widerstand an: »Gesetze sind dazu da, dass man sie bricht und ein schlechtes Gesetz sollte nicht befolgt werden. Das ägyptische Volk hat zu lange um das Recht, sich in Gewerkschaften zu versammeln, gekämpft.« Einer der FJP-Abgeordneten, die das Gesetzesvorhaben eingebracht haben, entgegnet im gleichen Medium: »Unser Ziel ist es, die ägyptische Wirtschaft zu schützen«, so Khaled Azheri, der gleichzeitig einen hohen Posten bei ETUF bekleidet.
Nun werfen Arbeitsrechtler den Wahlgewinnern von FJP vor, ihre Versprechungen nicht eingehalten zu haben. Führende Mitglieder des »Ägyptischen Zentrums für Arbeits- und Sozialrecht« warfen dem Parlament vor, einen Verfassungsbruch zu planen. »Dabei ist das Bekenntnis zum Gewerkschaftspluralismus im FJP-Parteiprogramm festgeschrieben.«
SCAF als Streikbrecher
Gegenwärtig verspüren viele Politiker einen enormen Handlungsdruck aus Unternehmen und Wirtschaftsverbänden, die Rolle der Gewerkschaften wieder zu schwächen und ihnen klare Grenzen aufzuzeigen. Seit Monaten werden Teile der ägyptischen Wirtschaft durch Streiks lahmgelegt, zahlreiche Branchen sind betroffen.
In vielen Fällen richten sich die Forderungen gegen die Privatisierungspolitik des früheren Präsidenten Mubarak, der milliardenschwere Staatsunternehmen umstrukturierte. Zahlreiche lokale Konflikte sind in den letzten Monaten nach Jahren des Stillstands eskaliert, manche Gewerkschaften fungieren hier als monothematische Interessenverbände mit begrenztem überregionalem Einfluss.
Dies erschwert die Verhandlungen zwischen Regierung, Arbeitern und dem neu entstandenen Unabhängigen Gewerkschaftsbund EFIU. Die Minigewerkschaften sind zwischen Macht und Ohnmacht gefangen, da sie oft nicht genug Einfluss haben, um Kompromisse durchzusetzen. Oftmals hätten Gewerkschaftsführer Streiks nicht selbst angestoßen – »viele der Streiks sind nicht durch die neuen Gewerkschaften initiiert, die Wortführer nicht zwingend Gewerkschaftsmitglieder«, so der Journalist Timur Wageddin.
In anderen Fällen greift der regierende Militärrat inzwischen deutlich in Arbeitskämpfe ein. Ende Februar bis Anfang März legten landesweit 1500 Mitarbeiter der Delta Bus Company die Arbeit nieder, um für bessere Arbeitsbedingungen und die Entlassung korrupter Führungskräfte zu demonstrieren. Das Unternehmen ist einer der größten Anbieter von Überlandverbindungen. Nachdem Armeeangehörige dem Streikenden zunächst Haftstrafen androhten, begannen die Streitkräfte nach wenigen Tagen, Busverbindungen mit eigenen Fahrzeugen zu bedienen.
Insbesondere die Industrie- und Hafenstadt Suez ist nahezu täglich von Arbeitsniederlegungen betroffen. Unklar ist, ob die geplante Gesetzesnovelle Ordnung wiederherstellen kann, oder dazu führt, dass wilde Streiks die Überhand nehmen. Sollte es dazu kommen, werden viele junge Gewerkschaften in den kommenden Monaten ums Überleben kämpfen müssen.