Saudi-Arabien setzt internationale Unternehmen unter Druck, sich im Königreich anzusiedeln – und schürt so die regionale Konkurrenz.
Was ist geschehen?
Im Februar verkündete der saudische Finanzminister Mohammad Al-Jadaan, dass ab 2024 nur noch jene internationalen Unternehmen in den Genuss von Staatsaufträgen kommen würden, die ihr Hauptquartier in der Region in das Königreich verlegen. Saudi-Arabien wurde vor wenigen Jahren noch als Wüstenfleck belächelt, das in einem Wachkoma vor sich hin dämmerte.
Nur wenige internationale Firmen wollten sich in einem Land ansiedeln, das sie als rückwärtsgewandt und erzkonservativ, als ultrareligiös und erstarrt in den eigenen Traditionen wahrnehmen, wenn in der direkten Nachbarschaft Dubai als glitzernde Alternative lockte. Nun soll ihnen der Standortwechsel mit Steuererleichterungen, wenig Bürokratie, Reformen im Handels- und Strafrecht sowie Wettbewerbsvorteilen beim Zugang zu Ausschreibungen erleichtert werden.
Worum geht es eigentlich?
Der ehrgeizige Kronprinz Muhammad bin Salman (MbS) will die Wahrnehmung des Königreichs verändern – koste es, was es wolle. Seine groß angelegte »Vision 2030« zeigt wie unter einem Brennglas seine Ambitionen, für die Wandel die einzige Kontinuität zu sein scheint.Die künstliche Hightech-Hochburg Neom soll zu einem neuen Silicon Valley des Nahen Ostens und Heimat für die wichtigsten Unternehmen der Welt werden.
Sie lockt mit emissionsfreien Städten ohne Autos, ohne Straßen, ohne Hektik, ohne Stress. Saudi-Arabien soll künftig für Fortschritt und Moderne stehen. Und MbS betrachtet sich als Architekt dieses Aufbruchs in einer Welt voller Zauderer.
Der Druck auf MbS wächst: Die massive internationale Kritik an der Verwicklung des Kronprinzen in die Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi und das hoch umstrittene Engagement der Saudis im desaströsen Jemen-Krieg haben das Vertrauen der internationalen Wirtschaft in die Saga vom »neuen Saudi-Arabien« erschüttert.
Und ein doppelter Schock, ausgelöst durch den Verfall des Ölpreises und die Corona-Pandemie, hat die Dynamik des saudischen Wandels ohnehin ins Stocken gebracht: Die Arbeitslosigkeit ist auf 15,4 Prozent gestiegen, die Auslandsinvestitionen sind von 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts 2019 auf 0,6 Prozent zurück-gegangen.
Wie geht es nun weiter?
Der Kronprinz kämpft um das Vertrauen vieler junger saudischer Frauen und Männer, die unter der aktuellen Krise leiden. Die Euphorie vieler junger Saudis, die in ihm einen Hoffnungsträger sehen, schwindet. Er will der nächsten Generation versichern, dass die Welt die Rolle des Königreichs als Wirtschaftsstandort Nummer eins anerkennen muss – und instrumentalisiert die Wirtschaft für seine populistischen Zwecke.
Dafür muss er eine Goldgräberatmosphäre schaffen, die scharenweise Unternehmen in den nächsten Jahren anlockt – ob die nun wollen oder nicht. In Unternehmerkreisen wird die Ankündigung der Saudis als »Ultimatum« betrachtet.
Außerdem bedeutet diese »Saudi First«-Strategie eine Kampfansage an die regionale Konkurrenz – vor allem an die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), eigentlich ein enger Verbündeter der Saudis. Ihr Geschäftsmodell mit Dubai als Aushängeschild könnte leiden – und damit auch das bilaterale Verhältnis zu Riad.
In den VAE betrachtet man die protektionistischen Ambitionen Saudi-Arabiens als Schlag ins Gesicht und als dreiste Kopie des eigenen Erfolgsmodells. Am Ende könnte dieser Konkurrenzkampf also der gesamten Region schaden, da internationale Investoren vor allem Stabilität und Verlässlichkeit schätzen.
Dr. Sebastian Sons ist Wissenschaftler beim Bonner Forschungsinstitut CARPO und Experte für die arabischen Golfmonarchien. Er ist Autor des Sachbuchs »Auf Sand gebaut. Saudi-Arabien – Ein problematischer Verbündeter«.