Lesezeit: 7 Minuten
Ägyptens Salafisten

Die Wut der Dagegen-Islamisten

Analyse

Ägyptens Salafisten fordern ihre Vorstellung von öffentlicher Ordnung ein. Ihr Zorn richtet sich gegen unverschleierte Frauen und die Bauwerke der Pharaonen. Einige schrecken vor Gewalt nicht zurück – und auch Frauen gehören zu den Tätern.

Tatort: die Kairoer Metro, der Frauenwagon. Zum dritten Mal binnen einer Woche wurde unverschleierten (christlichen) Frauen in der Kairoer Metro auf brutale Weise die Haare abgeschnitten. Am Sonntag beschimpfte die Täterin eine 28-Jährige Christin als Ungläubige, schnitt ihr unter Gewalt die Haare ab und drängte sie aus der Metro, wobei sie ihren Arm brach. Alle Täterinnen waren schwarz verschleierte Frauen, die man wohl dem salafistischen Spektrum Ägyptens zuschreiben darf.

 

Für Salafisten, die erst am letzten Freitag auf dem Tahrir eine strengere Durchsetzung der Scharia forderten, ist das Tragen eines Kopftuches für alle Frauen Pflicht. Offenbar gehen einige in ihrem Eifer so weit, dass sie versuchen, dieses Gebot eigenmächtig mit Gewalt durchzusetzen. Auch wenn es sich dabei sicherlich nur um einen kleinen Teil der Salafisten handelt, so zeigen diese Fälle, dass sich doch schnell Trittbrettfahrerinnen finden lassen.

 

Modell für diese Art der Durchsetzung des Kopftuchgebots ist eine Lehrerin, die vor einigen Wochen einer christlichen Schülerin, die sich weigerte, ihr Haar zu verhüllen, einfach die Haare abschnitt. Die Eltern des 12-jährigen Mädchens aus Luxor klagten, die Lehrerin wurde zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt. Die Gefahr von ganz rechts außen ist nicht zu unterschätzen.

 

Die Angriffe von Salafisten auf Frauen erinnern viele an die frühen 1980er Jahre, als militante Salafisten im großen Stil Gewalt oder Säureangriffe gegen freizügig gekleidete Frauen anwendeten. »Ich erinnere mich noch sehr gut an meine Unizeit«, erzählt mir die Mutter eines Freundes. »Im ersten Jahr liefen wir immer mit leichter Bluse und Minirock herum, irgendwann wurden dann die Angriffe auf junge Frauen immer häufiger, wir hatten einfach Angst. Wir wussten von anderen Frauen, denen Säure auf die Beine oder sogar ins Gesicht geschüttet wurde. Die Röcke wurden immer länger und nach zwei Jahren sah der Campus komplett anders aus.«

 

Ein Klima wie zuletzt Anfang der 1980er Jahre

 

Kann man also als junge Frau ohne Kopftuch beruhigt Metro fahren? Sicherlich, allerdings bleibt ein Klima des Misstrauens. Viele sind erschrocken darüber, wie weit es schon gekommen ist. Eine Frau postete bei Facebook ein Video von Präsident Nasser aus den 1960er Jahren, der sich darüber lustig machte, dass die Muslimbrüder eine Kopftuchpflicht für alle Frauen forderten.

 

»Und dann sagt mir jemand von den Muslimbrüdern, ich solle dafür sorgen, dass alle Ägypterinnen Kopftuch tragen. Ja wo sind wir denn?«, ruft Nasser und der ganze Saal lacht über so eine absurde Forderung. Sie postet darunter: »Heute ist das kein Witz mehr. Heute werden christlichen Frauen in der Metro die Haare abgeschnitten. Traurig, dass wohin wir in Ägypten gekommen sind.« Es drückt aus, wie marginalisiert sich viele Liberale und Linke, besonders Frauen, im heutigen Ägypten angesichts der von Islamisten dominierten Politik fühlen. Doch nicht nur Frauen sind Ziel gewaltbereiter Extremisten.

 

Ein weiterer Dorn im Auge der Salafisten sind die Pyramiden und die Sphinx, die wohl bekanntesten Bauwerke und Heiligtümer der Pharaonen – und touristisches Aushängeschild Ägyptens. Der jihadistische Anführer Murgan Salem al-Gohary rief letzten Samstag zur Zerstörung der Pyramiden auf. »Alle Muslime sind aufgefordert, die Lehren des Islams, Götzenbilder zu zerstören, durchzusetzen, genau wie wir es mit den Buddhastatuen in Afghanistan getan haben, als wir sie zerstörten«, so Gohary in einem Fernseh-Interview.

 

Er selbst ist als mehrfach verurteilter Extremist bekannt, der unter anderem auch in Afghanistan gekämpft hat und bei der Zerstörung der Buddhastatuen mithalf. Die Sicherheitsbehörden nehmen die Drohungen sehr ernst, wie der Innenminister betonte, und täten alles um die Jahrtausende alte Erbe aus pharaonischer Zeit zu schützen.

 

Doch wie auf solche Drohungen reagieren? Ein tunesischer Geistlicher versucht es mit Argumenten: »Viele Herrscher der islamischen Reiche haben die Pyramiden nicht zerstört, also wer sind Sie, der sie jetzt zerstören will? Der Islam predigt die Zerstörung von Götzen, denen Menschen huldigen, die sie anbeten. Aber niemand betet die Pyramiden oder die Sphinx an.«

Von: 
Victoria Tiemeier

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.