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Antiterrorkampf in Ägypten

Angriff ist die beste Verteidigung

Analyse

Die ägyptische Regierung sieht sich als Vorkämpferin gegen islamistische Bewegungen in der Region. Nach den Luftangriffen in Libyen versucht die Regierung nun eine größere Koalition für ihre Variante des Anti-Terror-Kampfes zu gewinnen.

Nach den Luftschlägen der ägyptischen Luftwaffe in Libyen ging die Regierung in Kairo auch in die diplomatische Offensive. Mitte Februar sprach Ägyptens Präsident Abdulfattah Al-Sisi von der Notwendigkeit einer militärischen Intervention gegen Dschihadisten in Libyen – und verwies dabei auch auf die Bedrohung, die diese für Europa darstellten. Da diese Aufforderung bei westlichen Regierungen bislang nur auf wenig Zustimmung stieß, präsentierte Ägyptens Außenminister Sameh Shoukry wenige Tage später eine abgeschwächte Variante gegenüber den Vereinten Nationen.

 

Das ägyptische Ansinnen sieht vor, das 2011 gegen Libyen verhängte Waffenembargo aufzuheben und die Milizen der nach Tobruk geflohenen Regierung mit Waffen auszustatten. Gleichzeitig soll eine Seeblockade gegen die Milizenkoalition »Morgenröte« verhängt werden, die unter anderem die Hauptstadt Tripolis kontrolliert. Während des Besuchs des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Kairo Anfang Februar seien von Seiten ägyptischer Diplomaten bereits russische Waffenlieferungen an die Regierung in Tobruk eingefädelt worden, schreibt das Magazin Al-Monitor.

 

Dem ägyptischen Vorschlag zufolge soll eine internationale Koalition zudem bereit sein, die Regierung in Tobruk gegebenenfalls mit Militärschlägen zu unterstützen. Wenige Beobachter gehen davon aus, dass der ägyptische Vorstoß zum jetzigen Zeitpunkt Erfolg haben wird. Die meisten westlichen Regierungen stehen einer direkten Einmischung in den libyschen Machtkampf skeptisch gegenüber und plädieren für einen diplomatischen Annäherungsprozess zwischen den beiden Machtblöcken in Libyen.

 

Eine Regierung der nationalen Einheit sei am besten imstande, die dschihadistischen Gruppen in Libyen zu bekämpfen, so lässt sich die Position der meisten westlichen Regierungen zusammenfassen. Auch innerhalb der Arabischen Liga, die Mitte Februar zu Libyen tagte, herrscht kein Konsens über die Vorgehensweise in Libyen. Die meisten Staaten sprachen zwar ihr Verständnis für die ägyptischen Luftschläge gegen mutmaßliche IS-Stellungen in Libyen aus, doch mit Katar gab es auch eine Ausnahme.

 

Der Golfstaat unterstützte bisher die »Morgenröte«-Milizen im Westen des Landes, die sich aus zahlreichen mehr oder weniger islamistisch gesinnten Gruppen zusammensetzen, und protestierte gegen eine Einmischung zugunsten der Tobruk-Regierung und der ihr loyalen Milizenkoalition unter General Khalifa Haftar. Katars Widerspruch spiegelte einmal mehr den Graben wider, der zwischen Ägypten und dem Golfstaat seit der Machtübernahme des ägyptischen Militärs herrscht.

 

Katar unterstützte während der Amtszeit Muhammad Mursis dessen Regierung mit großzügigen Finanzhilfen und setzt auch in Libyen auf Milizen, die den Muslimbrüdern ideologisch nahestehen. Katars Zwischenruf erntete wütende Reaktionen von ägyptischer Seite. Tarek Adl, Ägyptens Gesandter bei der Arabischen Liga, warf Katar vor, den internationalen Terrorismus zu unterstützen und die Einheit der Liga zu untergraben – woraufhin Katar postwendend seinen Botschafter aus Ägypten abzog.

 

Es besteht wenig Zweifel daran, dass sich die ägyptische Regierung als Vorkämpferin gegen islamistische Bewegungen in der Region sieht, unabhängig davon, ob es sich um militante Dschihadisten oder vergleichsweise moderate Muslimbrüder handelt. Über das Versprechen, die islamistischen Bewegungen in Ägypten zurückzudrängen und Sicherheit zu garantieren, bezieht die Regierung Sisi den Großteil ihrer innenpolitischen Legitimation – und erntete von einem großen Teil der ägyptischen Bevölkerung einen Vertrauensvorschuss.

 

Die Bilanz der Anti-Terror-Einsätze auf dem Sinai bleibt fragwürdig

 

Die Priorität auf dem Kampf gegen den Terrorismus zieht Ägyptens Regierung auch vor der eigenen Bevölkerung als Begründung heran, warum in vielen anderen Bereichen die Verbesserung nach wie vor ausbleibt. Viele Bereiche des ägyptischen Lebens bleiben marode: Der wirtschaftliche Aufschwung lässt trotz Finanzspritzen aus dem Golf weiterhin auf sich warten, regelmäßig ereignen sich desaströse Unfälle auf ägyptischen Straßen und durch exzessive Polizeigewalt sterben immer wieder Menschen – wie zuletzt 22 jugendliche Fußballfans der Kairoer Mannschaft Zamalek vor einem Stadion in der Hauptstadt. 

 

Doch selbst im Anti-Terror-Kampf ist die Bilanz der Regierung Sisi fragwürdig. Zwar blieben große Terroranschläge im ägyptischen Kernland im vergangenen Jahr aus, doch erst im Januar kam traf den Nordsinai eine fatale Anschlagsserie, bei der 30 Menschen starben, die Hälfte von ihnen Zivilisten. Laut Quellen aus dem ägyptischen Generalstab verfolgt das Militär auf dem Sinai eine kontraproduktive Strategie. Die Nachrichtenseite Al-Monitor zitiert anonym einen ägyptischen General, der die Vorgehensweise des Militärs scharf kritisiert.

 

Er berichtet von einem starken Erfolgsdruck, dem die Militärs ausgesetzt sind – und der in der Praxis vor allem dazu führt, dass Angehörige der Beduinenstämme verhaftet und gefoltert und deren Häuser zerstört werden. Dies wiederum verstärke die Ressentiments der Beduinen gegenüber dem ägyptischen Staat – obwohl ohne die ortskundigen Beduinen die dschihadistischen Strukturen auf dem Sinai kaum ausfindig gemacht werden können.

 

Die Luftschläge dienen dem Image der Regierung Sisi

 

Vieles darauf hin, dass angesichts ausbleibender innenpolitischer Erfolge die Intervention in Libyen der ägyptischen Regierung immerhin ihrem gewollten Image als Bollwerk gegen dschihadistische Gruppen neuen Aufwind verleihen. Laut einer Umfrage des ägyptischen Meinungsforschungsinstituts Baseera unterstützen 85 Prozent der Ägypter die Luftschläge. Doch in Teilen der ägyptischen Gesellschaft regte sich auch Kritik, dass die Regierung nicht viel früher reagierte.

 

Die Entführung der koptischen Christen in Sirte wurde bereits ungefähr zwei Monate zuvor bekannt, doch erst nach der Veröffentlichung des Enthauptungsvideos entschied sich die Regierung, gegen die Islamisten vorzugehen. Entführungen und Ermordungen von koptischen Ägyptern hatten sich vor allem in der Stadt Sirte in den Monaten zuvor immer wieder ereignet. Doch nun steigt auch die Angst vor Vergeltungsangriffen auf Ägypter in Libyen, unabhängig davon, ob sie Kopten oder Muslime sind.

 

In Ägypten existieren keine aktuellen Statistiken über die Anzahl der ägyptischen Gastarbeiter in Libyen, so schwanken die Schätzungen zwischen 500.000 und einer Million. Ägypter stellen historisch gesehen die größte Gruppe an Gastarbeitern in Libyen. Vor dem Aufstand gegen Gaddafi lebten rund zwei Millionen von ihnen im deutlich wohlhabenderen Libyen – damit war jeder vierte Einwohner des Landes Ägypter. Viele von ihnen kommen aus dem armen Oberägypten, wo auch der Anteil der koptischen Bevölkerung überproportional hoch ist.

 

Exodus ägyptischer Gastarbeiter aus Libyen

 

Nach den ägyptischen Luftschlägen in Sirte hatte die Milizenkoalition »Morgenröte« die in Libyen lebenden Ägypter aufgefordert, das Land »zu ihrer eigenen Sicherheit« binnen 48 Stunden zu verlassen, wie die ägyptische Zeitung Al-Ahram berichtet. Die Regierung richtete daraufhin eine Notfallhotline ein. Am 21. Februar strömten laut Al-Ahram 3.000 Ägypter innerhalb eines Tages über den libysch-ägyptischen Grenzübergang bei Al-Salloum.

 

Auch die staatlichen Gewerkschaften Ägyptens, Tunesiens und Libyens haben sich zusammengetan, um gegebenenfalls eine Evakuierung von Ägyptern aus Libyen vorzubereiten. Doch wieso lässt die ägyptische Regierung Luftangriffe im Nachbarland fliegen, obwohl sie nicht willens oder in der Lage ist, durch eine Intervention der eigenen Armee die Machtverhältnisse in Libyen nachhaltig zu beeinflussen? Eine Antwort darauf gab Präsident Sisi in einer am 22. Februar übertragenen Fernsehansprache selbst. Darin dankte er Saudi-Arabien, Kuwait, Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Jordanien für ihre Unterstützung und plädierte für den Aufbau einer Arabischen Eingreiftruppe.

Von: 
Martin Hoffmann

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