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Ex-Al-Jazeera-Korrespondent Aktham Suliman

Warum ich Al-Jazeera verlassen habe

Kommentar

Kritischer Journalismus nicht erwünscht: Das Märchen vom Leuchtturm der Pressefreiheit im Nahen Osten war zu schön, um wahr zu sein, meint der langjährige Al-Jazeera-Korrespondent Aktham Suliman, der den Sender nun nach elf Jahren verließ.

Es war eine von Nationen unabhängige, kulturübergreifende Langeweile. Uns allen, deutschen, arabischen und anderen ausländischen Studenten, erschien der Stoff trocken und realitätsfern. Es war die Ausbildungszeit am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaften der Freien Universität Berlin in den 1990er Jahren.

 

Bei dem Stoff handelte es sich um die theoretische Abhandlung von Themen wie äußerer Pressefreiheit, also der Freiheit gegenüber Politik und Wirtschaft; und innerer Pressefreiheit, also der Freiheit der Journalisten innerhalb der Redaktion – vor allem gegenüber den Vorgesetzten und Besitzern des jeweiligen Mediums.

 

Es ging damals auch um den Zeitungsmantel, sprich den Politikteil vieler Zeitungen, der oft identisch ist und von der gleichen Redaktion eines Verlages erstellt wird, obwohl diese Zeitungen augenscheinlich den Eindruck vermitteln, der Inbegriff redaktioneller Unabhängigkeit und publizistischer Vielfalt zu sein.

 

Den Mantel im Fall des Fernsehens verkörpern die internationalen Agenturen, die eine große Zahl an Sendern letztendlich mit den gleichen Bildern und Informationen beliefern. Ferner war die Kategorisierung der Medien Thema: staatliche, private und öffentlich-rechtliche. Für uns: »Total langweilig!« Schließlich wollten wir Journalisten, nicht Philosophen werden, Beiträge machen und den Puls der Zeit erforschen, erklären und gelegentlich auch mal kommentieren.

 

Gerade die ausländischen Studierenden hatten die Möglichkeit zu behaupten, der Lehrinhalt sei doch sehr deutsch und systemspezifisch. Oder sollte ein Journalist aus einem warmen arabischen Land seine Gedanken an Mäntel und Ähnliches verschwenden? Der Araber hatte ab 1996 sowieso sein Märchen in Al-Jazeera, später auch in anderen arabischen Nachrichtensendern wie Al-Arabiya gefunden.

 

Diese sind weder öffentlich-rechtlich, weil nicht an einen Grundversorgungsauftrag gekoppelt, noch privat, weil Einnahmen, Quote oder gar Gewinne kein Thema sind. Sie sind weder staatlich, denn, es existieren keine Vorgaben vom jeweiligen Staat; noch von »Agenturmänteln« oder der Einflussnahme durch die Chef- beziehungsweise Finanzier-Etage bedroht, denn, sie haben überall eigene Korrespondenten stationiert, und der einzige Chef ist die Nachricht selbst.

 

Frösche bleiben Frösche, Küsschen hin oder her

 

Arabische Sender als ein orientalisches Märchen, das die akademischen Ansätze westlicher Universitäten zum Wanken bringt und die Gebrüder Grimm sich zwei Mal im Grabe umdrehen lässt, weil sie das spannendste Märchen aller Zeiten verpasst haben: das Märchen von den Wohlfahrtssendern. Leider sind Märchen aber alles andere als von Dauer.

 

Hätten sich die Gebrüder Grimm seinerzeit mehr Mühe bei der Recherche gegeben, hätten sie mitbekommen, dass die Ehe des Prinzen und der Prinzessin am Ende der Tage vor dem Familiengericht landen wird, dass sich die Beiden um Schloss, Kind und Pferd streiten, schlicht und einfach: dass Frösche halt Frösche bleiben, Küsschen hin oder her.

 

Auch Märchen bleiben Märchen. Oder hätte irgendjemand in seinen schlimmsten Träumen eine Geschichte wie die von Ali Hashem bei Al-Jazeera vorstellen können? Zitat aus dem Tagesspiegel von Anfang November: »Er hat als Korrespondent für Al-Jazeera aus Beirut im Libanon berichtet, im März ging er.

 

In einem Artikel für den britischen Guardian wirft er dem Sender ›journalistischen Selbstmord‹ vor. Al-Jazeera habe seine Berichte über bewaffnete syrische Revolutionäre an der Grenze zum Libanon nicht zeigen wollen, weil sie nicht ›in die gewünschte Geschichte von einem sauberen und friedlichen Aufstand‹ gepasst hätten. ›Meine Vorgesetzten sagten mir, dass ich die bewaffneten Männer vergessen soll‹, schreibt Hashem.

 

Diese Anweisung sei eine politische gewesen, die außerhalb des Senders getroffen worden sei. ›Die Regierung glaubt, einen Haufen von Journalisten zu besitzen, die das tun, wozu sie angewiesen werden.‹«

 

Die Schattenredaktion, die keiner der Mitarbeiter kennt, aber deren Wirken jeder erkennt

 

Noch eindeutiger ist der Fall der syrischen Al-Jazeera-Moderatorin Rola Ibrahim. Nachdem die Email-Korrespondenz von Al-Jazeera, offenkundig durch syrische Regimeanhänger, gehackt und veröffentlicht wurde, wird die neue Atmosphäre im Sender sichtbar.

 

Zitat aus einer Mail, die Rola einem Kollegen Ende Februar schrieb und von der der libanesischen Tageszeitung Al-Akhbar aufgegriffen wurde: »Man hat mich massiv beleidigt. Ich wurde durch das Dorf gejagt, nur weil ich den Sprecher der Muslimbrüder in Syrien, Zuhair Salem, bei einer Nachrichtensendung durch meine Fragen in Verlegenheit brachte. Man hat mich von Interviews in Sachen Syrien ausgeschlossen. Ich wurde sogar bedroht, nur noch die Nachtschichtnachrichten präsentieren zu dürfen, unter dem Vorwand, ich würde die Ausgewogenheit des Senders gefährden.«

 

Andere Mitarbeiter wurden indirekt auf die Inhalte ihrer Facebook-Seiten angesprochen, nur weil sie dort den Link eines kritischen, in anderen Medien veröffentlichten Artikels zu Al-Jazeera oder zu Katar platzierten. Dass sie nicht die Autoren waren und dass kein »Like« diese Artikel markierte, war nicht entlastend genug für die Vertreter der Schattenredaktion – der Redaktion hinter der Redaktion, die keiner der Mitarbeiter kennt, aber deren Wirken jeder erkennt.

 

Beim Sender, in dem in der Vergangenheit Kritik an allen Herrschern und politischen Akteuren geübt werden konnte, ist Selbstkritik und Kritik an den Finanziers und deren Freunden nicht mehr angesagt. Vielleicht hätten Prinz, Prinzessin und alle anderen, ob deutsch, arabisch oder sonstige – denn nicht nur der arabische Journalismus ist von Krankheiten befallen –, bei den Vorlesungen und Seminaren in den 1990er Jahren in Berlin besser aufpassen müssen. Vielleicht.

 

Sicher ist nur: Unseren damals langweilig erscheinenden Hochschullehrern gilt unsere aufrichtige, von Nationen unabhängige und kulturübergreifende Entschuldigung.


Aktham Suliman

Der 42-jährige gebürtige Syrer kam 1990 nach Deutschland und hat Publizistik, Islamwissenschaft und Politologie studiert. 2002 gründete er  das Berliner Büro von Al-Jazeera und leitete es bis September 2012. Der langjährige Deutschland-Korrespondent des katarischen Senders war u.a. im Irak, Ägypten, Sudan, Türkei, Iran, Russland und Österreich im Einsatz.

Von: 
Aktham Suliman

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