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Arabische Bevölkerung in Israel

Keine Moschee und keine Weihnachtsbäume

Feature

Der Anteil der arabischen Bevölkerung in Israel bleibt ein Politikum. Manch ein rechter Lokalpolitiker versuchte während der Kommunalwahlen im Oktober daraus Kapital zu schlagen.

Im bunten Bevölkerungsmosaik Israels geht es bei Lokalwahlen häufig um mehr als um städtische Dienstleistungen. Sie sind auch ein Spiegel für die identitären Konflikte des Landes und das spannungsgeladene Verhältnis zwischen der jüdischen Mehrheit und der arabischen Minderheit. Auch die Kommunalwahlen Mitte Oktober waren nicht frei von Politikern, die den Geist nationalistischer Ressentiments aus der Flasche ließen.

 

Der Likud-Kandidat in der nordisraelischen Stadt Karmiel versuchte bei den Wählern zu punkten, indem er die Bedrohung vor einem wachsenden Zuzug von Arabern aus dem Umland in die Stadt beschwörte. Der Großteil der Bevölkerung sind Neueinwanderer, vor allem aus der ehemaligen Sowjetunion, nur ungefähr 10 Prozent der Einwohner Karmiels sind Araber. Dennoch sieht Likud-Kandidat Koron Neumark den jüdischen Charakter der Stadt in existenzieller Gefahr: »Wenn mehr Araber kommen, werden Juden wegziehen, und wir werden eines Tages einen arabischen Bürgermeister haben. Karmiel kämpft 2013 für sein Überleben als jüdische und zionistische Stadt.«

 

Ähnlich klar positionierte sich auch der Bürgermeister von Nazareth Illit gegenüber dem Zuzug von Arabern aus dem talabwärts gelegenen Nazareth, der größten arabischen Stadt in Israel. Die Wohnungen in Nazareth Illit sind verhältnismäßig preiswert, so erlebte die Kommune ähnlich wie Karmiel in den 1990er Jahren einen massiven Zuzug von Neueinwanderern. Wie in vielen israelischen Provinzstädten ist es heute üblich, Russisch auf der Straße zu hören.

 

In den letzten Jahren sind auch einige tausend Araber aus dem engen, ohne Bebauungsplan und auf wenig Fläche gewachsenen Nazareth in die weiträumigere Kommune auf der Bergkuppe umgezogen. Doch mehr sollen es nicht werden, wenn es nach Bürgermeister Shimon Gapso geht: Er lehnte während seiner Amtszeit nicht nur den Bau einer Moschee ab, sondern auch die Einrichtung einer arabischsprachigen Schule und sogar das Aufstellen von Weihnachtsbäumen. In Karmiel zirkulierte die Likud-Kampagne im Wahlkampf das Gerücht eines geplanten Moschee-Baus am höchsten Punkt der Stadt. Bei einer Befragung der arabischen Einwohner stellte sich heraus, dass dort niemand ein solches Bauvorhaben angestrebt hatte.

 

Die »demografische Bedrohung« in Galiläa

 

Die harschen Wahlkampf-Kampagnen rechtsgerichteter Politiker gegen arabischen Zuzug in mehrheitlich jüdische Kommunen sind jedoch nicht mehr als der Spiegel eines viel älteren Phänomens: Der Bevölkerungsanteil von Arabern im Land ist seit der Staatsgründung Israels ein Politikum. Das Schlagwort »demografische Bedrohung« ist für viele Israelis synonym mit der arabischen Bevölkerung in Israel.

 

Derzeit beträgt der Anteil der arabischen Bevölkerung Israels etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung von 8 Millionen. Ihr Bevölkerungsanteil im Großraum Tel Aviv und im Süden des Landes ist eher niedrig, in Jerusalem und im Norden deutlich höher. In Galiläa, dem nördlichsten Distrikt, in dem Karmiel und Nazareth Illit liegen, stellen sie mit 700.000 Menschen die Mehrheit der 1,3 Millionen Einwohner.

 

Der hügelige Norden des Landes mit seinen Olivenhainen und zahlreichen arabischen Ortschaften war nach der Staatsgründung Israels aus der Perspektive der demographischen Strategen ein Problemfall. So legte man in den 1950er Jahren gezielt jüdische Städte in vorwiegend arabisch besiedelten Regionen an. Mit den sogenannten »Entwicklungsstädten« versuchten die Behörden zwei Herausforderungen Herr zu werden: Zum einen der Unterbringung der aus arabischen Ländern geflohenen Juden insbesondere in den frühen Jahren nach der Staatsgründung. Und zum anderen der Kontrolle des Landes durch gezieltes Ansiedeln von jüdischen Neueinwanderern in periphere Regionen und überwiegend arabisch besiedelte Landesteile.

 

Am unteren Ende der sozio-ökonomischen Skala

 

Ein Teil des Landes für Entwicklungsstädte wie Karmiel oder Nazareth Illit wurde von benachbarten arabischen Dörfern enteignet. Dies stellt die Bewohner der arabischen Dörfer bis heute vor Probleme: Das Gemeindeland verfügt oft über so wenig Fläche, dass das natürliche Wachstum der Dörfer eingeschränkt ist. Neubauten werden häufig innerhalb der Orte umgesetzt, was die Ortschaften weiter verdichtet. Gebäude, die am Ortsrand außerhalb des Gemeindelandes stehen, sind offiziell illegal und somit der Gefahr eines Abrisses ausgesetzt.

 

Die gegensätzlichen Ortsbilder der dichten und ohne Bebauungsplan gewachsenen arabischen Dörfer und der weiträumig angelegten Entwicklungsstädte und Kibbutzim mit ihren Grünflächen fallen sofort ins Auge. Die Unterschiede zwischen jüdischen und arabischen Ortschaften sind jedoch nicht nur augenscheinlich, sondern bilden auch ein klares sozio-ökonomisches Gefälle ab: 36 der 40 ärmsten Kommunen in Israel sind arabische Ortschaften.

 

Die Arbeitsmöglichkeiten im Umfeld der arabischen Dörfer sind gering, es gibt keine Gewerbegebiete mit Firmenansiedlungen und kaum Sekundärschulen. Selbst in der größten arabischen Stadt Nazareth mit seinen 80.000 Einwohnern gibt es bisher kaum eine weiterführende Bildungseinrichtung. Die Planungen für die erste arabisch-sprachige Universität Israels in Nazareth laufen erst jetzt an.

 

Araber fliehen in die jüdischen Provinzstädte

 

So liegt nicht nur die Quote der Universitätsabsolventen unter arabischen Israelis deutlich unter jener ihrer jüdischen Mitbürger, sondern auch das arabische Durchschnittseinkommen. Die Armutsquote unter israelischen Arabern liegt bei über 50 Prozent. Damit stehen israelische Araber zusammen mit den Neueinwanderern aus Äthiopien und einem Teil der Neuankömmlinge aus der ehemaligen Sowjetunion am unteren Ende der sozio-ökonomischen Skala.

 

Doch Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Arbeitsmöglichkeiten in den arabischen Ortschaften waren bisher für keine israelische Regierung eine Priorität. Für manche Politiker des rechten Lagers widerspricht eine Förderung der arabischen Bevölkerung schlichtweg der Staatsräson des Landes als jüdischer Staat.

 

Die fehlenden Baumöglichkeiten, zu wenige Bildungseinrichtungen und ein angebotsarmer Arbeitsmarkt in den arabischen Ortschaften sind wesentliche Triebkräfte, die eine wachsende Zahl an Arabern in die nahegelegenen mehrheitlich jüdischen Städte ziehen lässt. Sofern die Eigentümer dort Wohnungen an Araber vermieten oder verkaufen, können sie dort zudem der Enge und sozialen Kontrolle ihrer Heimatdörfer entfliehen.

 

Die Segregation in den Köpfen

 

Das soziale Klima zwischen der jüdischen Mehrheit und der arabischen Minderheit ist dabei nicht in allen gemischten Städten so angespannt wie in Karmiel oder Nazareth Illit: Im traditionell eher links geprägten Haifa verzichteten im Wahlkampf selbst rechte Lokalpolitiker auf Anfeindungen gegenüber der arabischen Minderheit. Auf der umtriebigen Herzl-Straße im gemischten Stadtteil Hadar reihen sich arabische Bäckereien an russische Supermärkte, an der Universität Haifa sind mehr als die Hälfte der Studierenden Araber.

 

Doch die relativ friedliche Koexistenz in Haifa täuscht über den dominanteren Teil der Realität hinweg: Die Mehrheit der jüdischen und arabischen Bevölkerung lebt nach wie vor weitestgehend segregiert voneinander, in völlig jüdischen oder völlig arabischen Orten. Neben der Hauptstadt Jerusalem, in dessen Ostteil ungefähr 200.000 Araber leben, gibt es nur einige wenige gemischte Städte wie Haifa oder Akko und eine Handvoll an Kleinstädten mit einem geringen arabischen Bevölkerungsanteil.

 

Zu dieser räumlichen Distanz zwischen der jüdischen und arabischen Bevölkerung kommt ein Hang zur Segregation in den Köpfen, der vermutlich durch die zweite Intifada in den Jahren 2000-2005 noch verstärkt wurde. Laut einer im Jahr 2007 durchgeführten Umfrage des »Jewish-Arab Center« an der Universität Haifa vermeiden es zwei Drittel der jüdischen Befragten, durch arabische Ortschaften zu fahren.

 

Die Mittäterschaft arabischer Israelis bei Anschlägen auf Zivilisten während der Intifada-Jahre trug dazu bei, das lange verbreitete Bild der arabischen Minderheit als potentiell gefährliche »fünfte Kolonne« der feindlich gesinnten arabischen Nachbarländer wiederzubeleben. Von der Staatsgründung bis zum Jahre 1966 wurden die arabischen Orte als Sicherheitsproblem betrachtet und standen unter Kriegsrecht. Die volle rechtliche Gleichberechtigung kam erst nach 1966.

 

Misstrauen – der Nachhall der zweiten Intifada

 

Dafür geriet in den Folgejahren das Bild der arabischen Bevölkerung als »demografische Zeitbombe« für den jüdischen Staat in Umlauf. Da die Geburtenrate der arabischen Minderheit bis in die 1990er Jahre weit über jener der jüdischen Bevölkerung lag, prognostizierten manche Demoskopen, Araber würden zur Jahrtausendwende die Mehrheit der israelischen Bevölkerung stellen würden.

 

Manch ein Politiker des rechten Lagers bedient sich heute nach wie vor dieses Angstszenarios, um beispielsweise – wie in Karmiel oder Nazareth Illit – den Zuzug von Arabern in die Stadt zu verhindern. Doch aktuelle statistische Erhebungen suggerieren einen anderen Trend: Der Anteil der jüdischen Bevölkerung in Israel wird stabil zwischen 75 und 80 Prozent der Gesamtbevölkerung bleiben.

 

Die wesentlichen Gründe dafür sind zweierlei: Die Masseneinwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, die bis Ende der 2000er Jahre zu einer Immigrationswelle von einer Million Menschen anstieg, und der beträchtliche Rückgang der arabischen Geburtenrate. Mittlerweile liegt sie nur noch unwesentlich über dem Geburtenniveau jüdischer Israelis, welches wiederum angestiegen ist.

 

Diese veränderten Trends in der Bevölkerungsentwicklung haben dazu geführt, dass manche israelische Wissenschaftler die lange als Faktum angesehene These der »demografischen Zeitbombe« durch die arabischen Israelis nunmehr als Mythos bezeichnen. Zwar sind derzeit ein Viertel der Neugeborenen in Israel Kinder muslimischer Eltern, doch die Bevölkerungsgruppe mit der höchsten Geburtenrate in Israel sind nicht mehr muslimische Araber, sondern ultra-orthodoxe Juden. Unter arabischen Christen und Drusen, die zusammen ungefähr 300.000 Menschen zählen, liegt die Geburtenrate sogar unter jener jüdischer Israelis.

 

Die Mehrheit der arabischen Bevölkerung zieht Israel einem Palästinenserstaat vor

 

In der Haltung der arabischen Bevölkerung zum jüdischen Staat zeichnet sich ein ambivalenter Trend ab, wie Meinungsumfragen der letzten Jahre nahelegen. Einerseits würde eine konstante der Mehrheit der Befragten ihre israelische Staatsbürgerschaft nicht für die eines neu geschaffenen Palästinenserstaates abgeben. Die Angst vor einem Bevölkerungstransfer von Teilen der arabischen Bevölkerung in einen zukünftigen Palästinenserstaat ist weit verbreitet.

 

Andererseits würden laut einer aktuellen Umfrage aus diesem Sommer knapp 60 Prozent der israelischen Araber eine dritte Intifada befürworten, sollten die Friedensverhandlungen weiter auf der Stelle treten und sich auch die Situation der Araber in Israel nicht wesentlich verbessern. Sammy Smouha, der als Vorsitzender des »Jewish-Arab-Centers« für die Auswertung der Meinungserhebungen zuständig ist, sieht darin einen doppelten Trend: Einen gestiegenen Pragmatismus unter israelischen Arabern, ebenso wie eine gewachsene Entfremdung mit dem israelischen Staat.

 

Zwar seien sie zu »Teilhabern« der israelischen Gesellschaft geworden, die ein Interesse an der Stabilität, Sicherheit und den sozialen Dienstleistungen haben, die ihnen der israelische Staat zur Verfügung stellt. Doch auf der anderen Seite hat sich das Verhältnis zwischen Arabern und Juden in Israel seit dem Ende der Regierungszeit von Jitzhak Rabin in den 1990er Jahren merklich verschlechtert. Zu einem Kollisionskurs, von dem viele israelische Akademiker ausgehen, muss es dennoch nicht kommen, sagt Sammy Smouha. »Er ist vermeidbar, doch das steht und fällt mit der Politik der Regierung gegenüber der arabischen Minderheit.«

Von: 
Martin Hoffmann

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