Lesezeit: 7 Minuten
Abkommen zwischen Regierung und Tuareg in Mali

Ein bisschen Frieden

Analyse

Ein Abkommen zwischen Regierung und Tuareg soll die Weichen für die Präsidentschaftswahlen stellen. Eine langfristige Lösung muss alle Gruppen an Verhandlungen beteiligen – auch die, die ihre Interessen nicht mit Waffengewalt vertreten.

Nachdem die heiße Phase der französischen Intervention im Norden Malis zu Ende geht und in weniger als zwei Wochen die UN Friedenstruppe Minusma (»Mission multidimensionnelle intégrée des Nations Unies pour la stabilisation au Mali«) eintreffen wird, flammten Anfang Juni die Kämpfe in der nordöstlich gelegenen Region Kidal, Hochburg der Tuareg und Rückzugsort der säkularen Tuareg-Rebellengruppe MNLA (»Mouvement National de Libération de l’Azawad«) wieder auf. Auslöser waren Verhaftungen und Ausweisungen von Schwarzmaliern aus der Stadt Kidal durch die MNLA. Die malische Armee nahm daraufhin die Stadt Anefis, etwa 110 Kilometer südwestlich von Kidal ein und kündigte einen weiteren Vorstoß an. Knapp sechs Wochen vor dem ersten Wahlgang zur Wahl des Präsidenten – und dem Ende der Übergangszeit von etwas mehr als einem Jahr nach dem Putsch – gefährdete diese Eskalation die politische Stabilisierung Gesamtmalis.

 

Kidal als Symbol der Teilung Malis

 

Trotz der Einnahme Kidals durch die französische Armee Ende Januar galt Kidal in den Augen vieler Malier weiterhin als besetzt, da die Tuareg der malischen Verwaltung und der Armee den Zutritt versagten. Die Tuareg-Rebellen hatten sich widerstandslos ergeben, im Gegenzug hatte Frankreich den malischen Streitkräften den Zutritt zu verweigert, da Übergriffe gegen Tuareg befürchtet wurden. Mit dem näher rückenden Wahltermin für die Präsidentschaftswahlen am 28. Juli wurde die Kidal-Frage, die bereits seit Monaten unterschwellig brodelt, zum entscheidenden Faktor:– ein unvollständiges Wählerverzeichnis, die ungeklärte Frage, ob und wie die Flüchtlinge wählen können, eine immer noch teilweise prekäre Sicherheitslage im Norden – mit den zu erwartenden Defiziten hat man sich weitestgehend arrangiert und sie dem Ziel untergeordnet, mit der Wahl die Voraussetzungen für eine politische Stabilisierung herbeizuführen.

 

Die Einbeziehung Kidals in den Wahlprozess hingegen wurde zum Symbol der Wiederherstellung der Einheit Malis, gerade weil die MNLA auf Grund ihrer radikalen Forderungen, darunter der Abzug der malischen Armee aus dem gesamten Norden, sowie der verübten Menschenrechtsverletzungen als »Banditen« in der Bevölkerung wahrgenommen werden, die das ganze Land erpressen und internationale Beobachter mit einer professionellen PR-Kampagne täuschen.

 

 

Ein Übergangsabkommen zur vorläufigen Stabilisierung

 

Der Zeitpunkt der Eskalation war seitens der Rebellen nicht zufällig gewählt. Sie haben geschickt die symbolische Relevanz Kidals in dem Moment genutzt, als die Klärung im Zuge des Wahlvorbereitungsprozesses dringlich wurde und eine neue Verhandlungsrunde anstand. Wäre Kidal bei den Wahlen außen vor geblieben, hätte die Durchführung der Wahl in Gesamtmali Ende Juli auf der Kippe gestanden. Gerade die internationale Gemeinschaft befürwortet baldige Wahlen und setzte die malische Regierung entsprechend unter Druck. Nach schwierigen Verhandlungen einigten sich die MNLA und der HCUA (»Haut Conseil pour l’unité de l’Azawad«), eine neu gegründete Gruppe, die sich teilweise aus ehemaligen Tuareg-Rebellen zusammensetzt, mit der malischen Regierung am 18. Juni darauf, dass auch in Kidal im Juli über den nächsten Präsidenten mitabgestimmt werden kann.

 

Eine graduelle Rückkehr der malischen Armee nach Kidal soll unter Aufsicht der Afisma (»African-led International Support Mission to Mali«) beziehungsweise Minusma erfolgen, die Rebellen werden im Gegenzug ebenfalls unter ihre Kontrolle gestellt. Die Entwaffnung der Rebellen wird schrittweise erfolgen und soll erst nach einem endgültigen Friedensabkommen zum Abschluss kommen. Die genaue Umsetzung wird von einer neu eingesetzten Kommission noch ausgearbeitet werden müssen. Damit wird einer der umstrittensten Punkte der Verhandlungen zwar deklaratorisch gelöst, die Antwort auf die entscheidenden Fragen des Wie und Wann wird jedoch aufgeschoben. Das Abkommen bleibt somit bislang hinter der UN Resolution 2100 zurück, die die Entwaffnung der Rebellen vorsieht. Des Weiteren bezieht sich das Abkommen ausschließlich auf die Präsidentschaftswahlen und lässt die Frage der Durchführung der für September angesetzten Parlamentswahlen für Kidal offen.

 

Künftige Verhandlungen müssen alle Gruppen miteinbeziehen

 

Auch wenn das vorläufige Abkommen das entscheidende Hindernis zur Durchführung der Präsidentschaftswahlen Ende Juli beseitigt hat, ist damit noch keine nachhaltige Konfliktlösung gefunden. Die Beilegung der Krise war gekennzeichnet von Verhandlungen mit Rebellen, die über eine gewisse Repräsentativität in Kidal verfügen. Dies gilt jedoch nicht im gleichen Maße für die Tuareg in anderen Teilen des Nordens – ganz zu schweigen von den anderen Bevölkerungsgruppen im Norden. Insofern ist der im Abkommen postulierte Anspruch der Inklusivität für künftige Verhandlungen problematisch. Die »bewaffneten Gruppen im Norden« sollen künftig als Partner der malischen Regierung in der Interaktion mit Vertretern anderer Bevölkerungsgruppen fungieren.

 

So werden die Gruppen benachteiligt, die ihre Interessen nicht militärisch vertreten haben. Die noch ausstehenden Friedenverhandlungen werden die künftigen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Strukturen des Nordens zum Gegenstand haben. Nur ein inklusiver Ansatz, der gleichberechtigt Vertreter aller im Norden lebenden Bevölkerungsgruppen einschließt, kann nachhaltigen Frieden und Stabilität erzeugen. Richtig ist, dass es nur mit den Tuareg eine Lösung für den Norden geben wird. Bei den vorangegangenen Tuareg-Rebellionen wurde jedoch mehrfach der Fehler gemacht, verschiedene Tuareg-Clans gegeneinander auszuspielen und andere ethnische Gruppen, die gemeinsam die Mehrheit im Norden stellen, nicht in die Verhandlungen einzubeziehen. Dies verschärft und inner- und inter-ethnische Konfliktlinien. Gerade in der heterogenen Gemeinschaft der Tuareg, die in einem stark hierarchisierten Verhältnis zueinander stehen, das oft von Machtkämpfen gekennzeichnet ist, ist die Einbindung der moderaten Kräfte unerlässlich.

 

Erst der neu gewählte Präsident wird eine langfristige Lösung verhandeln können

 

Für tragfähige und nachhaltige politische Lösungen muss sich dieser inklusive Ansatz bis auf die kommunale Ebenen im gesamten Norden erstrecken. Ein solcher Verhandlungsrahmen würde eine gesellschaftliche Akzeptanz genießen und könnte Raum für die Diskussion unterschiedlicher politischer Konzepte – von einer verstärkten Dezentralisierung bis zu einer näher zu definierenden »Selbstbestimmung« bieten, solange die Einheit Malis nicht in Frage gestellt wird. Eine neu geschaffene »Kommission für Dialog und Versöhnung« soll zwar die gesellschaftliche Versöhnung auf kommunaler Ebene fördern, hat jedoch nicht das Mandat, sich direkt in Verhandlungen zu engagieren. Hierbei darf es nicht zu einer Entkopplung des gesellschaftlichen Versöhnungsprozess von künftigen Verhandlungen kommen. Eine langfristige Lösung der Krise im Norden wird erst der neu gewählte Präsident verhandeln können. Es wird an ihm sein, die Parameter für einen nachhaltigen Frieden richtig zu justieren.


 

Annette Lohmann,

leitet seit 2010 das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bamako.

 
Von: 
Annette Lohmann

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.