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Geschäftsmodell Vereinigte Arabische Emirate

Sie wollten IT-Genies und bekamen Oligarchen

Feature
Geschäftsmodell Vereinigte Arabische Emirate
Der russische Pavillon auf der Weltausstellung »Expo 2020« in Dubai Mike Krüger / Wikimedia Commons

Wie die Vereinigten Arabischen Emirate nicht nur zum Marktplatz für Hightech, sondern auch für Geldwäsche und zwielichtige Geschäfte wurden.

Persischer Golf statt Mittelmeer: Die 300 Millionen US-Dollar teure Megajacht »Nirvana« des russischen Nickel-Tycoons Wladimir Potanin wurde schon im März im Port Rashid in Dubai gesichtet. Wenige Wochen nach Russlands Überfall auf die Ukraine wurde das Schiff des mit geschätzt 25 Milliarden US-Dollar Vermögen Mehrheitsaktionärs des Metallkonzerns Norilsk Nickel bei der Glitzermetropole vertäut. Der Oligarch Potanin wurde mehrfach mit Russlands Präsident Wladimir Putin beim Eishockeyspielen für das Staatsfernsehen gefilmt.

 

Seine Luxusjacht ist inzwischen nicht mehr die einzige, die statt an der Côte d’Azur nun vor Dubai ankert: Die 156 Millionen US-Dollar teure »Madame Gu« von Andrej Skotsch, mit einem geschätzten Vermögen von 6,6 Milliarden Dollar einer der reichsten Duma-Abgeordneten, wurde ebenfalls im Port Rashid entdeckt – neben der 200 Millionen teuren Megajacht des Herrschers von Dubai, Scheich Muhammad Bin Rashid Al Maktum. Die Sanktionsexperten des US-Finanzministeriums werfen dem Stahlmagnaten Skotsch »langjährige Verbindungen zu russischen organisierten kriminellen Gruppen einschließlich der Führung von solch einer« vor.

 

Doch nicht nur Luxusschiffe wurden gen VAE umgeparkt auf der Flucht der Oligarchen vor Sanktionen wegen Putins Angriff auf die Ukraine und deren Beziehungen zum Staatschef: Eine Boeing 787 Dreamliner des früheren Ölbarons und Eigners des Londoner Fußballklubs FC Chelsea, Roman Abramowitsch, ist ebenfalls in die VAE umgezogen. Das geht aus Unterlagen eines US-Gerichts hervor, das die zwei Flugzeuge des Oligarchen beschlagnahmen wollte.

 

Pensionäre aus Amerika und Europa sowie wohlhabende Iraner, Inder, Chinesen und Russen sollen die Wohntürme mit den Luxusimmobilien oder strandnahe Villen füllen

 

Reiche Russen sind die jüngste Klientel, die die VAE mit ihrer neuen Öffnungsstrategie anlocken. Mit »goldenen Visa« für Gründer, Investoren, Wissenschaftler und IT-Unternehmer, fünf Jahre geltenden »grünen« Visa für Talente, Freelancer und Tüftler sowie lange gültigen Aufenthaltsberechtigungen von Käufern von Immobilien sollten zweierlei Ziele erreicht werden: die Strategie der VAE aufgehen lassen, Technologiefirmen vor allem aus anderen Teilen Asiens an den Golf zu locken. Aber auch das seit der internationalen Finanzkrise 2008/09 und in den Corona-Jahren dahindümpelnde Geschäft mit Villen auf künstlichen, palmenförmigen Inseln oder Apartments in immer neuen Wolkenkratzern an immer neuen Strandabschnitten und Marinas anzukurbeln.

 

Dazu sollen sonnenhungrige und auf Sicherheit in einer Großstadt bedachte Rentnerinnen und Pensionäre aus Amerika und Europa sowie wohlhabende Iraner, Inder, Chinesen oder eben Russen die Wohntürme mit den Luxusimmobilien oder strandnahe Villen füllen – und den in der Krise notleidenden Dubaier Immobilien-Entwicklern und Baukonzernen mit Milliarden die Kassen.

 

Immobilienverkäufe sind auf dem höchsten Stand seit der Krise 2009, in der das Glitzeremirat mit dem höchsten Hochhaus der Welt von seinem reichen Nachbaremirat Abu Dhabi gerettet werden musste. Die Verkäufe von Wohnimmobilien hätten bis Juni um ein Drittel höher gelegen als im Jahr zuvor, so die Immobilienmakler von CBRE. In den richtig teuren Locations wie »Palm Jumeirah« hätten die Preise sich jetzt schon verdoppelt.

 

Die VAE können bis 2026 mit einem Ölpreis von 69 US-Dollar pro Barrel Rohöl einen ausgeglichenen Haushalt erreichen

 

»Milliardäre und Unternehmer sind in ungeahnter Zahl nach Dubai geströmt und haben die Nachfrage richtig angeschoben«, stellt Tamara Getigezheva, CEO der Real-Estate-Gruppe Mira, fest. Und Simon Baker von der Maklerfirma Haus & Haus rechnet »mit einer Verdoppelung der Immobilienpreise innerhalb eines Jahrzehnts«. 2021 habe es allein in Dubai Wohnimmobilienkäufe von 300 Milliarden Dirham gegeben, umgerechnet 82 Milliarden US-Dollar. Nun werden lange eingemottete Projekte weiterer künstlicher Palminseln wieder aufgelegt. Die Mieten für Büros steigen derzeit schneller als in New York oder London.
Dubai, das arabische Disneyland, will die Zahl seiner Einwohner von 3,4 auf sechs Millionen Einwohner bis 2040 fast verdoppeln. Die VAE haben heute insgesamt zehn Millionen Einwohner, darunter 8,6 Millionen Gastarbeiter und sogenannte Expats, ausländische Fachkräfte für Banken und Industriefirmen.

 

Momentan profitieren die VAE als großer Ölexporteur im OPEC-Kartell von den stark gestiegenen Einnahmen aus den Rohölverkäufen: Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat Mitte Oktober seine Wachstumsprognose für das Land deutlich erhöht, während das Gremium die Erwartungen für Europa erneut heruntergesetzt hat: Das Bruttoinlandsprodukt in den VAE werde 2022 um 5,1 und im folgenden Jahr um 4,2 Prozent wachsen.

 

Dubais größte Bank, die Emirates NBD, nach der eine Station auf der fahrerlosen Metrostrecke im Stadtstaat benannt ist, rechnet sogar mit 7,0 Prozent für das Jahr 2022, aber dafür nur noch mit 3,9 Prozent Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr – wegen zu erwartender Rezessionen in anderen Teilen der Welt und des starken US-Dollars.

 

Das aus sieben Emiraten mit der Hauptstadt und dem Hauptemirat Abu Dhabi bestehende Land, das 2021 erst 50 Jahre alt wurde, kann immerhin bis 2026 mit einem Ölpreis von gut 69 US-Dollar pro Barrel Rohöl (je 159 Liter) einen ausgeglichenen Haushalt erreichen. Beim aktuellen Preisniveau werden große Budgetüberschüsse generiert – und in den Umbau der Wirtschaft gelenkt.

 

Vom 1. Juni 2023 an werden neun Prozent Körperschaftsteuer fällig – aber erst ab einem Einkommen von etwa 104.000 Euro

 

Denn der nach Saudi-Arabien und dem Irak drittgrößte Ölförderer der OPEC-Staaten blickt in die Zeit nach dem Öl. Dubai ist dabei nur der Vorreiter unter den sieben Emiraten beim Bestreben, neben dem Ausbau des Tourismus, von Entertainment und Sportgroßveranstaltungen eine wissensbasierte Industrie aufzubauen. Dazu wurde nicht nur mit einer eigenen Raumfahrtagentur ein ambitioniertes Weltraumprogramm inklusive Erkundungsflug zur Venus und Plänen zur Besiedlung des Mondes gestartet, das in die Entwicklung und Produktion von Hightech-Komponenten münden soll.

 

Das Land investiert massiv in Digitalisierung, hat das schnellste Mobil- und Breitbandnetz der Welt aufgebaut und steckt Milliarden in den Aufbau des von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg vorangetriebenen Metaverse. Gezielt werden Tech-Firmen und Start-ups angelockt. Spezielle Industriezonen bieten Unternehmen fertige moderne Infrastruktur und Niedrigstabgaben.

 

Aber die VAE, lange Null-Steuern-Paradies und so Magnet auch für deutsche Influencer und Instagram-Sternchen, haben sich auch fiskalisch in die Zeit nach dem Öl aufgemacht: Es wurde bereits eine fünfprozentige Mehrwertsteuer eingeführt. Und vom 1. Juni 2023 an werden neun Prozent Körperschaftsteuer fällig – aber erst ab einem Einkommen von 375.000 Dirham (etwa 104.000 Euro), um Start-ups zu schonen. Mit der Maßnahme bleiben die VAE aber weiter unter der Forderung des Industriestaatenverbunds OECD nach einer Mindeststeuer von 15 Prozent.

 

Schon lange wurde in dem als »Übermorgenland« gebrandeten Staat der Finanzsektor gezielt ausgebaut, sogar die mit Abstand größte Volkswirtschaft am Golf – Saudi-Arabien – abgehängt. Das »Dubai International Financial Center« hat das Emirat zu einer internationalen Finanzdrehscheibe gemacht. Doch das hat nicht nur internationale Großbanken angelockt, sondern auch windige Firmen wie den inzwischen insolventen und in den Strudel von Strafverfahren geratenen deutschen Finanzdienstleister Wirecard.

 

Immer mehr russische Geschäftemacher und Oligarchen mit Beziehungen zu Putin strömten aus Europas Edeldestinationen in den Wüstenstaat

 

Im März wurden die VAE auf die »graue Liste« der Anti-Geldwäscheorganisation »Financial Action Task Force« (FATF) gesetzt. Das bedeutet, dass ein besonderes Risiko für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung besteht. »Obwohl Dubai ein autokratischer Staat ist, ist es ein sogenannter Zielort für Finanzströme«, sagte Jodi Vittori, Professorin für Globale Politik und Sicherheit an der Georgetown University, der taz. »Solche Zielorte brauchen eine gut laufende Wirtschaft wie in Singapur, Hongkong oder Deutschland, um große Geldmengen unauffällig verschieben zu können. Auf den Cayman Islands etwa ginge das nicht.«

 

Das Hauptproblem sei, dass in den VAE »diejenigen, die für die Förderung dieser Wirtschaftssektoren – Finanz- und Bankwesen, Gold oder Immobilien – zuständig sind, nicht nur die Vorschriften aufstellen, sondern auch persönlich von diesen Geschäften profitieren. Gleichzeitig sollen sie diese auch überwachen.« In den Emiraten indes gebe es »keine unabhängigen Aufsichtsgremien«.

 

Das soll sich nun ändern, kündigte VAE-Wirtschaftsminister Abdullah bin Toq Al-Marri im Handelsblatt an – allerdings recht defensiv: »Wir sind seit Langem bestrebt, unsere Anti-Geldwäsche-Abteilung ständig zu verbessern und zu verstärken. Unser derzeitiges Team ist definitiv Weltklasse. Wir haben Datenbanken aufgebaut, die zeigen, wem die Unternehmen wirklich gehören. Und wir haben auch Firmen geschlossen. Außerdem wurden Kriminelle im Zusammenhang mit diesen Vorwürfen verurteilt.«

 

Doch nach diesem Interview strömten immer mehr russische Geschäftemacher und Oligarchen mit Beziehungen zu Putin aus Europas Edeldestinationen in den Wüstenstaat. Auch Kriegsverbrecher wie Dmitri Kisseljow, der als Putins Chefpropagandist gilt, inszenieren sich in den sozialen Medien aus Dubai – in rosa Badeshorts in einem Strandresort im Urlaub.


Mathias Brüggmann ist International Correspondent des Handelsblatt. Er interessiert sich besonders für Osteuropa, die arabische Welt und Iran.

Von: 
Mathias Brüggmann

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