Lesezeit: 8 Minuten
Die arabischen Delegationen bei den Olympischen Spielen

Die andere Seite der Medaille

Feature

Die arabischen Delegationen repräsentieren bei den Olympischen Spielen auch die Entwicklungen in ihrer Heimat. Keine glückliche Figur macht ein syrischer Springreiter, während sich eine libysche Sprinterin auf Freitagmorgen freuen kann.

Etwa 10.500 Sportler aus 204 Mannschaften nehmen in diesem Jahr an den Olympischen Spielen teil – auch die Delegationen aus Syrien und Libyen, wenn auch unter höchst unterschiedlichen Vorzeichen. Dieses Jahr haben sich zehn syrische Sportler trotz des Bürgerkrieges in ihrer Heimat auf den Weg nach London gemacht.

 

Der größte Hoffnungsträger ist der 27-jährige Boxer Wessam Slamana. Er tritt in der Bantam-Gewichtsklasse an und trainierte im Vorfeld der Spiele in der Mongolei und in Kasachstan statt daheim. Erhobenen Hauptes berichtet er den Journalisten, dass er »für Syrien und sein leidendes Volk« kämpfe. Seinen ersten Kampf gegen den Usbeken Kanat Abutalipov hat er jedoch mit 15 zu 7 verloren.

 

Insgesamt hat Syrien in seiner bisherigen olympischen Geschichte drei Medaillen gewonnen – jeweils eine Gold-, eine Silber- und eine Bronzemedaille. Das einzige Gold für Syrien holte 1996 in Atlanta die Siebenkämpferin Ghada Shouaa. In ihrer Heimat begrüßten damals zehntausende Fans die in Hama geborene Athletin nach ihrer Rückkehr. Hafez al-Assad, Vater von Baschar al-Assad, pries die Leichtathletin gar als »Vorbild und Symbol für die syrische Jugend«.

 

Shouaas sportliche Karriere begann 1990, als sie für die syrische Basketball-Nationalmannschaft aufgestellt wurde. Bereits einige Jahre darauf entschied sie sich dafür, ihren Schwerpunkt auf Leichtathletik zu legen und trainierte für den Siebenkampf. Höhepunkt ihrer Karriere waren die Olympischen Spiele 1996 in Atlanta, bei denen sie die internationale Konkurrenz, darunter die Deutschen Heike Drechsler und Sabine Braun, deklassierte.

 

Springreiter Hamcho steht fest zum Regime

 

16 Jahre später stehen syrische Sportler wieder im Mittelpunkt des Medieninteresses, diesmal aber unter ganz anderen Vorzeichen. Während in seinem Heimatland die Kämpfe um Aleppo wüten, erklärte er der britischen Times: »Wir müssen das syrische Volk vertreten und auch Doktor Baschar al-Assad, denn er ist noch immer unser Präsident.« Assad »beschütze nur das Volk vor Terroristen, die Zivilisten töten wollen«.

 

Zudem betonte er, im Namen aller syrischen Olympiateilnehmer zu sprechen, und dass sich alle Sportler im syrischen Team in dieser Einschätzung einig wären. Zumindest im Fall Hamcho sollten diese Aussagen jedoch nicht überraschen, denn der Reitsportler ist über verwandtschaftlich mit dem syrischen Präsidenten verbunden – er ist der Neffe von Maher al-Assad, dem Bruder Baschar al-Assads und berüchtigten Kommandeur der Republikanischen Garde, und zudem der Sohn des Parlamentsmitglieds und prominenten Geschäftsmanns Mohamed Hamcho.

 

Hamcho wird nachgesagt, einer der wichtigsten finanziellen Unterstützter des Assad-Regimes zu sein. So wurde er im August 2011 auf die »Specially Designated Nationals«-Liste des amerikanischen Finanzministeriums gesetzt. Auf der Internetpräsenz seiner Firma Hamcho International schreibt der Unternehmer: »Wir möchten schließlich erwähnen, dass wir in Bezug auf die Zukunft sehr optimistisch sind, und sehr entschlossen, Nöte und Herausforderungen zu bewältigen.«

 

Da mag ihm die Olympia-Teilnahme seines Sohnes recht gekommen sein – die britische Regierung allerdings lehnte das Visum für Hamcho senior ab und untersagte ihm die Einreise. Und nachdem am Montag der Geschäftsträger der syrischen Botschaft in London, Khalid al-Ayoubi, seinen Posten räumte und sich von Assad distanzierte, mussten sich auch die regimetreuen sportlichen Botschafter um den 19-jährigen Vorzeigereiter Ahmad Hamcho düpiert fühlen.

 

Kein Tribünenplatz für Saif al-Islam in seiner früheren Wahlheimat

 

Auch Libyen nimmt an den Sportwettkämpfen in London teil. Vier Sportler treten unter anderem in Disziplinen wie Judo und Schwimmen an. Doch zwölf Tage vor Beginn der Spiele sorgte nicht die Vorfreude der Olympioniken, sondern die Entführung des Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees Libyens, Nabil al-Alam, für negative Schlagzeilen. Erst nach fast einer Woche ließen die Unbekannten ihn frei.

 

Wie so viele Bereiche des Landes so hatte auch im Sport der Gaddafi-Clan die Geschicke bestimmt. Während Muammar al-Gaddafis Sohn Saadi sich den Fußballverband unter den Nagel gerissen hatte, leitete der älteste Sohn Muhammed das Nationale Olympische Komitee bis zum vergangenen Jahr – allerdings ohne Aufsehen erregende Erfolge.

 

Diktator Gaddafi maß Auftritten seines Landes bei Olympischen Spielen nie sonderlich viel Bedeutung zu. Delikater ist es um die libysche Verbindung zum Austragungsort bestellt. Die Beziehungen zwischen Tripolis und London haben seit dem Umsturz in Libyen stark gelitten – trotz der britischen Führungsrolle beim Ende Gaddafis.

 

Unvergessen ist in Libyen aber, dass das Vereinigte Königreich in den Jahren zuvor mit ebenso viel Elan die internationale Rehabilitierung des Gaddafi-Regimes vorangetrieben hatte. Das gilt insbesondere für den berühmtesten Spross des Gaddafi-Clans, der noch vor gar nicht langer Zeit ein gern gesehener Gast der höheren Londoner Gesellschaft war.

 

Die Zeiten von Kaffee-Kränzchen mit der Queen im Buckingham-Palace oder im Windsor Castle sind für Saif al-Islam al-Gaddafi vorbei. Lange Zeit galt Saif al-Islam als äußerst charismatischer und diplomatischer Arm des libyschen Regimes – und als guter Freund Tony Blairs. Dieser half ihm sogar bei seiner Doktorarbeit an der London School of Economics. Hätte man Saif al-Islam vor zwei Jahren gefragt, er hätte sich wahrscheinlich eher auf der Ehrentribüne im London Aquatics Centre als im Gefängnis von Zintan gesehen.

 

Eine Wildcard, die sich Libyen verdient hat

 

Das libysche Team machte sehr deutlich, dass es nicht nur sein Land, sondern genauso den Aufbruch der Nach-Gaddafi-Ära repräsentiert. Die ersten freien Wahlen in Libyen liegen gerade erst wenige Wochen zurück. Besonders stolz sind die Libyer darauf, dass sie die Wahlen trotz großer Skepsis seitens westlicher Beobachter im Wesentlichen erfolgreich über die Bühne gebracht haben und mit der hohen Wahlbeteiligung der Welt ihren Demokratiewillen gezeigt haben – ein Lichtblick im sonst von vielen Rückschläge geprägten Jahr zwei des Arabischen Frühlings.

 

Judoka Ahmed Yousef Elkawiseh gewann im Mai 2012 den Grand Prix in Baku und belegt zurzeit Rang 39 der Weltrangliste im Judo in der Kategorie bis 66 Kilogramm. Einen optimalen sportlichen Start erwischte Elkawiseh allerdings nicht gerade: Er verlor am Sonntag gegen den Usbeken Mirzahid Farmonov gleich seinen ersten Kampf. 

 

Hala Gezah ist die einzige weibliche Athletin des Teams und wird am 100-Meter-Sprint der Frauen teilnehmen. Mit einer Bestzeit von 13,15 Sekunden liegt sie deutlich über der Qualifikationszeit von 11,38 Sekunden, erhielt jedoch vom Internationalen Olympischen Komitee eine »Wildcard«, eine außerordentliche Teilnahmeerlaubnis.

 

Das IOC vergibt – wenn auch weit weniger als bei vergangenen Spielen – bewusst Startplätze für Sportler aus Krisengebieten und kommt den erschwerten Trainingsbedingungen in diesen Ländern damit entgegen – unter den anderen Nationen keine unumstrittene Praxis, da der sportliche Wert solcher symbolischer Nominierungen geschmälert werde, wie Kritiker meinen.

 

Für Hala Gezah erfüllt sich der olympische Traum – und auch für ihr Land –, spätestens, wenn der Stadionsprecher in der nächsten Woche vor dem 100-Meter-Vorlauf ihren Namen ausrufen und Kameras ihr Trikot mit der neuen libyschen Flagge einfangen werden. Eine echte Chance auf eine Medaille haben Libyens Sportler bei den Sommerspielen von London zwar nicht – die Unterstützung ihrer Landsleute und weltweite Sympathie aber schon.

Von: 
Sümeyye Çelikkaya

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.