Nirgendwo zeigen sich die Kernprobleme des israelisch-palästinensischen Konflikts auf so engem Raum wie in Jerusalem. Die Stadt wird noch viele Verhandlungen über sich ergehen lassen müssen.
Mit Getöse und gegenseitigen Anschuldigungen näherten sich Ende April die auf Drängen der USA begonnenen Gespräche zwischen Palästinensern und Israelis ihrem geplanten Ende. Ursprünglich hatte US-Außenminister John Kerry erreichen wollen, dass die beiden Seiten einen finalen Friedensvertrag schließen. Von diesem Ziel rückte er aufgrund der tiefen Gräben bald ab: Es ging ihm zuletzt lediglich darum, eine Fortsetzung der Verhandlungen zu erreichen, um das Scheitern seiner Bemühungen zu verhindern.
Wieder einmal erwies sich dabei der Status Jerusalems als einer der größten Stolpersteine. Die Stadt spiegelt die verschiedenen Aspekte des Konflikts – wie Siedlungen, Grenzen und Sicherheit – in einem extrem verdichteten Raum wider. In den Verhandlungen selbst kam das Thema freilich nur am Rande vor, da Kerry sich auf Themen konzentrieren wollte, in denen es zumindest einen gewissen Grundkonsens gibt. Auch wenn der Streit um Jerusalem in erster Linie ein politischer ist, so hat die Stadt für die drei abrahamitischen Religionen eine herausragende Bedeutung.
Für Juden ist Jerusalem das wichtigste Zentrum ihrer Religion und Identität. Christen betrachten die Stadt als Ursprungsort ihres Glaubens, wo Jesus Christus gekreuzigt wurde, auferstanden und in den Himmel gefahren ist. Für die Muslime war Jerusalem vor Mekka die Stadt, in deren Richtung sie ihre Gebete wandten, und der Prophet Muhammad unternahm laut islamischer Überlieferung seine »Nachtreise« von Medina nach Jerusalem und von dort aus seine »Himmelsreise«.
Der rechtliche Status Ostjerusalems – also des Stadtgebiets östlich der Waffenstillstandslinie von 1949 – ist seit jeher umstritten. Die internationale Gemeinschaft hat sich mehrmals mit dem Thema befasst: Der berühmte Teilungsplan der UN-Generalversammlungsresolution 181 von 1947 sah einen arabischen und einen jüdischen Staat vor; Jerusalem (und Bethlehem) sollte dabei als abgetrennte Einheit unter internationaler Treuhandschaft (»Corpus Separatum«) stehen. In der Generalversammlungsresolution 194 aus dem Jahr 1948 wurde der ungehinderte Zugang zu den Heiligen Stätten thematisiert.
Zwischen 1948 und 1967 stand Ostjerusalem unter jordanischer und Westjerusalem unter israelischer Kontrolle. Während des Sechstagekriegs besetzte Israel Ostjerusalem und verschob umgehend die Stadtgrenzen: Auf Kosten mehrerer Dutzend palästinensischer Gemeinden im Westjordanland wuchs die Stadt um etwa 70 Quadratkilometer. So wurde Platz für zukünftige Siedlungen geschaffen, die unter anderem dafür sorgen sollen, dass das demographische Gewicht der Stadt nicht kippt. Die UN-Generalversammlungsresolution 2253 von 1967 verurteilte diese israelischen Maßnahmen und erklärte sie für ungültig.
Die Vereinten Nationen und die Europäische Union sehen Ostjerusalem bis heute als besetztes Gebiet an. Israel sei es daher untersagt, seine eigene Zivilbevölkerung in Ostjerusalem anzusiedeln. Die Forderung, die gesamte Stadt zu internationalisieren, wie es 1947 noch vorgesehen war, wird dagegen nicht mehr erhoben. Die israelische Regierung steht auf dem Standpunkt, dass die von der internationalen Gemeinschaft angeführten Genfer Konventionen keine Anwendung in den Palästinensischen Gebieten finden.
Denn diese seien niemals als souveräner Staat anerkannt worden – und könnten somit auch nicht besetzt sein. Darüber hinaus, so die Argumentation, wäre der in der vierten Genfer Konvention thematisierte Bevölkerungstransfer nur dann illegal, wenn er mit der Vertreibung der ursprünglichen Bewohner einhergeht. Dies sei in den Palästinensischen Gebieten aber nicht der Fall.
Mittlerweile leben etwa 200.000 israelische Siedler in Ostjerusalem, darunter etwa 2.000 in Enklaven, die im Herzen palästinensischer Viertel liegen, beispielsweise in der Altstadt. Erklärtes Ziel ist es, die jüdische Bevölkerungsmehrheit in Jerusalem auszuweiten – von derzeit knapp über 60 auf 70 Prozent. Doch selbst die extensive Siedlungspolitik hat die höhere Geburtenrate der palästinensischen Jerusalemer bisher nicht ausgleichen können.
Der umkämpfte Status Jerusalems spiegelt sich auch in juristischen Manövern
Angesichts des von israelischen Regierungen jeglicher politischer Couleur fokussierten Siedlungsbaus kann es nicht verwundern, dass die Knesset im Jahr 1980 das so genannte Jerusalem-Gesetz verabschiedet hat. Darin wird die gesamte Stadt als Hauptstadt Israels definiert. Die durch die Oslo-Verträge geschaffene Palästinensische Autonomiebehörde (PA) darf lediglich mit einer – nur selten erteilten – israelischen Zustimmung in Ostjerusalem aktiv werden.
Ähnlich machtlos ist die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), deren inoffizielles Hauptquartier in Ostjerusalem, das sogenannte Orient-Haus, im Zuge der Zweiten Intifada von den Israelis geschlossen wurde. Erst im März 2014 hat die Knesset mit der Verabschiedung des »Referendumsgesetzes« diese kompromisslose Haltung bekräftigt: Das Gesetz schreibt eine nationale Volksbefragung für den Fall vor, dass Israel einen Teil seines Staatsgebiets abtreten will. Nach israelischer Rechtsprechung fällt darunter auch Ostjerusalem.
Die Palästinenser fordern offiziell zwar ganz Ostjerusalem als Hauptstadt eines zukünftigen palästinensischen Staates, doch äußern sie Kompromissbereitschaft. Die konnte in den jüngsten Gesprächen jedoch nicht ausgetestet werden, da die derzeitige israelische Regierung eine Teilung der Stadt strikt ablehnt. Wie eine Teilungslösung aussehen könnte, hatte der damalige US-Präsident Bill Clinton nach dem Scheitern der Camp-David-Verhandlungen im Sommer 2000 in den so genannten Clinton-Parametern skizziert: Was gegenwärtig arabisch sei, solle in Zukunft Teil des palästinensischen Staates werden, und was gegenwärtig jüdisch sei, offiziell an Israel angegliedert werden.
In Umfragen ist allerdings eine deutliche Mehrheit auf beiden Seiten gegen einen solchen Kompromiss. In den letzten Jahren haben darüber hinaus nationalreligiöse jüdische Aktivisten an Einfluss gewonnen. Sie wollen die israelische Souveränität auf den Tempelberg (für die Palästinenser »Al-Haram al-Scharif – Das noble Heiligtum«) ausweiten und stellen mit heimlichen Gebeten und offenen Provokationen wie dem Schwenken israelischer Flaggen die nach wie vor bestehende jordanische Zuständigkeit für die islamischen Heiligen Stätten in Jerusalem in Frage.
Auch der palästinensische Präsident Mahmud Abbas ist im Übrigen gegen die erneute Teilung. Stattdessen soll Jerusalem den Status einer »offenen Stadt« haben. Abbas schlug im Februar vor, jeweils eigene Stadtverwaltungen für Israelis und Palästinenser zu errichten, welche einer dritten Institution unterstellt werden, die Koordinations- und Kontrollfunktionen übernimmt. Drei Viertel der Palästinenser Ostjerusalems würden laut einer Umfrage vom Juli 2010 den Status einer offenen Stadt befürworten.
Die palästinensische Führung wird sehr genau auf den Wortlaut eines möglichen Abkommens achten. Ob es darin heißt, dass Ostjerusalem die Hauptstadt Palästinas sein soll oder ob die palästinensische Hauptstadt »in Ostjerusalem liegen« soll, macht für sie einen entscheidenden Unterschied. Denn letzteres würde lediglich bedeuten, dass die zukünftige Kapitale irgendwo innerhalb der administrativen Grenzen Ostjerusalems liegt, also möglicherweise in einem arabisch geprägten Randgebiet der Stadt, das vor 1967 noch gar nicht zu Jerusalem gehörte.
Ob die verschiedenen Lösungsvorschläge die Lebensrealität der Einwohner Jerusalems widerspiegeln, erscheint oftmals zweifelhaft. In Umfragen beklagen insbesondere die palästinensischen Einwohner der Stadt die Ungleichheiten bei Baugenehmigungen, Strafverfolgung, Schulklassengrößen, Müllentsorgung oder Straßenqualität. Trotz der schwierigen Lebenssituation kommt ein Umzug für die meisten jedoch nicht in Frage. Mehr als 70 Prozent der Palästinenser Ostjerusalems möchten in erster Linie ihren Wohnort behalten – egal ob ihr Viertel ein Teil Israels oder Palästinas wird.
Jörg Knocha ist Programmmanager bei der Konrad-Adenauer- Stiftung (KAS) Ramallah. Der Artikel stellt die Meinung des Autors dar und spiegelt nicht grundsätzlich die der KAS Ramallah wider.