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Lehren aus der Katar-Krise

Hier gibt es nichts zu gewinnen

Kommentar
Lehren aus der Katar-Krise
Blick auf Katars Hauptstadt Doha: Geht das Emirat gestärkt oder geschwächt aus der Konfrontation mit seinen Nachbarn am Golf heraus? Foto: Stian Overdahl

Saudi-Arabien und seinen Verbündeten gelingt es nicht, den aufmüpfigen Nachbarn in die Knie zu zwingen. Geht Katar also als Gewinner aus der Blockade-Krise heraus? Mitnichten, denn dafür sind die Golfstaaten viel zu sehr miteinander verflochten.

Die Blockade des selbsternannten »Antiterror-Quartetts« (neben Saudi-Arabien zählen dazu die VAE, Bahrain und Ägypten) gegen Katar zieht sich nun bereits seit anderthalb Jahren – ohne sichtbaren Ertrag. Diese Sackgasse hat viele Beobachter zu einer vorschnellen Diagnose verleitet: Dass Katar als »Gewinner« aus der Machtprobe hervorgegangen sei. Diese Dichotomie im Urteil mag dem verbalen Schlagabtausch geschuldet sein: Sowohl Katar als auch Saudi-Arabien haben Unsummen (einige Schätzungen beziffern die Ausgaben auf jeweils 1,5 Milliarden US-Dollar) in die Krisen-PR investiert. Statt ausgewogenen Analysen stand dabei die Diffamierung des Gegenübers ganz klar im Vordergrund.

 

Und so messen einige Experten dem Faktor Reputation viel zu große Bedeutung zu: Gesicht wahren oder verlieren – die Katar-Krise als Seifenoper oder schlechtes Reality-TV. Auch Hassan Hassan tappt in seinem Meinungsbeitrag »Qatar has won the Saudi Blockade« für die renommierte Foreign Policy in die Falle. »Ein Jahr später«, so Hassan, »hat Katar mehr Einfluss im Westen als je zuvor.« Wenn dem so wäre, wären Riads Sanktionen nicht längst Schnee von gestern? Beliebt ist auch die Sichtweise auf die Krise als Mikado-Prinzip: Wer sich bewegt, verliert.

 

Golf-Analyst Kristian Ulrichsen vom Baker Institute an der Rice University in Houston etwa argumentiert nach diesem Muster: »Auf allen Seiten herrscht ein solch starkes Gefühl von Verbitterung und Vertrauensbruch. Niemand will als derjenige gesehen werden, der zuerst zuckt.« Ähnlich äußert sich im selben AFP-Artikel Christopher Davidson, der an der englischen Durham University lehrt: »Der einzige Ausweg, der Katar bleibt, besteht darin, den ursprünglichen Forderungen der Blockade-Staaten nachzugeben.« Die Begründung, so Davidson weiter: »Nur so können Riad und Abu Dhabi ausreichend ihr Gesicht wahren und damit eine weitere Auflage der Krise verhindert werden.«

 

Derlei vereinfachte Beweisführungen werden der Komplexität der Katar-Krise nicht annähernd gerecht. Denn die Blockade steht lediglich am Ende einer Kette von außenpolitischen Fehlkalkulationen und Misserfolgen auf beiden Seiten. Und keine der beiden Seiten wird aus dieser Krise als Gewinner herausgehen können.

 

Außer den Medien, die entweder angewiesen oder dafür bezahlt werden, wollte oder konnte kaum jemand die Begründung für die Blockade überzeugend verteidigen

 

Der Konflikt am Golf trübt in vielerlei Hinsicht den Blick auf die außenpolitischen Fehlschläge der GCC-Staaten in den vergangenen fünf Jahren. Eine Reihe von Erklärungsmustern für die heutigen Frontstellungen sieht dafür die Machtverschiebung in Richtung der Golfstaaten als ursächlichen Faktor – angefangen vom Kollaps des Irak bis hin zum Arabischen Frühling. Das entstehende Machtvakuum versuchten dann vor allem Saudi-Arabien und Katar zu füllen. Doha unterstützte die aus katarischer Sicht populären Bewegungen – meistens die Muslimbrüder – während Saudi-Arabien sich dem entgegenstellte.

 

Doch besonders erfolgreich waren beide Seiten nicht: In Libyen, Tunesien, Syrien und Irak resultierten die Versuche, ihren Golf-Förderern genehme Regierungen einzusetzen, eher zu einem Verlust an diplomatischem Kapital. Zuletzt zeigt sich das vor allem in Syrien, wo weder die von Doha noch die von Riad unterstützten Gruppen die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen konnten und beide Golfstaaten letztlich erheblich an Einfluss verloren.

 

Und Saudi-Arabien schafft es seit 1995 – dem Beginn der Amtszeit des inzwischen abgesetzten Emirs Hamad Bin Khalifa Al Thani – nicht, Katars Ambitionen einzuhegen. Das hat sich Riad auch selbst zuzuschreiben, wie sich nicht zuletzt im Zuge der aktuellen Krise zeigte. Außer den Medien, die entweder angewiesen oder dafür bezahlt werden, wollte oder konnte kaum jemand die Begründung für die Blockade überzeugend verteidigen.

 

Die Schließung von Al-Jazeera und einer türkischen Militärbasis, die Abstufung der diplomatischen Beziehungen zu Iran – diese und weitere der insgesamt 13 Forderungen, die Riad und seine Partner am 22. Juni 2017 veröffentlichten, lesen sich eher wie die Friedensbedingungen nach einem gewonnenen Krieg und nicht wie eine ernst zu nehmende Grundlage für Verhandlungen. Und Katar als staatlichen Unterstützer von Terrorismus anzuprangern, der die gesamte Region destabilisiert, war besonders weit hergeholt.

 

Kein Wunder, dass katarische Offizielle das Papier umgehend als »weder begründet noch umsetzbar« zurückwiesen. Auf der anderen Seite scheint man auch auf saudischer Seite nie wirklich geglaubt zu haben, dass Katar seine regionalpolitische Ausrichtung verändern würde, selbst wenn das Emirat den Forderungen vom Sommer 2017 zugestimmt hätte.

 

Ist das Ziel der Blockade, Katar auf den Status eines zu Vasallen herabzustufen? Nein, es geht darum, das Emirat einen möglichst hohen Preis für seine politische Autonomie zahlen zu lassen

 

Nichts lässt derzeit darauf schließen lassen, dass die Krise am Golf in absehbarer Zeit beigelegt wird oder sich eine der beiden Seiten aktiv um eine Lösung bemüht. Der saudische Ex-Außenminister Adel Al-Jubeir, der im Rahmen der jüngsten Kabinettsrochaden in den nächst niedrigeren Rang versetzt wurde, sagte, dass Doha erst einmal Wiedergutmachung leisten müsse: »Der Ball ist in ihrem Feld.« Anwar Gargash, Außenminister der VAE, rechnet damit, dass die Blockade noch Jahre Bestand haben könnte. Alle vier Außenminister der Blockade-Staaten haben in den vergangenen Monaten unabhängig voneinander bekräftigt, den Boykott falls nötig auf unbestimmte Zeit aufrecht zu erhalten.

 

Die vier Blockadestaaten wissen inzwischen eine Reihe weiterer Ländern auf ihrer Seite in der Katar-Frage: die Malediven, Mauretanien, Senegal, die Komoren, Jordanien, die libysche Gegenregierung in Tobruk und die jemenitische Exil-Regierung von Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi. Wichtige Schlüsselalliierte scherten hingegen aus. Pakistan etwa, einer der wichtigsten Militärpartner für die Golfstaaten, ließ von schon zu Beginn der Blockade verlautbaren, dass man kein Interesse daran habe, die Beziehungen zu Doha abzubrechen.

 

Oder auch die Philippinen, die Katars Wirtschaft empfindlich hätten treffen können. Zwar hatte Manila im Juni 2017 einen Entsendestopp verhängt, diesen aber bereits eine Woche später aufgehoben. Noch mehr Gewicht hat aber die ambivalente Haltung Ägyptens: Kairo unterstützt die Blockade, hat aber die 200.000 Ägypter, die in Katar leben und arbeiten, nicht zur Rückkehr aufgerufen. Solch ein Schritt hätte Katar erheblichen Schaden zufügen können, da ägyptische Expats viele wichtige Posten auf mittlerer Führungsebene im Emirat besetzen, sowohl in der Verwaltung als auch in der Privatwirtschaft.

 

Einige Experten mutmaßen, dass das Ziel der Blockade sei, Katar im Wesentlichen auf den Status eines zu Vasallen herabzustufen. Meiner Meinung ging es aber vorrangig darum, Katar einen möglichst hohen Preis für seine politische Autonomie zahlen zu lassen.

 

Katar musste tief in die Tasche greifen, doch die Bargeldspritzen konnten den unmittelbaren wirtschaftlichen Schaden zumindest fürs Erste abfedern

 

Vor Inkrafttreten der Blockade war Katar wirtschaftlich eng mit seinen Nachbarn am Golf verflochten. 2015 belief sich das Handelsvolumen mit Saudi-Arabien auf 2 Milliarden US-Dollar, mit den VAE auf 7 Milliarden US-Dollar und mit Bahrain auf 500 Millionen US-Dollar. Golf-Investitionen aus und nach Katar lagen im zweistelligen Milliardenbereich. Insbesondere die Finanzsektoren in Saudi-Arabien und den VAE sind eng mit Doha verbunden, das Volumen der gegenseitigen Verflechtung wird auf jeweils 30 Milliarden US-Dollar geschätzt

 

Der Boykott zwang Katar zunächst zu einer Reihe von Gegenmaßnahmen. So schnürte Doha zunächst ein Konjunkturpaket in Höhe von 38,5 Milliarden US-Dollar, was etwa 23 Prozent des Bruttoinlandprodukts entspricht. Zuvor hatten 40 Prozent aller Importe Katar über die Landgrenze mit Saudi-Arabien erreicht. Nach dem Handelsboykott musste Doha neue Lieferwege ausfindig machen und für den Warenimport aus der Luft draufzahlen. Außerdem lenkte das Emirat noch mehr Fördergelder in den staatseigenen Landwirtschaftskonzern Baladna, um etwa die Milchproduktion (mit importieren Kühen) schrittweise nach Katar zu verlegen.

 

Katar musste tief in die Tasche greifen, doch die Bargeldspritzen konnten den unmittelbaren wirtschaftlichen Schaden zumindest fürs Erste abfedern. Die Rating-Agentur Standard & Poor’s kam gar zu dem Schluss, dass der Finanzsektor robust genug sei, sollten die anderen GCC-Staaten weiter Kapital aus katarischen Banken abziehen.

 

Der Hauptgrund dafür liegt natürlich in der wichtigsten Einnahmequelle des Emirats: Katar ist weiterhin Weltmarktführer in der Produktion von verflüssigtem Erdgas (und deckt 28 Prozent des weltweiten Bedarfs) sowie der zweitwichtigste Lieferant für Helium. Diese Sonderstellung unter den Golfstaaten unterstrich zuletzt der Austritt aus der OPEC. Katars Energieminister Saad Al-Kaabi stritt nach Bekanntwerden der Entscheidung im Dezember 2018 einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Boykott ab.

 

Und aus wirtschaftlicher Sicht macht der Schritt aus Sicht von Doha durchaus Sinn, da der tägliche Output des Emirates mit 600.000 Fass pro Tag für OPEC-Verhältnisse relativ gering ausfällt. In jedem Fall will Katar seinen eigenen Weg gehen, wenn es die eigene wirtschaftliche Zukunft geht – eine Strategie, die weit über die derzeitige Blockade-Krise hinausreicht.

 

Die bisherigen Kalkulationen zu den Besucherzahlen der Fußball-WM 2022 könnten gehörig durcheinandergeworfen werden

 

Dennoch droht der Boykott eben jenen strategischen Plänen einen Strich durch die Rechnung zu machen. Eine Studie des Brookings Institute nahm bereits zu Beginn der Blockade im Sommer 2017 mögliche Langzeitschäden für das Emirat unter die Lupe. Insbesondere die Tourismusbranche und der Einzelhandel werden länger brauchen, um sich von den Folgen des Boykotts zu erholen.

 

Denn bereits zwei Jahre zuvor hatten die Besucherzahlen den Zenit überschritten. Seit Juni 2015 sinken die Passagierzahlen im Luftverkehr. Inzwischen gibt es ein Viertel weniger Flüge nach Katar und auch die staatliche Fluglinie Qatar Airways musste sein Flugangebot um bis zu 20 Prozent zurückfahren. Die vorher täglich über 70 Flüge zwischen Katar und seinen Golf-Nachbarn sind unverändert komplett eingestellt. Die britische Wirtschaftsberatungsagentur Capital Economics bezifferte den Einnahmenrückgang im Tourismus allein für das halbe Jahr bis Ende 2017 auf 600 Millionen US-Dollar.

 

Kein gutes Zeichen, insbesondere für das wohl größte Prestigeprojekt des Emirats: die Fußball-Weltmeisterschaft 2022. Je länger sich der Boykott hinzieht, umso mehr werden die Ausgaben rund um die Ausrichtung des Turniers in die Höhe schießen. Auch die bisherigen Kalkulationen zu den Besucherzahlen könnten gehörig durcheinandergeworfen werden: Erst im Mai 2017, kurz vor Ausbruch der Blockade-Krise, rechneten die Veranstalter mit 1,3 Millionen Besuchern – und einer Fan-Mehrheit aus den umliegenden Staaten, allen voran Saudi-Arabien.

Von: 
Geoffrey Martin

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