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Verhältnis zwischen Äthiopien und Eritrea

Hinter den Fronten

Analyse
Verhältnis zwischen Äthiopien und Eritrea
Ein sowjetischer Panzer, zurückgelassen von äthiopischen Truppen, die sich 1991 aus Eritrea zurückzogen. David Stanley / lizensiert nach Creative Commons Attribution 2.0 Generic

Äthiopien und Eritrea blicken auf turbulente Jahrzehnte zurück: Wer warum gegen wen kämpfte – und was Hoffnung auf ein Ende des Konflikts am Horn von Afrika macht.

Über einen Zeitraum von 2000 Jahren gibt es große Gemeinsamkeiten wie auch Konflikte zwischen den Völkern, die heute über Äthiopien und Eritrea verteilt leben. Im ersten Jahrtausend (ca. 1. bis 10. Jahrhundert) existierte ein Staat, zu dem ein großer Teil des heutigen Eritrea als auch das heutige Bundesland Tigray im nördlichen Äthiopien gehörte.

 

Vom nördlichen Tigray verlagerte sich dann das Machtzentrum in der langen äthiopischen Feudalgeschichte, die erst 1974 mit der Absetzung und Ermordung von Kaiser Haile Selassie durch den Militärrat (Derg) endete, immer weiter nach Süden. Von Axum über Gondar und andere Landesteile bis nach Addis Abeba. Die »Neue Blume«, so die amharische Übersetzung des Namens der heutigen Hauptstadt, entstand erst Ende des 19. Jahrhunderts – als Militärlager, von dem aus Haile Selassies Vorgänger, Menelik II. die südlichen Gebiete eroberte und dem Reich einverleibte.

 

Während der Kolonialzeit hatte sich Eritrea wirtschaftlich, kulturell und vor allem im Bildungswesen deutlich anders entwickelt als das rückständige äthiopische Feudalreich.

 

Eritrea rückte geografisch wie politisch immer weiter an den Rand. Die Machthaber blieben gegenüber der Zentralmacht stets rebellisch. Von 1890 bis 1941 herrschte schließlich Italien, wegen später Staatsgründung der letzte Nachzügler des europäischen Imperialismus, über Eritrea. In Äthiopien dauerte die italienische Besatzung nur von 1936 bis 1941, forderte aber zwischen 350.000 und 760.000 Todesopfer. Nach Italiens Niederlage im Zweiten Weltkrieg gestanden die Vereinten Nationen 1950 Eritrea die Selbstverwaltung im Rahmen einer Föderation mit Äthiopien zu. Haile Selassie hielt sich nicht daran. 1962 machte er Eritrea wieder zu einer gewöhnlichen Provinz seines Kaiserreichs.

 

Während der Kolonialzeit hatte sich Eritrea wirtschaftlich, kulturell und vor allem im Bildungswesen deutlich anders entwickelt als das rückständige äthiopische Feudalreich. Auf diese Unterschiede berief sich der eritreische Widerstand gegen die erneute Eingliederung nach Äthiopien – letztlich also absurderweise auf den bereits überwundenen Kolonialstatus. 1961 entstand mit der »Eritreischen Befreiungsfront« (ELF) die erste Befreiungsfront am Horn von Afrika. Zunächst von urbanen Muslimen gegründet, rekrutierte sie bald viele Kämpfer aus den peripheren, überwiegend islamischen und nicht Tigrinya sprechenden Tieflandgebieten Eritreas. Die christlich-orthodoxen äthiopischen Herrscher hatten die muslimische Hälfte der eritreischen Bevölkerung einfach zu lange ignoriert und unterdrückt.

 

Einige Jahre später gründeten eritreische Studenten aus dem Tigrinya sprechenden Hochland die marxistisch orientierte »Eritreische Volksbefreiungsfront« (EPLF), die bis heute ohne demokratische Wahlen als »Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit« die Regierungspartei und den Präsidenten stellt. Zuvor hatte sie die ELF unter hohen Verlusten eliminiert.

 

Auf beiden Seiten waren nun Befreiungsbewegungen an der Macht, die ihr kulturell-historische Gepäck nicht ablegen konnten. Ihre Führer und Politkader verharrten im Kampfmodus und in den alten ideologischen Dogmen.

 

Ähnlich wie EPLF entstand auch die »Volksbefreiungsfront von Tigray« (TPLF) in studentischen Kreisen aus Protest gegen die dekadente Endphase von Kaiser Haile Selassies Herrschaft. Die Gründer von EPLF und TPLF stammen aus derselben Tigrinya sprechenden Ethnie, die im nördlichen Hochland beidseits der Grenze zwischen Tigray und Eritrea lebt. Nach Haile Selassies Sturz bekämpften beide Fronten das Derg-Militärregime – wobei die EPLF immer explizit das Ziel der Unabhängigkeit verfolgte, die TPLF dagegen nur zeitweise und weniger eindeutig. Die gesamt-äthiopische Perspektive setzte sich in der TPLF unter Meles Zenawi erst dann vollständig durch, als man Anfang der 1990er Jahre beim militärischen Vormarsch nach Süden erkannte, welche wirtschaftlichen und politischen Potentiale sich durch den rapiden Zerfall des Derg und seiner Armee dort boten.

 

Im Befreiungskampf hatte die TPLF von der älteren, besser organisierten, und anfangs militärisch viel stärkeren EPLF gelernt und Unterstützung bekommen (wenn man sich gerade mal nicht bekämpfte). Der Preis dafür war von Anfang an die Bereitschaft, den eritreischen Unabhängigkeitsanspruch zuzulassen. Nach dem gemeinsamen Sieg über den Derg war der Weg zum Referendum und zur Sezession Eritreas 1993 vorgegeben. Bis heute wird das den TPLF-Hardlinern von pan-äthiopischen Nationalisten als Verrat vorgehalten.

 

Der äthiopisch-eritreische Krieg (1998-2000) hatte eine Reihe von Ursachen. Die oft genannten Grenzstreitigkeiten dürften aber noch zu den unwichtigeren Kriegsgründen gehören. Wichtiger war, dass beide Seiten nach der Sezession wirtschaftliche Vorteile auf Kosten der Gegenseite herauszuholen versuchten. Vielleicht noch entscheidender waren die lange konfliktgeladene Vorgeschichte und die regelmäßig aufflammenden persönlichen Animositäten. Auf beiden Seiten waren nun Befreiungsbewegungen an der Macht, die ihr kulturell-historische Gepäck nicht ablegen konnten. Ihre Führer und Politkader verharrten im Kampfmodus und in den alten ideologischen Dogmen.

 

Es bleibt zu hoffen, dass die verbliebenen Scharfmacher der TPLF in der Regierungskoalition und im riesigen Sicherheitsapparat der EPRDF nicht mehr genug Macht und Verbündete haben.

 

Auf äthiopischer Seite war Meles Zenawi noch einer der flexibleren Politiker. Als Eritrea militärisch besiegt war, unterließ er den möglichen Durchmarsch nach Asmara und zum Hafen von Assab. Möglicherweise wegen alter Verpflichtungen gegenüber der EPLF und Isayas Afewerki, wahrscheinlich auch aufgrund der internationalen Aufmerksamkeit, die er als einer der neuen afrikanischen Führer inzwischen erfahren hatte. Meles’ Verzicht auf die militärische Endlösung führte zum internen Grabenkrieg mit den Falken in der TPLF.

 

Der inzwischen offensichtliche Hegemonieverlust der TPLF begann letztlich schon 2001. Es bleibt zu hoffen, dass die verbliebenen Scharfmacher der TPLF in der Regierungskoalition und im riesigen Sicherheitsapparat der »Revolutionären Demokratischen Front der Äthiopischen Völker« (EPRDF) nicht mehr genug Macht und Verbündete haben, um Äthiopiens Demokratisierung und den Friedensprozess mit Eritrea wirksam zu sabotieren. Der Anschlag nach Abiys’ Rede auf dem Meskel-Platz dürfte nicht ihr letzter Versuch gewesen sein.

 

Das erneute Aufflammen ethnischer Gewalt in verschiedenen Teilen Äthiopiens dürfte letztlich auch auf ihr Konto gehen. Die Gewalt und Vertreibung längs der Grenze zwischen den Bundesstaaten Somali und Oromia wurde mit ziemlicher Sicherheit von ihrem Vasallen Abi Iley und der ihm ergebenen Spezialeinheit »Somali Liyu Police« losgetreten. Die relativ kurzlebige Wirkung dieser Subversionsversuche nährt die Hoffnung, dass der äthiopische Aufbruch nicht mehr umkehrbar ist.


Klaus Schmitt ist Mitglied des Deutsch-Äthiopischen Vereins und hat 27 Jahre mit häufigen Aufenthalten in Äthiopien in der Entwicklungszusammenarbeit gearbeitet, davor drei Jahre in Lagern äthiopischer und eritreischer Geflüchteter im Ostsudan.

Von: 
Klaus Schmitt

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