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Film über Street Art in Ägypten

Krieg der Kunst

Feature

Eignet sich Straßenkunst als Gradmesser des Aufstandes und friedliche Widerstandsform? Zum dritten Jahrestag der Revolution kommt die deutsch-ägyptische Produktion »Art War« ins Kino. Eine ausgewogene Perspektive bleibt sie aber schuldig.

Fulminant – um es in einem Wort zu fassen – zieht uns der dokumentarische Revolutionsstreifen »Art War« in die Geschehnisse der ägyptischen Revolution hinein. Von ihrem Beginn im Januar 2011 an werden wir durch die Linse der Kamera unvermittelt zu Augenzeugen. Bis zu den großen Protesten im Juni 2013 vor dem Präsidentenpalast, die zur Absetzung von Präsident Muhammad Mursi durch das Militär führten.

 

Dabei erleben wir diesen Prozess der jüngsten Umwälzungen hautnah auf den Fersen einiger der schöpferischsten Street-Art-Künstler und Sänger, die die Revolution rund um den Tahrir-Platz in Kairo hervorgebracht hat. Fulminant ist der Film jedoch vor allem deswegen, weil Regisseur Marco Wilms und sein deutsches Produktionsteam mit einer imposanten Soundkulisse Emotionen aufwühlen und die revolutionsbegleitenden Gewaltexzesse bis zum Blut durchtränkten Höhepunkt schonungslos auf die Leinwand projizieren.

 

So erweckte der Film bei seiner Premiere am 12. Januar in der Berliner Volksbühne bei der Mehrheit der Anwesenden eine verschütt geglaubte Euphorie zu neuem Leben: jene exzessive Hoffnung nämlich, die Revolution sei noch nicht verloren – die progressiven Kräfte nicht längst zermürbt, noch ihre Stimmen zum Verstummen gebracht. Die progressiven Kräfte, die häufig heranzitierte Revolutionsjugend, begegnet uns in »Art War« in Gestalt des Sängers Ramy und der Punkerin Bosaina sowie der beiden Street-Art-Künstler Ammar und Ganzeer.

 

Mit dieser Konstellation schafft es Wilms, »in atemberaubender, sinnlicher Dichte« zu erzählen, »was ägyptische Graffiti Art mit der antiken Kunst der Pharaonenzeit zu tun hat und wie sie als Waffe noch heute politische Sprengkraft freisetzen kann«, lobte die Jury des Dokumentarfilmfestivals in Leipzig Anfang November 2013.

 

In der Straßenkunst spiegeln sich Konflikte, die unter der Oberfläche gären

 

Dabei mischten sich in den wogenden Applaus der euphorisierten Exil-Revolutionäre in der Volksbühne bereits kritische Nachfragen von Seiten des Publikums. Wozu all der Affekt heischende Lärm und die Gewalt im Film? »Aber genau so war es«, fasst eine junge Ägypterin das Gesehene verzückt in Worte – ohne zu merken, dass die Geschichte sie und ihre anwesenden Landsleute längst hat zu Nostalgikern werden lassen.

 

Das Narrativ des Films ist trotz seiner Aktualität in der Vergangenheit verhaftet – jenem großen Moment, als der Volksaufstand auf dem Tahrir eine vermeintlich liberale Ära einläutete. Die zwischenzeitlichen Konflikte spiegeln sich dabei in den Kunstwerken und Auftritten der Protagonisten wider. Jung und Alt, Reich und Arm singen die regierungskritischen Lieder des volksnahen Sängers Ramy wie hoffnungsvolle Hymnen.

 

Wohingegen die junge Sängerin Bosaina mit ihrem Electro-Sound und freizügiger Textwahl Mauern einreißt, an den strengen gesellschaftlichen Konventionen jedoch zerbricht. Hier öffnet der Film kurzzeitig den Blick unter die gewalttätige Oberfläche der Revolution und deutet Diskurse und Kämpfe an, die in Europa nicht wahrgenommen werden: den Aufstand der Frauen, Arbeiter und Armen hat es bislang nicht gegeben; nach dem Systemsturz lässt der gesellschaftliche Wandel bislang auf sich warten.

 

Er deutet sich allein in der hochpolitisierten Kunst auf den Wänden der Kairoer Innenstadt an. Beispielsweise in der nachgesprühten Aktfotografie von Aliaa Magda Elmahdy und der Frage: Warum klickten vier Millionen Nutzer im Internet ihr Bild an, doch niemand rührt sich wider die grassierende sexuelle Gewalt an Frauen?

 

Zum Glück übernehmen die Künstler im Film selbst die Regie

 

Einzig aus diesem Grund im Filmtitel den Kunstkrieg auszurufen, weil sich der Begriff Revolution sinnentleert hat, ist gewagt. Zweideutig formuliert, bringt »Art War« wohl eher folgendes zum Ausdruck: »Krieg der Kunst«. Denn der Film scheitert ausgerechnet daran, den Konflikt zwischen säkularen und religiösen Strömungen zueinander in Beziehung zu setzen. Indem er mutwillig ausblendet, dass zeitweise ebenso Straßenkunst von Islamisten an den berühmt gewordenen Wänden der Kairoer Innenstadt prangte, ergreift er einseitig Partei für die liberalen Kräfte.

 

Und zeichnet deren Feinde – Militär und Islamisten – als fanatisierte Fratze nach. In einem Interview beim Deutschlandradio entgegnete Wilms: »Ich bin ein Dokumentarist. Ich habe die Leute abgebildet und was sie sagen, sagen sie halt tatsächlich.« Als solcher Dokumentarist bildet Wilms allein ab, was jeder vor Ort selbst erleben konnte: Er zeigt immer nur die eine Sicht der Auseinandersetzung.

 

Wir können daher von Glück reden, dass die engagierten Künstler im Film bisweilen selbst die Regie übernehmen. Sie kontextualisieren das Revolutionsgeschehen und bringen es in ihren Werken zum Ausdruck. Und sie führen Kameramann Wilms – der des Arabischen nicht mächtig und somit vom Geschehen vor der Kamera zeitweise isoliert ist – zu ihren Ursprüngen.

 

Der Film ergreift einseitig Partei für die liberalen Kräfte und zeigt ihre Feinde als fanatisierte Fratze

 

Da ist der Street Artist Ammar Abo Bakr. Mit großformatigen Porträts von getöteten Demonstranten schuf er die Märtyrergalerie in der Mohammed-Mahmoud-Straße im Zentrum Kairos. Er nimmt uns mit ins oberägyptische Luxor, wo seine farbenfrohe Malerei in einem Sufischrein beheimatet ist. Dort führt er uns zu den lebendigen Wurzeln der ägyptischen Volkskunst, die mit den Revolutionsgraffiti so stark korrespondiert.

 

Sein Wirken an so unterschiedlichen Orten schenkt dem Film einige genussvolle Momente der Ruhe. In seinen Porträts, die sich im Laufe der Ereignisse von heroischen zu entstellten Konterfeien wandeln, wird ebenfalls die Frustration der Kunstrevolutionäre am deutlichsten: »Ich male den Leuten keine schönen Hintergründe für ihre Erinnerungsfotos mehr. Sie sollen die Realität sehen.« Gerade ein Dokumentarfilm wie »Art War« fungiert als Übersetzer der Bildsprache zwischen Ägypten und dem deutschen Publikum.

 

Damit kommt ihm laut der Literaturwissenschaftlerin Samia Mehrez die Aufgabe zu, »zwischen den kulturellen Kontexten zu vermitteln«. In ihrem Sinne bedarf die Kunst der ägyptischen Revolution gewissermaßen der Übersetzung und Deutung, um sie nicht der vorherrschenden Schwarz-Weiß-Betrachtung in den Medien zu opfern. Es empfiehlt sich daher, weitere Revolutionsfilme in den Blick zu nehmen und die Deutungshoheit nicht allein halbseidenen Produzenten wie Wilms zu überlassen.

 

Abzuwarten bleiben beispielsweise Produktionen wie der für den diesjährigen Oskar nominierte Dokumentarfilm »The Square« oder das Filmprojekt VAKUUM, das drei sehr unterschiedliche Jugendliche und ihre persönliche Entwicklung im Zuge der Umwälzungen begleitet.

 


Art War

Regie: Marco Wilms

Dokumentarfilm, 90 Minuten

Deutschland, 2014

Seit dem 23. Januar 2014 im Kino

Von: 
Ruben Schenzle

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