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Bloggerin Razan Ghazzawi

Assads Angst vor der Macht des Wortes

Kommentar

Über die Bloggerin Razan Ghazzawi zu berichten ist trotz tausender Toter und Verschleppter wichtig. Denn das syrische Regime fürchtet nicht jene, die inhaftiert sind – sondern jene, die sie nicht vergessen, meint Christoph Sydow.

Etwa 5000 Zivilisten sind nach Schätzungen der Vereinten Nationen seit Ausbruch der Proteste gegen das Regime in Syrien im März ums Leben gekommen, die Regierung in Damaskus spricht zudem von über 1000 getöteten Sicherheitskräften. Angesichts dieser Zahlen scheint das Schicksal der syrischen Bloggerin und Oppositionsaktivistin Razan Ghazzawi beinahe unbedeutend.

 

Dennoch steht es exemplarisch für die Angst des Assad-Regimes vor der Macht des Wortes, die es fast stärker zu fürchten scheint als die Sanktionen des Westens und der Arabischen Liga. Denn seit Anfang Dezember sitzt die 31-Jährige in einem syrischen Gefängnis. Sie war auf dem Weg zu einem Workshop für arabische Menschenrechtler in Jordanien, als sie an der Grenze festgenommen wurde.

 

Razan Ghazzawi fing 2006 an zu bloggen. In ihren Beiträgen setzte sie sich mit verschiedenen Themen auseinander, dabei bezog sie Positionen, die auf den ersten Blick kaum zusammen zu passen scheinen. Einerseits kämpfte sie von Anfang an für die Gleichberechtigung von Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen,  andererseits bejubelte sie die streng konservative Hizbullah und ihren Anführer Hassan Nasrallah. Auf der einen Seite prangerte sie immer wieder Menschenrechtsverletzungen des syrischen Regimes an, auf der anderen Seite unterstützte sie die Regierung in Damaskus in ihrem Bestreben, den von Israel besetzten Golan zurückzugewinnen.

 

Mit Beginn der Proteste Anfang des Jahres wandelten sich Razans Positionen. Wenige Tage nach Beginn der Unruhen in Daraa veröffentlichte sie auf ihrem Blog einen Offenen Brief, in dem sie einen »ernsthaften Dialog«, Meinungs- und Versammlungsfreiheit  eintrat und forderte, dass die »legitimen Forderungen des syrischen Volkes« erhört werden müssten.

 

»Wenn sie mich festnehmen, habe ich wenigstens einen Namen und ein Gesicht«

 

Ich traf Razan Ghazzawi im Mai 2011 auf dem »Young Media Summit« der Deutschen Welle in Kairo. Schon damals hatte sie die Hoffnung auf einen Wandel in Syrien durch einen friedlichen Dialog aufgegeben. Assads Auftritte in Parlament und Fernsehen und die Gewalt gegen friedliche Demonstranten hatten sie desillusioniert.

 

Fast noch wütender aber schien sie über Hassan Nasrallahs Unterstützung für Baschar al-Assad. »Die Hizbollah nimmt für sich in Anspruch, immer auf Seiten der Unterdrückten zu stehen und jetzt unterstützt sie das syrische Regime«, erklärte sie zornig und fügte hinzu: »Wir haben während des Juli-Krieges 2006 zwischen der Hizbullah und Israel tausende libanesische Flüchtlinge aufgenommen. Jetzt werden syrische Flüchtlinge im Libanon von der Hizbollah und ihren Verbündeten angegriffen und denunziert.«

 

Seit unserem Treffen in Kairo standen wir regelmäßig in Kontakt, sie berichtete von den Entwicklungen in Damaskus, das meiste von dem wurde nie veröffentlicht, um Razan selbst nicht in Gefahr zu bringen. Kurz vor ihrer Festnahme am 4. Dezember schrieb sie, dass sie permanent beschattet werde. Obwohl sie seit Monaten im Visier des Regimes war, hielt Razan daran fest, unter ihrem eigenen Namen zu bloggen. »Wenn sie mich festnehmen, habe ich wenigstens einen Namen und ein Gesicht«, erklärte sie dazu.

 

Ob ihr dies, oder die Tatsache, dass sie neben der syrischen auch die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt, hilft, bleibt abzuwarten. Nach Angaben ihres Arbeitgebers, dem »Syrischen Zentrum für Medien und Meinungsfreiheit«, wurde inzwischen Anklage gegen Razan erhoben. Ihr werden unter anderem »Aufbau einer Organisation mit dem Ziel der Veränderung des wirtschaftlichen und sozialen Status des Staates« sowie die »Schwächung der nationalen Moral durch die Verbreitung falscher Informationen« und die »Aufstachelung zu Rassismus und Konfessionalismus« vorgeworfen.

 

Für jeden dieser Anklagepunkte drohen ihr bis zu 15 Jahre Haft. Razan hat alle Vorwürfe von sich gewiesen. Dennoch sitzt sie weiterhin im Adra-Frauengefängnis in Damaskus. Angesichts der Zustände in Syrien ist die Anklageerhebung gegen Razan allerdings fast schon als positives Zeichen zu werten. Dies lässt es unwahrscheinlicher werden, dass das Regime sie wie andere Oppositionelle einfach verschwinden lässt, ohne dass ihr Schicksal je aufgeklärt wird. Die Gefangene selbst hat es vor ihrer Festnahme so ausgedrückt: »Das syrische Regime fürchtet nicht jene, die inhaftiert sind, sondern jene, die sie nicht vergessen.«

Von: 
Christoph Sydow

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