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Ausstellung »Jerusalem ganz nah – Bilder aus der Heiligen Stadt«

Statik, Stein und keine Politik

Feature

Jenseits von Konflikt und Klischee präsentiert »Jerusalem ganz nah – Bilder aus der Heiligen Stadt« eine architektonische Vielfalt aus drei Blickwinkeln. Die Ausstellung ist noch bis zum 23. April in Leipzig zu sehen.

»Ich führe eine architektonische Beziehung zu Jerusalem«, so Wolfgang Hocquél, Geschäftsführer der Kulturstiftung Leipzig und Initiator der Ausstellung »Jerusalem ganz nah – Bilder aus der Heiligen Stadt«. Bei einem Gang durch die Foto-Ausstellung in den Räumen der Alten Nikolaischule Leipzig wird einem klar, was eine »architektonische Beziehung« sein kann.

 

Jerusalem. Die Heilige Stadt. Allein ihr Name verleiht dieser Stadt eine heilige Aura immensen Ausmaßes, welche man nicht immer gewillt ist zu hinterfragen – dies wird schon zur Genüge getan. Werden alle politischen Hintergründe und Zwistigkeiten beiseite gelassen, so sieht man auf dem Panoramabild von Petra und Jürgen Kunstmann eine Stadt, die sehr wohl alt, deswegen geschichtsträchtig ist, und etwas zu erzählen hat. Auf der gut zwei Meter breiten Aufnahme, die im Treppenhaus der Alten Nikolaischule hängt, liegt der Standpunkt des Betrachters auf dem Ölberg, direkt gegenüber der Altstadt. Er war der Ausgangspunkt des Ausstellungsprojekts und ist es auch für den Rundgang.

 

Die 1899 auf dem Ölberg errichtete Himmelfahrtskirche in Jerusalem ist bekannt für ihr hauseigenes Hospiz und den 2010 neu restaurierten Kaisersaal. Dass sich die Stadt Leipzig nicht nur mit technischem Know-how sondern auch finanziell an der Restaurierung beteiligte, war nur einer der Gründe für die Initiierung der Foto-Ausstellung. Die Fotografen Petra und Jürgen Kunstmann wurden von Hocquél damit beauftragt, die restaurierte, neo-romanische Kirche ins Bild zu setzen. Dabei wurde klar, dass die Kirche an sich und die Aussicht auf die Altstadt noch viel mehr an architektonischen Details bieten, die fotografisch festgehalten werden müssen.

 

Die heilige Aura der Stadt ist nicht nur eine Floskel

 

Petra und Jürgen Kunstmann fotografierten folglich eine Woche lang die Altstadt Jerusalems und zeigen nun Fotos in der Ausstellung, die ihre persönliche Herangehensweise widerspiegelt. Es sind Bilder, die dem Betrachter die architektonische Vielfalt der Stadt aufzeigen sollen. Armenische, griechisch-orthodoxe, evangelische Kirchen – alle auf der gleichen Aufnahme. Die heilige Aura der Stadt ist also nicht nur eine Floskel.

 

Es sind weniger Schnappschüsse einer Stadt als vielmehr auf Details gezielte Aufnahmen. Innenaufnahmen der Himmelfahrtskirche, Ecken der Altstadt und Aufnahmen von drei deutschen Kirchen, die im Stadtbild äußerst präsent sind. Ihre Arbeit konzentriert sich auf die christlichen Viertel der Stadt – nicht zuletzt, weil ihnen der Zugang zum Tempelberg durch die Behörden verwehrt wurde. Abhelfen konnte Mahmoud Dabdoub.

 

Mahmoud Dabdoub, libanesischer Fotograf aus Leipzig, hegte schon lange den Traum, seine Familie im Westjordanland zu besuchen. Hocquél beauftragte Dabdoub, den Tempelberg architektonisch festzuhalten. So konnte er einen persönlichen Traum mit einem beruflichen Auftrag verbinden und reiste nach Jerusalem.

 

Drei Tage lang fotografierte er hauptsächlich auf dem Tempelberg und in den muslimischen Vierteln. Er zeigt Nahaufnahmen des Felsendoms, der Al-Aqsa-Moschee und der heftig umstrittenen israelischen Ausgrabungsstätte unterhalb des Tempelberges. Wer darin kein Politikum sieht, muss dies auch nicht – Dabdoubs Aufnahmen beschränken sich auf die Architektur. Sie sind nach seinen eigenen Aussagen »dokumentarisch – auch wenn dokumentarisch persönlich ausgelegt werden kann.«

 

Ohne die Zusammenarbeit mit Dabdoub wäre das architektonische Abbild Jerusalems nicht vollständig geworden. Darin eine christlich-muslimische Partnerschaft sehen zu wollen, die zum Erfolg des Projekts geführt habe, wäre übertrieben und der Sache nicht dienlich. Bemerkenswert ist aber die Tatsache, dass die vielen Gesichter und Geschichten einer Stadt den Prozess einer Foto-Ausstellung mit beeinflussen können. Fotografen mit verschiedenen Hintergründen und verschiedenen Ansätzen waren dafür unabdingbar.

 

Auf die ausgeblendete Politik kann man gut verzichten

 

Welches die Ansätze des dritten Fotografen, Bruno Hentschel waren, bleiben im Dunkeln. Auch über seine Person ist wenig bekannt. Der Leipziger Verleger – oder Fotograf – dürfte Ende des 19. Jahrhunderts eine Orientreise unternommen haben, weil dies »zum guten Ton« gehörte, so Hocquél. Die wenigen ausgestellten Bilder Hentschels stehen ebenfalls in dieser Tradition, die von Neugier und zeitgleich gewisser Überheblichkeit geprägt war.

 

Mit Hentschel schließt sich ein großer Kreis, viele verschiedene Geschichten kommen zusammen. Der Leipziger Hentschel, der im heiligen Land unterwegs war, erscheint in der Ausstellung der Leipziger Kulturstiftung, welche die Restaurierung der Himmelfahrtskirche in Jerusalem unterstützte. Der libanesische Fotograf Dabdoub ergänzt das Bild der Stadt, weil er in Jerusalem auf Grund seiner Herkunft über andere Privilegien als die Fotografen Kunstmann verfügt.

 

Wer sich daraus eine Kulturen übergreifende Geschichte zurechtzimmern will, kann dies tun, denn Jerusalem ist das geeignete Pflaster dazu – obwohl es nicht das Ziel der Kulturstiftung war. Der Ansatz, ein architektonisches Bild zu liefern, ist gelungen – so stark, dass man sich manchmal mehr Nähe denn Distanz und mehr Leben denn Statik wünscht. Auf die ausgeblendete Politik aber kann man gut verzichten. Die vielen Ein- und Ansichten eines architektonischen Tummelplatzes helfen einem genauso darüber hinweg, wie auch die nüchterne Schönheit einer Stadt aus Stein.


Die Alte Nikolaischule in Leipzig zeigt die Ausstellung »Jerusalem ganz nah - Bilder aus der Heiligen Stadt« noch bis zum 23. April 2012. Öffnungszeiten: täglich außer montags und freitags, 12 bis 17 Uhr.

www.kulturstiftung-leipzig.de

Von: 
Philipp Meier

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