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Beduinen und Al-Qaid auf dem Sinai

Der Scheich vom Sinai

Portrait

Kairos harte Hand auf der Sinai-Halbinsel zeitigt wenig Erfolg. Vielmehr solidarisieren sich immer mehr Beduinen mit Al-Qaida-Kämpfern. Eines der jüngsten Opfer: Ein Sohn des Stammesführers Hassan Khalaf, ägyptischer Held des Jom-Kippur-Krieges.

Kurz nachdem am 6. Oktober 1973 um 14 Uhr 240 ägyptische Flugzeuge den Suezkanal überflogen und ihre tödliche Fracht über den israelischen Stellungen und Siedlungen der seit 1967 besetzten Sinai-Halbinsel abgeworfen hatten, erklang in den Radios zwischen Mittelmeer und Jordan das Codewort »Fleischtopf, Fleischtopf«. Es war das Signal zur Generalmobilmachung der israelischen Streitkräfte, die von dem Angriff aus Kairo vollkommen überrascht worden waren.

 

Mit dem Jom-Kippur-Krieg 1973, der sich dieses Wochenende zum vierzigsten Mal jährt, war auch die Spionagetätigkeit von Hassan Khalaf zu Ende. Seit der Besetzung des Sinais durch Israel infolge des Sechs-Tage-Krieges hatte der Beduinenführer Israel aus dem Untergrund heraus bekämpft. 1968 führten lokale Beduinen einen verehrenden Bombenanschlag auf das israelische Hauptquartier in Al-Arisch aus, später auch auf den dortigen Flughafen und weitere Stützpunkte; über Jahre hinweg spionierten Khalaf und die Seinen für Ägypten den Feind aus.

 

Ihm selbst brachte das eine Haftstrafe von 149 Jahren ein, die im Zuge des Camp-David-Abkommens indes frühzeitig ein Ende fand. Fouad Nasser, 1973 General der ägyptischen Armee und verantwortlich für den Militärgeheimdienst, brachte es hernach auf den Punkt: »Wenn es die Kinder des Sinai nicht gegeben hätte, dann hätte es den Ramadan-Krieg nie gegeben.« Viele geheimdienstliche Informationen, die der ägyptischen Armee zur Verfügung standen, basierten auf Khalafs Spionagetätigkeiten.

 

Die Folgen der »Operation Adler« – Die Beduinen der Sinaihalbinsel bleiben Bürger zweiter Klasse

 

Genützt hat es ihm und seiner Familie nicht wirklich. Im Zuge der »Operation Adler« – die die ägyptischen Streitkräfte bereits vor mehr als einem Jahr gestartet haben, um die Sinaihalbinsel wieder in das Taucher- und Touristenparadies zu verwandeln, welches diese zu Zeiten Mubaraks gewesen war – starb einer seiner Söhne vor einer Woche im Kugelhagel der Armee in Scheich Zuwaijd, nahe Rafah.

 

Zwar ließ Kairo durch den Armee-Sprecher Ahmed Mohamed Ali in der halbamtlichen al-Ahram verlauten: »Die Streitkräfte kondolieren Scheich Hassan Khalaf, Scheich der Mujahedin des Sinai, angesichts des Todes seines Sohnes.« Einzig: Mehr als leere Worte für einen Vater und den Helden von einst sind das nicht. Die Regierung in Kairo – und damit de facto die Armee – möchte Ruhe in der Explosivzone Sinai und ist dafür bereit, jeden erdenklichen Preis zu zahlen.

 

Mit Waffengewalt geht sie gegen all jene vor, die diesem Plan – aus welchen Gründen auch immer – im Weg stehen. Zumeist wird nach Kommandoaktionen dann nebulös von einem Schlag gegen »Al-Qaida-Kämpfer« gesprochen, die in dem riesigen Terrain ihr Unwesen getrieben hätten. Die gibt es, gewiss.

 

Doch nicht alle, die auf dem Sinai gegen General Sisi das Wort oder die Waffe erheben, sind fanatische Gotteskrieger auf der Gehaltsliste des Hauses Saud oder Katars; man denke etwa an Scheich Ibrahim al-Menaei, der der Sinai-Stammesunion vorsteht, und Anfang September die Zerstörung ägyptischer Häuser an der Grenze zum Gazastreifen sowie die Zerstörung der darunter verlaufenden Tunnel öffentlich als »extrem gefährlich und barbarisch« verurteilt hatte.

 

Nein, es ist vielmehr die Situation der Khalafs und anderer Großfamilien. Sie waren vor und sind auch nach dem Sturz Hosni Mubaraks Bürger zweiter Klasse. Die desolate wirtschaftliche Situation auf dem Sinai und damit die Perspektivlosigkeit sind der Nährboden, auf dem die Kriminalität und die Gewaltbereitschaft prächtig gedeihen. Mit Erschießungen, Folter und Massenverhaftungen wird die ägyptische Armee langfristig also keinen Erfolg haben.

 

Auf den Punkt gebracht: General Sisi und die Seinen müssen eine Strategie entwickeln, wie sie das Land einen wollen. In Kairo und Alexandria mag der Putsch des Militärs begrüßt worden sein, verständlicherweise auch landesweit von vielen Kopten. Im Nildelta und der Peripherie des Sinai wird mehr Gewalt seitens des Staates jedoch nicht zu einer besseren Zukunft für alle Bürger dieser uralten Nation führen. Im Gegenteil. Deshalb erscheint es gegenwärtig und endgültig, als gelte für die ägyptische Demokratie: Mors certa, hora incerta.

Von: 
Dominik Peters

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