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Al-Jazeera Englisch versus Al-Jazeera Arabisch

Zwei Seiten einer Medaille?

Analyse

Al-Jazeera Englisch, Al-Jazeera Arabisch: Mit zwei Programmen begleitet der katarische Sender den Arabischen Frühling. Doch wie unterscheiden sich beide Kanäle und wenn ja, warum?

Egal wie man es dreht und wendet, spielte der arabische Fernsehsender Al-Jazeera eine entscheidende Rolle für die schnelle Ausbreitung der Anti-Regime-Proteste im Nahen Osten. Nicht unverdient wurde das arabischsprachige Programm von Al-Jazeera als die Stimme der Revolution bezeichnet, dessen engagierte Unterstützung den Sturz der Diktatoren maßgeblich begleitete. Das englischsprachige Programm wiederum hat sich durch den Arabischen Frühling als veritabler Konkurrent für die etablierten Nachrichtenkanäle CNN und BBC etabliert.

 

Immer wieder monieren Kritiker aber die anscheinend unterschiedlichen Leitlinien der Programme – oder sehen dahinter gar eine großangelegte Agenda. In seinem Artikel »The Two Faces of Al-Jazeera« kritisiert Oren Kessler die in seinen Augen angelegten doppelten Standards bei der Berichterstattung der beiden Kanäle. Der für arabische Angelegenheiten zuständige Redakteur der Zeitung Jerusalem Post vertritt die Ansicht, dass die von ihm unterstrichene ideologische Kluft, die das englische Programm von ihrem »bösen« Zwilling trennt, einen Maßstab zur Beurteilung der Integrität von Al-Jazeera abgibt. Laut dem Autor sei das englische Programm des Senders schlicht darauf spezialisiert, dem westlichen Publikum eine bürgerlich-liberale Berichterstattung vorzuspielen.

 

Im Grunde behauptet Kessler, dass während Al-Jazeera Englisch zumindest formell einen kritischen und informativen Journalismus betreibt, sich das arabische Programm weiterhin durch eine anti-westliche Haltung auszeichnet. Unter dem Deckmantel einer eigennützig interpretierten Meinungsfreiheit verbreite das arabischsprachige Programm extremistische Botschaften sowie anti-zionistische Hetzparolen. Im Kern ist seine Argumentation jedoch ein Frontalangriff gegen die als extremistenfreundlich empfundene Berichterstattungspolitik des arabischen Senders.

 

Meinung und Gegenmeinung

 

Im Gespräch mit zenith widerlegt der Al-Jazeera-Korrespondent Aktham Suliman Kesslers einseitige Diagnose, die dem Sender nichts anderes als eine »dissoziative Identitätsstörung« unterstellt. Konfrontiert mit dieser durchaus negativen Auslegung der bestehenden Unterschiede zwischen dem englischsprachigen und dem arabischsprachigen Kanal, erklärt Aktham Suliman, dass sich die beiden Programme schließlich an ein unterschiedliches Publikum wenden. In Anbetracht der Tatsache, dass die zwei Programme weitgehend unterschiedliche Zielgruppen ansprechen müssen, ist es nicht unberechtigt, die zu behandelnden Themen und Inhalte an die Bedürfnisse der jeweils relevanten Zuschauer anzupassen. Schließlich müssen die angebotenen Sendungen an unterschiedliche Geschmäcker appellieren.

 

Oft übersehen wird jedoch die Tatsache, dass sich das englischsprachige Programm nicht nur an das so genannte westliche Publikum richtet, sondern auch an die nicht-arabischstämmigen Muslime in Asien, denen die bunte und durchaus breite Themenabdeckung durch Al-Jazeera Englisch dementsprechend zusagt. Abgesehen von Differenzen bei der Schwerpunktauswahl durch die zuständigen Produzenten folgen die beiden Kanäle der gleichen politisch-ideologischen Linie bei der Programmgestaltung. Was jedoch nicht ausgeblendet werden kann, ist der höhere Professionalitätsgrad der Berichterstattung von Al-Jazeera Englisch, der nicht zuletzt der multidisziplinären und internationalen Zusammensetzung des hoch qualifizierten Mitarbeiterteams zu verdanken ist. Suliman beteuert jedoch gegenüber zenith, dass beide Kanäle in Zukunft noch näher aneinander wachsen werden.

 

Die ehemalige AJE-Mitarbeitern Stephanie Doetzer wiederum meint, dass sich die beiden Sender im Laufe des letzten Jahres angeglichen haben. »Natürlich gibt es auf Arabisch und Englisch nach wie vor große Unterschiede in der Art, Geschichten zu erzählen«, erzählt Doetzer, »doch die redaktionellen Linien sind nicht mehr so unterschiedlich wie früher. Seit dem Sturz Mubarak haben sich arabische und westliche Medien insgesamt angeglichen und somit auch die beiden Al-Jazeeras. Die beiden Sender sind eine Art Seismograph für internationale Medienkrieg – und momentan liegt die große Spaltung nicht so sehr zwischen arabischen und westlichen Medien, sondern eher zwischen arabischen und westlichen auf der einen Seite – und iranischen, russischen oder ›arabisch-schiitischen‹ Medien auf der anderen.«

 

Propagandawerkzeug der katarischen Königsfamilie?

 

Zu den meistverbreiteten Vorwürfen gehört die Aussage, dass Al-Jazeera ein inoffizielles Instrument der katarischen Außenpolitik darstellt und den Machtambitionen des kleinen Emirates zu Diensten steht. Und dessen geopolitischen Ambitionen sind nicht zu unterschätzen.

 

Während an der Spitze der Qatar Media Corporation, der Mutterorganisation von Al-Jazeera, Hamad bin Thamer Al Thani, ein entfernter Cousin des Emirs sitzt, wird als Pate des arabischen Nachrichtensenders immer noch der Emir selbst aufgeführt, Sheikh Hamad bin Khalifa Al Thani. Dieser hatte 1995 seinen eigenen Vater gestürzt und die Zensur im katarischen Informationsministerium zumindest formell abgeschafft. Er gründete den Sender, um der kleinen Halbinsel einen würdigen Platz auf der Landkarte zu verschaffen. Laut inoffiziellen Angaben finanziert Sheikh Hamad den Sender mit bis zu 400 Millionen Schweizer Franken im Jahr.

 

Eine Investition, die das Emirat zu einer ernstzunehmenden Regionalmacht aufsteigen ließ. Das komplizierte Beziehungsgefüge zwischen dem jungen Satellitensender und seinem Sponsor, dem Emir, das in seiner Natur dem zwischen einem Künstler und seinem wohlwollenden Mäzen ähnelt, lässt das Vorliegen eines ungeschriebenen »Deals« vermuten. Der Kern besteht wohl darin, dass der Sender kritische und unbequeme Berichterstattung über die Regierungsregime in den angrenzenden Golfstaaten schlicht zu meiden hat. Wie koscher hält sich jedoch der Sender an die vorgegebenen außenpolitischen Richtlinien Katars?

 

Testfall Bahrain

 

Vor dem Hintergrund, dass dem katarischen Nachrichtenkanal oft die intendierte Bevorteilung des sunnitisch-dominierten Lagers unterstellt wird, erweist sich Al-Jazeeras Berichterstattung zu der brutalen Niederschlagung der Proteste im mehrheitlich schiitischen Bahrain als besonders aussagekräftig bezüglich der angezweifelten Unabhängigkeit und Objektivität des Senders. Die Berichterstattungsintensität zu den Protesten auf dem Perlenplatz in Manama ist um einiges bescheidener ausgefallen. Vor allem verglichen mit der offensichtlichen Unterstützung des Senders für die Revolutionen in Tunesien, Ägypten und Libyen. Immer wieder ertönte in diesem Zusammenhang der Vorwurf, dass der Sender im Grunde an seiner angeblichen politischen Befangenheit scheiterte, ein unverfälschtes Bild zu der besorgniserregenden Lage im benachbarten Bahrain zu liefern.

 

Gewiss distanzierte sich das katarische Regime ganz bewusst von den sich vor ihrer Haustür abspielenden Unruhen. Wie die anderen Machthaber in den Golfstaaten ist der Emir genauso wenig an einem abrupten Umsturz des Status quo interessiert. Der befürchtete Domino-Effekt veranlasste das ansonsten in Syrien Menschenrechtsverletzungen anprangernde Emirat sich herauszuhalten.

 

Was jedoch von den Kritikern übersehen bleibt ist, dass Al-Jazeera zu den wenigen Medien gehörte, die als ausländisches Fernsehteam während der Proteste in Bahrain vor Ort war. Im August 2011 strahlte der englischsprachige Sender die bei weitem kritischste Dokumentation über den Aufstand in Bahrain aus. In der einstündigen Reportage »Shouting in the Dark« gab Al-Jazeera den im Schatten des ägyptischen und libyschen Frühlings protestierenden Bürgern Bahrains eine Ausdrucksplattform. Die bedrückenden Aufnahmen, welche die blutige Niederschlagung der Proteste aus unmittelbarer Nähe zeigen, sprechen für sich. Während sich der englischsprachige Sender mit dem Film profilierte, wurde er jedoch auf dem arabischen Sender bisher nicht gezeigt.

Von: 
Inna Veleva

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