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Kunsthandwerk aus Syrien

Vom Glück, gemeinsam zu glänzen

Reportage
Vom Glück, gemeinsam zu glänzen
Foto: Thore Schröder

Intarsien aus Perlmutt – für solche Holzarbeiten war Damaskus einmal weltberühmt. Eine Gruppe alter Freunde versucht nun in Amman ihr Glück. Ein Geheimnis haben sie mitgenommen.

Sie haben das Maximum herausgeholt aus dem einst langen, hohen Werkstattraum: Vorne das Ausstellungszimmer, bis unter die Decke vollgestellt mit alten und neuen Möbeln, dahinter zwei von einer neu gezogenen Zwischendecke getrennte Etagen. Darin drei Zimmer, in denen gezeichnet, gesägt, gehobelt, gehackt, gefeilt und gelackt wird. Es sind 42 Quadratmeter, die acht Syrern in Amman alles bedeuten. Trotzdem sagt Osama Al-Nimr über ihr Geschäft im südlichen Stadtteil Marj Al-Hamam: »Das hier ist nur eine Werkstatt.«

 

Der 38-Jährige ist einer der beiden Chefs einer Firma, die keine Firma sein darf. Er erklärt: »Als Syrer haben wir nicht das nötige Kapital, um in Jordanien ein eingetragenes Unternehmen zu gründen.« Aber Osama und sein Partner Muataz wollten zumindest weiter das tun, was sie lieben, als sie vor sechs Jahren von der einen in die andere Hauptstadt geflohen sind: die Herstellung kostbarer Möbel mit Perlmuttintarsien.

 

Damaskus ist berühmt für dieses Handwerk. Die Einrichtungsgegenstände und Accessoires mit den glänzenden Einlagen gehören zu den bekanntesten Kunstschätzen des Nahen Ostens. Besonders in den Gassen der Altstadt rund um die Umayyaden-Moschee wurde es feilgeboten: Funkelnd-Prächtiges, dem man sofort ansieht, wie viel Können in den kunstvoll eingearbeiteten Kalligrafien steckt.

 

Doch der Krieg könnte diese jahrhundertealte Tradition nun zerstören. Schätzungen von Fachleuten zufolge arbeiteten vor 2011 3.000 Kunsthandwerker in Damaskus. Nur ein Bruchteil von ihnen ist geblieben. Die anderen sind in den Kampf gezogen, gefallen oder geflohen. So waren bereits vor zwei Jahren laut eines Agenturberichts von einst 30 Perlmutt-Werkstätten in und um Damaskus nur noch drei oder vier übrig. Umso wichtiger, dass es Syrer gibt, die weitermachen – auch woanders.

 

Osama hatte zwar seinen Wehrdienst bei Kriegsausbruch bereits hinter sich, sah aber trotzdem keine Zukunft in seiner Heimat: »Wir wurden ständig überwacht. Außerdem kamen nun keine ausländischen Kunden mehr. Und die Syrer konnten sich unsere Ware wegen der Inflation nicht mehr leisten«, erzählt er, in der einen Hand eine Gebetskette, in der anderen eine brennende Zigarette.

Vom Glück, gemeinsam zu glänzen
Foto: Thore Schröder

Nachdem der Vater von drei Kindern – das jüngste wurde vor vier Jahren in Amman geboren – vergeblich versucht hatte, seiner Schwester in die Türkei zu folgen, entkam er mit seiner Familie über die Grenze in den Süden. »Wir Syrer haben doch damals alle gedacht, dass wir nach ein paar Monaten zurückkehren könnten. Aber ein halbes Jahr später habe ich mich dann entschieden, hierzubleiben.« In Jordanien leben schätzungsweise 1,3 Millionen Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland.

 

Geschäftspartner Muataz, der aus Babbila in der Umgebung von Damaskus stammt, sagt: »Ich hatte schon zu Hause von Osama und seiner Werkstatt gehört, aber kennengelernt haben wir uns erst hier.« Weil in der syrischen Gemeinde in Amman fast alle irgendwie miteinander verbunden sind, fanden die beiden schnell zusammen – und dann auch andere Männer vom Fach für ihre Manufaktur.

 

Heute sind sie zu acht. Unter den Handwerkern ist auch Osamas 30-jähriger Bruder Fayez, der seinem Bruder ein Jahr später gefolgt ist. »Wir funktionieren so wie eine Fußballmannschaft: Jeder hat eine andere Aufgabe, jeder wird gebraucht«, sagt Osama, der sich selbst in diesem Zusammenhang gerne als »Torhüter« sieht. Seine Aufgaben: Ankauf, Verkauf, Organisation sowie weiterhin auch der Einsatz seiner Kunstfertigkeit.

 

Die Herstellung der Möbel ist ein langer Prozess, an dessen Anfang immer das Zuschneiden der Holzteile steht. Dann werden darauf mit Bleistift und Kugelschreiber die Ornamentenmuster gezeichnet. Die Herkunft der feinen Arabesken? »Alles da drin«, zeigt Osama auf seinen Kopf. Und auch für alle weiteren Arbeitsschritte braucht es das über Generationen weitergereichte Wissen sowie unbedingt ausreichende handwerkliche Erfahrung.

 

Und das richtige Werkzeug. Auf dem Tisch vor Abu Abdu, dem einzigen Homser in der Mannschaft, liegen Metallkeile in vielen verschiedenen Größen. Tock, tock, tock – mit kurzen, zackigen Hieben entfernt er das Holz in den dafür vorgesehenen, mit Zinndraht umrandeten Flächen. Vorgebeugt und konzentriert, acht Stunden täglich. »Natürlich sieht das nach harter Arbeit aus. Aber wenn man es eine Weile gemacht hat, denkt man gar nicht mehr groß darüber nach«, sagt er. Doch da sind sich schon alle einig: Ohne Hingabe geht es nicht. Und das, sagt Osama, sei auch der Grund warum die Branche schon vor dem Krieg Probleme hatte, Nachwuchs zu rekrutieren. – »Handarbeit ist nicht mehr in Mode.«

 

Oben, im Zwischengeschoss sitzen Bilal und Mohammed an ihrer Werkbank. Schleifmaschinen und Belüftung sorgen für die doppelte Dröhnung. Die beiden Männer greifen größere Perlmuttstücke, zerteilen sie mit einer Zange und feilen die glänzenden Scherben in die passende Form. Bilal raucht Zigaretten der Marke Elegance Lights, ein bis eineinhalb Packungen täglich.

 

Als er vor zweieinhalb Jahren nach Amman floh, hatte er keine Ahnung von der Werkstatt. Er freut sich: »Ich bin so glücklich, dass ich hier nun weiter das machen kann, was ich gelernt habe.« Das ist tatsächlich eine Besonderheit, denn viele andere syrische Kunsthandwerker im Ausland sind heute arbeitslos oder in einer gänzlich anderen Branche tätig. Osama weiß auch:»Es gibt viele syrische Ärzte und Ingenieure, die jetzt putzen.«

Früher bezogen die Handwerker Walnussholz aus Ost-Ghuta. Aber im Krieg wurde das Rebellengebiet östlich von Damaskus über Jahre belagert, die kostbaren Werkstoffe dort zum Heizen oder als Treibstoff verfeuert.

Doch auch für die Männer in Marj Al-Hamam ist die Arbeit nicht einfach. Die Schwierigkeiten beginnen schon bei der Beschaffung des passenden Materials. »Früher haben wir Walnussholz verwendet, das aus Ost-Ghuta kam«, erzählt Osama. Es war dort besonders gut, weil Boden und Niederschlagsmenge perfekt passten. Aber im Krieg wurde das Rebellengebiet östlich von Damaskus über Jahre belagert, die kostbaren Werkstoffe dort zum Heizen oder als Treibstoff verfeuert. Osama und Muataz bestellen nun Holz aus den USA und Deutschland, darunter auch Buche.

 

Das einst verwendete Euphrat-Perlmutt ist unerschwinglich geworden, stattdessen kommt dieses Material nun aus Südostasien. Und statt mit französischem müssen die Männer jetzt mit italienischem Lack Vorlieb nehmen. »Der hält zwar länger, aber er sieht nicht so fein aus«, sagt Fayez. Ein anderes Problem sind die hohen Preise und Zölle. »Im Prinzip ist hier alles doppelt so teuer«, sagt Osama. Und wenn er ein antikes Möbel aus Damaskus importieren will, geht das nur über die weite Meeresroute von Tartus nach Aqaba, die Landgrenze ist dicht.

 

Doch unter seinen mehrheitlich jordanischen Kunden hält die Nachfrage nach den alten Stücken an. Vorne im Ausstellungsraum steht zum Beispiel ein prächtig funkelnder Schrank aus osmanischer Zeit: rund drei Meter hoch, Halbmondwappen in der Krone, Verkaufspreis 5.000 US-Dollar. Auch bei den Preisen für neu hergestellte Möbel muss man stets den gewaltigen Arbeitsaufwand bedenken. So kostet ein großer Stuhl, in dem 360 Arbeitsstunden stecken, 1.500 US-Dollar. Von dem wenigen Geld, was den Männern bleibt, – Osama sagt, dass die Einnahmen von Monat zu Monat stark variieren – schicken sie einen Teil in die Heimat, zu ihren Familienmitgliedern.

 

In Marj Al-Hamam sind die Syrer fast unter sich. Das Holz etwa liefert ihnen Nachbar Abu Amer, der auch aus Damaskus kommt. »Ist doch toll, dass ein paar von uns in ihrem alten Beruf arbeiten können und nicht nur niedere Tätigkeiten ausführen«, findet er. Dass Syrer den Jordaniern ihre Jobs wegnehmen, wie oft behauptet wird, mag Osama nicht hören. Zumindest gelte das nicht für ihn und seine Mannschaft – »Unsere Arbeit gab es hier doch vorher gar nicht.« Der Chef denkt, dass er nach dem Ende des Krieges erst mal in Jordanien bleibt: »Denn wir haben uns hier etwas aufgebaut.« Trotzdem, auch er vermisst seine Heimat. Wie sehr, verrät der Name seiner jüngsten Tochter. Sie heißt Sham – der historische Name für die Kulturregion Syrien.

Von: 
Thore Schröder

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