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Wahlen in Indien und das Staatsangehörigkeitsgesetz

Modi, Minderheiten und Muslime

Analyse
Wahlen in Indien und das Staatsangehörigkeitsgesetz

Premierminister Narendra Modi und seine Partei instrumentalisieren die Staatsorgane für ihr Projekt, Indien in die Nation der Hindus umzuwandeln. Nun tritt das umstrittene Staatsangehörigkeitsgesetz im ganzen Land in Kraft.

Der »Citizenship Amendment Act« (CAA) ist ein Zusatzartikel zum indischen Staatsangehörigkeitsgesetz von 1955. Bislang war es irregulären Migranten unmöglich, die indische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Der Zusatzartikel von 2019 schafft auf Basis der Religionszugehörigkeit Ausnahmen: Nicht-Muslimische Minderheiten aus Afghanistan, Bangladesch und Pakistan sollen nun die Staatsbürgerschaft in Aussicht gestellt bekommen. Dafür gelten bestimmte Konditionen. So müssen die Immigranten beweisen, dass sie vor 2014 in Indien angekommen sind und seit sechs Jahren in Indien leben.

 

Von dem Gesetz könnten vor allem sechs religiöse Minderheiten profitieren, die Indien in seinen mehrheitlich muslimischen Nachbarländern gefährdet sieht. Dazu zählen die Jainas, die vor allem im Westen Indiens leben, und die Sikhs, von denen die Mehrheit im Punjab zuhause ist. Auch die zoroastrischen Parsen, Hindus, Buddhisten und Christen können nun ihre Einbürgerung beantragen.

 

Die Gesetzesänderung fällt zusammen mit einem ebenfalls geplanten umfassenden Bevölkerungsregister, das erstmals einen Großteil der in Indien lebenden Menschen als Staatsbürger erfassen soll. Denn der neue Zusatzartikel erlaubt nicht nur den ausländischen religiösen Minderheiten die Staatsbürgerschaft zu beantragen, sondern auch Indern in abgelegenen Regionen und tribalen Gemeinden, die bisher durch das Raster gefallen sind.

 

Zusätzliche Änderungen betreffen permanente Aufenthaltstitel, seit 2005 unter der Bezeichnung »Overseas Citizen of India« (OCI) erfasst. Der OCI-Status steht allen Menschen aller Nationalitäten offen – mit Ausnahme von Pakistanis und Bangladeschis. Nun macht es der neue Zusatzartikel zur Staatsbürgerschaft der Regierung einfacher, OCI-Titel zu entziehen.

 

Warum gilt das Gesetz als umstritten?

Schon 2019, als der Zusatzartikel verabschiedet wurde, erntetet die Gesetzesänderung Kritik und zog sogar gewalttätige Proteste gegen die Pläne der Regierung nach sich. Deswegen lag die Umsetzung erst einmal auf Eis – bis zum 11. März dieses Jahres. Statt den versprochenen Minderheitenschutz zu stärken, sehen Kritiker nun Indiens säkulare Verfassung und Religionsfreiheit gefährdet: Denn in Verbindung mit dem Bevölkerungsregister und speziellen Ausländersondergerichten könnte der Zusatzartikel der Regierung vor allem dazu dienen, Muslime zu diskriminieren.

 

Denn würde es der BJP-Regierung von Premierminister Narendra Modi tatsächlich um den Schutz religiöser Minderheiten auf dem indischen Subkontinent gehen, würde er auch verfolgte muslimische Gemeinschaften in der Region abdecken: Tamilen in Sri Lanka, Ahmadis in Pakistan, und insbesondere die Rohingya in Myanmar. Stattdessen werden ausschließlich nicht-muslimische Minderheiten anerkannt.

 

Dass es nicht um Minderheitenschutz geht, zeigt auch die Erfahrung in Assam im Nordosten des Landes, einem Zentrum der Proteste. Assam diente der Regierung als Testlabor für das neue Bevölkerungsregister und das Staatsangehörigenrecht, beide Gesetze sind hier seit 2019 umgesetzt. Effektiv sollten in Assam rund 2 Millionen Menschen – Muslime, aber auch bengalische Hindus und Stammesangehörige, die formell ihre Zugehörigkeit zu Indien nicht nachweisen konnten – ihrer indischen Staatsbürgerschaft beraubt werden. Wer dort nicht registriert ist, und deshalb seine Staatsbürgerschaft nicht nachweisen kann, kann seitdem durch Verurteilung in Ausländertribunalen in Internierungslager verfrachtet werden. Hier öffnet das aktualisierte Staatsangehörigkeitsrecht eine Hintertür: Denn die neu anerkannten schutzbedürftigen Minderheiten können ihre Staatsbürgerschaft behalten – Muslime allerdings werden staatenlos gemacht. Genaue Daten zu solchen Fällen in Assam sind nicht verfügbar.

 

Anlässlich des Inkrafttretens des Gesetzes brachen wieder sporadische Protesten im Land aus. Modis Machtkonsolidierung ist inzwischen jedoch so weit fortgeschritten, dass sich deutlich weniger Menschen als noch vor fünf Jahren daran beteiligten.

 

Warum wird das Gesetz gerade jetzt umgesetzt?

Indiens neues Staatsbürgerschaftsgesetz muss im Kontext der Spannungen zwischen Hindu-nationalistischen und säkularen Kräften gesehen werden. Denn die Partei von Narendra Modi und Innenminister Amit Shah verfolgt eine klare anti-muslimische, anti-säkulare Strategie, um Unterstützung bei der hinduistischen Mehrheit des Landes zu gewinnen.

 

Die neu anerkannten Staatsbürger Indiens spielen wohl als Wahlberechtigte selbst eine nur untergeordnete Rolle. Ihre Zahl ist bisher gering, und so werden sie wohl kaum das Zünglein an der Wahlurne sein. Den Zusatzartikel noch vor den Parlamentswahlen ab April umzusetzen, war aber ein zentrales Wahlkampfversprechen der BJP.

 

Oppositionspolitiker der Kongress-Partei hinterfragen nicht nur den Inhalt, sondern auch den Zeitpunkt der Umsetzung des Zusatzartikels. Sie vermuten ein Ablenkungsmanöver der Regierungspartei: Denn die BJP hatte 2017 ein neues Parteienfinanzierungsinstrument eingeführt, das Indiens Oberster Gerichtshof am 11. März in seiner jetzigen Form als verfassungswidrig einstufte.

Von: 
Philipp Peksaglam

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