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Einnahme der Grenzstadt Al-Qusayr in Syrien

Die Blüchers beider Seiten

Analyse

Nach der Einnahme der Grenzstadt Al-Qusayr rüsten die Kriegsparteien in Syrien weiter auf. Auch in Aleppo soll ein Ende des militärischen Patts erzwungen werden. Und die libanesische Stadt Tripoli setzt einen gefährlichen Präzedenzfall.

Nach der Eroberung der syrischen Grenzstadt Al-Qusayr erhöht die syrische Armee den Druck auf Rebellen in mehreren Teilen des Landes. Einem Bericht der in London erscheinenden Tageszeitung al-Sharq al-Awsat zufolge schlossen sich den Regimetruppen in der umkämpften Millionenstadt Aleppo inzwischen mehr als 4.000 Hizbullah-Mitglieder an, so ein FSA-Offizier gegenüber dem Blatt. Einem französischen Geheimdienstbericht zufolge kämpfen aktuell zwischen 3.000 und 4.000 Hizbullah-Kämpfer in Syrien, andere Schätzungen gehen von bis zu 10.000 Milizionären aus. Die Regierungsseite ist mehr und mehr darauf angewiesen, die Lücken in den eigenen Reihen mit Miliztruppen aufzufüllen.

 

Hierzu wurden seit Ende 2012 in großem Umfang Zivilisten bewaffnet. Überwiegend gehören diese den diversen religiösen Minderheiten an. Ein von der Aleppiner Rebellenmiliz Liwa al-Tawhid auf Youtube veröffentlichtes und von zahlreichen Aktivistengruppen verbreitetes Video soll zeigen, wie Offiziere der syrischen Armee Schiiten gegen die mehrheitlich sunnitischen Aufständischen aufhetzten. Während die Hizbullah ihr Engagement im Nachbarland stetig ausweitet, kommt auch die nordlibanesische Küstenstadt Tripoli nicht zur Ruhe: In den vergangenen drei Wochen starben bei Feuergefechten zwischen Anhängern und Gegnern des syrischen Präsidenten mindestens 40 Menschen. Seit Jahren kommt es zwischen dem sunnitischen Stadtteil Bab al-Tabbaneh und dem alawitischen Jabal Mohsen zu Konflikten, die nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges eskalierten. Erstmals seit 2008 griffen die Kämpfe in dieser Woche jedoch auf andere Stadtteile, insbesondere die zentral gelegenen Marktviertel über, wo sich Salafisten und Hizbullah-Mitglieder Scharmützel lieferten.

 

Die syrische Regierung unterbindet Hilfslieferungen in die von Rebellen gehaltenen Gebiete

 

In einer Pressemitteilung kritisierte der frühere libanesische Premierminister Saad Hariri die Gewalt in Tripoli und sprach sich für ein größeres Einschreiten der Armee aus: »Mehr als einmal haben wir (…) die Armee und die Sicherheitsbehörden gebeten, denjenigen Einhalt zu gebieten, die die Sicherheit und Würde der Bevölkerung bedrohen.« In seiner Botschaft machte Hariri nicht näher spezifizierte »ausländische Elemente «für das Blutvergießen verantwortlich. In den vergangenen Monaten legten mehrere Berichte der libanesischen Medienhäuser al-Akhbar und Now Lebanon nahe, dass in den sunnitischen Milizen Tripolis ein stiller Putsch stattgefunden habe. Bislang agierten die Paramilitärs auf Anweisung örtlicher Abgeordneter der sunnitischen Zukunfts-Bewegung Saad Hariris.

 

Den Politikern scheinen die Einheiten angesichts der Eskalation in Syrien jedoch überdrüssig geworden zu sein. Im schlimmsten Falle könnte dies zu einem erneuten Emporkommen lokaler Warlords führen, wie es im Libanon bereits zu Zeiten des Bürgerkriegs zwischen 1975 und 1990 zu beobachten war. In der südlibanesischen Stadt Saida ruft der salafistische Prediger Ahmad al-Assir weiterhin zum Kampf gegen die politische Dominanz der Hizbullah im Libanon auf und rekrutiert Kämpfer für den Krieg in Syrien. In Saida blieb es bislang bei einzelnen Zusammenstößen mit Sicherheitskräften. Die Proteste dort dauern bereits mehr als ein Jahr an.

 

Die Vereinten Nationen bemühen sich indes sicherzustellen, dass die umfangreichen Hilfslieferungen für die syrische Bevölkerung in allen betroffenen Landesteilen ankommen. Das UN-Nothilfeprogramm SHARP veröffentlichte heute eine Erklärung, in der es um eine Aufstockung seiner Finanzierung bat. Die Effektivität der Hilfen wird von Menschenrechtsgruppen jedoch in Frage gestellt: Bislang unterbindet die syrische Regierung alle Bemühungen, Lebensmittel und andere Spenden auf dem Landweg aus den Nachbarländern einzuführen. »Assad nutzt humanitäre Hilfe als Waffe im Krieg: Alles muss über Damaskus abgewickelt werden. So können sie kontrollieren, wohin Hilfe fließt und die von Rebellen kontrollierten Gebiete durch das Zurückhalten der Lieferungen bestrafen«, so Peter Bouckaert von Human Rights Watch. Bislang habe die UN nicht ausreichend Druck aufgebaut, die syrische Regierung in diesem Punkt zu einem Umdenken zu bewegen.

Von: 
Nils Metzger

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