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Übergangspremier der syrischen Opposition Ghassan Hitto

Der syrische Salonlöwe

Portrait

Ghassan Hitto ist eine Fehlbesetzung: Der gegenwärtige Übergangspremier der syrischen Opposition eint die ohnehin offenen Reihen nicht. Deshalb muss Hitto Platz machen – für Neuwahlen und einen würdigen Vertreter.

Baschar al-Assad hat hinlänglich bewiesen, wes Geistes Kind er ist. Er war es, der vor mehr als zwei Jahren mit der Hilfe seiner Generalskamarilla und des eigenen usurpatorischen Clans das Schlachtermesser an die Pulsadern des syrischen Volkes angesetzt hat. Die  70.000 Toten und 1.3 Millionen Flüchtlinge, die der Syrien-Konflikt seit seinem Ausbruch gekostet hat, sprechen eine deutliche Sprache. Wie lange Assad mit der Unterstützung Russlands, Chinas und Irans sowie der Hizbullah noch auf der Klaviatur des Todes spielen wird, ist ungewiss; allzu fest sitzt er nicht mehr im Despotensattel.

 

Ein langer Weg vom levantinischen Schlachthaus zur Demokratie

 

Einzig: Was die Post-Assad-Ära bringen wird, ist ebenfalls ungewiss. Das Syrien von morgen ist heute nur schemenhaft zu erkennen und der Übergang vom levantinischen Schlachthaus zur Demokratie wird sicherlich nicht en passant verlaufen. Das liegt auch an der Opposition, deren heterogene Zusammensetzung dem multikulturellen Mosaik des Landes entspricht, die irgendwo zwischen Istanbul, Katar und Paris zu verorten ist – und Ghassan Hitto, ihrem Übergangspremier.

 

Hitto hat keinerlei Macht oder Befugnisse und kann mit seinem Titel allenfalls imposante Visitenkarten füllen. Man bedenke, wie seine Wahl Mitte März zustande kam: Nach 14-stündiger Beratung stimmten von den 63 infrage kommenden Mitgliedern der »Syrischen Nationalen Koalition« gerade einmal 48 überhaupt über die 12 Kandidaten ab, 35 von ihnen für Ghassan Hitto.

 

Allenfalls eine Fußnote in den Annalen der syrischen Geschichte

 

Der 1963 geborene syrische Kurde war bis zu seiner Wahl ein unbeschriebenes Blatt, schließlich zog es ihn bereits im Alter von 17 Jahren gemeinsam mit seinen Eltern in die USA. Dort lebte er seither im texanischen Wayne, gemeinsam mit seiner Frau Suzanne, die als Lehrerin arbeitet, und den vier Kindern – von denen einer, Obeida, nach Syrien auszog, um Assad die Stirn zu bieten. Hitto, der Informatik und Mathematik an der Purdue University studiert und einen MBA der Indiana Wesleyan University hat, die islamische Privatschule »Brighter Horizon Academy« unterstützte und Mitbegründer des Rechtsbeihilfe  »Muslim Legal Fund of America« ist, wird in den Annalen der syrischen Geschichte allenfalls eine Fußnote sein.

 

Bereits seit einem Monat im Amt, hat der Telekommunikations- und IT-Manager bis heute keinen Plan vorgelegt, wie eine Übergangsregierung für die bereits befreiten Gebiete aussehen soll; die Ankündigung, dass seine Regierung nicht nach politischem Proporz, sondern nach Fähigkeiten gebildet werden solle, kann getrost in die Floskeln-Schublade gesteckt werden.

 

Einer für alle – unrealistisch aber alternativlos

 

Wenn Ghassan Hitto – den die einen aufgrund seiner kurdischen Abstammung, andere aufgrund seines Exil-Daseins ablehnen und in dem wieder andere die Marionette der Muslimbruderschaft sowie Katars sehen – es nicht schafft, mit allen Gruppen einen Minimalkonsens zu finden, dann hilft nur eins: Der Nächste, bitte. Denn dieser syrische Salonlöwe ist nicht der richtige, er spaltet die ohnehin offenen Reihen und eint sie nicht.

 

Der syrische Bürgerkrieg wird weder heute noch morgen beendet sein. Leider. Umso wichtiger ist es nun, die Zeit bis zum Sturz Assads nicht mit Hitto zu verschwenden, sondern zu versuchen eine Persönlichkeit zu finden, die alle Parteien akzeptieren können – auch die radikalen. Das mag unrealistisch klingen, ist aber alternativlos. Denn selbst wenn der Assad-Clan erst einmal aus seinen Palästen gefegt sein wird, werden Gruppen wie jene selbsternannten Gendarme Gottes von der Jabhat Al-Nusra weiter Teil der syrischen Realität sein, ebenso wie bedrohte Minderheiten. Die Akteure, die heute auf den syrischen Schlachtfeldern zwischen Aleppo, Damaskus und Homs kämpfen, werden auch morgen, wenngleich dezimiert, noch da sein.

 

Der entscheidende Unterschied

 

Den Frust, die Trauer und die Hoffnungslosigkeit der Syrer werden die Schwächsten unter ihnen ausbaden müssen, von denen sich wiederum viele den vermeintlich Starken anschließen werden, um den Nutznießern von einst, so wie es diese taten, das Leben zur Hölle auf Erden zu machen. Kurzum: Der Kreislauf des Blutvergießens wird nicht durchbrochen werden. Wie man das nennt, ob »Libanisierung«, »Somalisierung« oder »Balkanisierung« des Landes, das macht keinen Unterschied.

 

Was indes einen Unterschied machen würde, wäre die Tatsache, dass die zivile Opposition, die beim Golfkooperationsrat sowie der Arabischen Liga mit einem oppositionellen Botschafter vertreten ist und von den wichtigen westlichen Staaten als »legitime Vertretung des syrischen Volks« anerkannt wird, einen gemeinsamen Nenner mit den unterschiedlichen Kampfgruppen der Opposition fände.

 

Auf den Punkt gebracht: Die Person zu finden, die Ghassan Hitto ersetzt, wenigstens übergangsweise für geschlossene Reihen sorgen und so das entstandene Machtvakuum ausfüllen würde, drängt mehr denn je. Sonst ist Assad – tot oder lebendig – weg, das Morden, die Massaker gehen indes weiter. Und eine neue Generation Syrer wächst auf blutgetränktem Boden in einem Ausnahmezustand Hobbes’schen Ausmaßes auf: Bellum omnium contra omnes. 

Von: 
Dominik Peters

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