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Kommentar

Mit Al-Jazeera geht es so nicht weiter

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Al-jazeera-logo.jpg
Wikimedia Commons

Al-Jazeera hat einiges auf dem Kerbholz. Den Sender für die Verfehlungen der katarischen Grossmannssucht zu bestrafen ist aber absurd.

Seit seiner Gründung 1996 auf Initiative des damaligen Emirs Hamad al-Thani entwickelte sich Al-Jazeera zum regionalen Nachrichten-Schwergewicht nach westlichem Muster. Dabei präsentiert sich Al-Jazeera gern als »Stimme der Unterdrückten«, ist jedoch vielmehr das Sprachohr einiger weniger Auserwählter. Die katarische Bevölkerung selbst kann nur im kleinen Kreis Kritik über den autoritär herrschenden Emir äußern.
Seit der von zahlreichen Golfstaaten geführten Blockadepolitik gegen Katar steht Al-Jazeera im Fokus der Weltöffentlichkeit. So forderte der saudisch geführte Block unter anderem die sofortige Schließung des Nachrichtensenders. Katar wies diesen Angriff auf die Presse und Meinungsfreiheit umgehend zurück. 

Als Zwergstaat mit weniger als einer halben Million Einwohner und einer der kleinsten Armeen der Welt sieht sich Katar mit einem Sicherheitsdilemma konfrontiert. Wie kann dieser extrem wohlhabende Staat Krisen und Konflikte überdauern? Droht es im Falle eines Krieges von übermächtigen Nachbarn verschlungen zu werden? Wer ist ein verlässlicher Verbündeter? 

Daher sucht Katar nach Alternativen, die die eigenen sicherheitspolitischen Interessen garantieren. Der kleine Staat am Persischen Golf begann eine Politik zu betreiben, die ihn näher an seine Freunde und noch näher an seine Feinde rücken ließ. Katar schmiedete Allianzen von Washington bis nach Teheran, mit Muslimbrüdern und Israel, wurde Gastgeber internationaler Großevents und avancierte zum Friedensstifter und Vermittler an den Krisenherden dieser Welt. Al-Jazeera entwickelte sich in diesem Rahmen zum wichtigen Pfeiler der katarischen Außenpolitik, die durch die Einnahmen aus dem Gas- und Ölgeschäft finanziert wurde. 

Mit dem Aufkeimen des Arabischen Frühlings verlor das Paradebeispiel freier Presse in der Region jedoch schließlich jegliche Objektivität und Unabhängigkeit. Al-Jazeera wurde immer mehr zum Sprachrohr der katarischen Politik. So berichtete der Sender wohlwollend über von Katar unterstützte Rebellen in Libyen und Syrien sowie die aufstrebende Muslimbruderschaft, um den Einfluss Saudi-Arabiens in der Region zu schwächen. Als die Proteste erstarkten, wandelte sich Al-Jazeera zum medialen Unterstützer des politischen Umbruchs in Ägypten, Libyen und Tunesien, schwieg aber zu anderen Demonstrationen. So fanden die Forderung schiitischer Minderheiten nach Gleichberechtigung in Saudi-Arabien und politischer Partizipation und Demokratie in Bahrain keinen Platz im Sendeprogramm. Es waren diese radikalen Veränderungen in der Berichterstattung, die das Ansehen von Al-Jazeera belasteten und die Zuschauerzahlen sinken ließ. 

Unabhängig davon, ob der Journalismus von Al-Jazeera subjektiv ist – ob der Sender das Werkzeug der katarischen Politik ist oder nicht –, er verdient gerade jetzt unsere volle Unterstützung. Denn es geht um mehr als irgendeinen Nachrichtensender, es geht um die Prinzipien der Meinungs- und Pressefreiheit. Kritik ist angebracht und notwendig, aber es ist absurd, dass ein Staat wie Saudi-Arabien, in dem Menschenrechte mit Füßen getreten werden und internationale Terror-Organisationen wie Al-Qaida ihren Ursprung nahmen, nun Katar und Al-Jazeera der Unterstützung des globalen Terrorismus bezichtigt. 

Solange Al-Jazeera Dohas Propagandamittel bleibt und kritischen Kataris keine Plattform gibt, wirddie Glaubwürdigkeit des Senders leiden

Auch ich stelle seit den Ereignissen 2011 die Aufrichtigkeit des Senders infrage. Solange Al-Jazeera Dohas Propagandamittel bleibt und kritischen Kataris keine Plattform gibt, wird sich daran auch nichts ändern. Dennoch berichtet Al-Jazeera seit nunmehr 20 Jahren aus dem Herzen globaler Konflikte. In all diesen Jahren erlebte die Region stürmische Zeiten und ja, nicht immer gelang es Al-Jazeera, überzeugend durch die Konfliktberichterstattung zu navigieren. Trotzdem war es dieser Sender, der den Grundstein und die Basis für Meinungs- und Pressefreiheit in der Region legte. Es waren die Journalisten von Al-Jazeera, die es als Erste wagten, Dissidenten und Oppositionellen eine Stimme zu geben, und somit eine Plattform schufen – eine Oase der Kritik. • 


Hana Al-Khamri hat u. a. als Korrespondentin für Al-Jazeera in Saudi-Arabien gearbeitet. Sie lebt als freie Journalistin und Projektmanagerin in Schweden. 

Von: 
Hana Al-Khamri
Fotografien von: 
Wiki Commons

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