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Wehrpflicht in den VAE

»Unsere Jugendlichen sollen Disziplin lernen«

Analyse

Die Vereinigten Arabischen Emirate zählen zu den sichersten Ländern im Nahen Osten. Trotz nur knapp einer Million Staatsangehöriger, sind die VAE der viertgrößte Waffenimporteur der Welt. Jetzt führen sie die Wehrpflicht ein. Warum nur?

»Es geht uns nicht um Waffen, sondern um Disziplin«, begründet Jugendminister Scheich Nahyan bin Mubarak Al Nahyan die Einführung des Wehrdienstes. »Wir wollen, dass sich die Jugend in unserem Land einbringt.« Anfang Juni 2014 wurde ein Gesetz erlassen, dass alle männlichen Staatsbürger zwischen 18 und 30 Jahren zum Wehrdienst verpflichtet. Frauen steht es offen, den Dienst an der Waffe zu absolvieren. Zuvor konnten Emiratis freiwillig in die Armee eintreten. Laut dem Internationalen Institut für Strategische Studien dienen momentan 51.000 Soldaten in der Armee, darunter zahlreiche Ausländer.

 

Jetzt könnte sich die Stärke der Truppe verdoppeln. Die Emirate liegen in einer politisch instabilen Region. Während in Syrien seit drei Jahren Bürgerkrieg herrscht, ist nun auch der Irak wieder ein offenes Schlachtfeld. In den Golfstaaten Saudi-Arabien, Kuwait und Bahrain kam es im Zuge des Arabischen Frühlings zu Unruhen. Die VAE gehen rigoros gegen terroristische Aktivitäten vor und versuchen, Auslöser für Unruhen zu vermeiden. 2013 führten emiratische Gerichte aufsehenerregende Prozesse unter anderem gegen Staatsangehörige, die beschuldigt wurden, Beziehungen zu den Muslimbrüdern zu unterhalten.

 

Dubais Polizeichef hat die Muslimbrüder mehrfach als größte Gefahr für den Golfstaat bezeichnet. »In der Golfregion wird stark aufgerüstet, sowohl in der Qualität der Waffen als auch in der Quantität«, erklärt Rüstungsexperte Pieter D. Wezeman vom schwedischen Friedensforschungsinstituts SIPRI. »Der Wehrdienst kommt daher nicht überraschend.« Katar hat 2013 die Wehrpflicht dekretiert, in Kuwait wird eine Einführung diskutiert.

 

Saudi-Arabien, Bahrain und Oman hingegen beschäftigen eine Berufsarmee und verzichten noch auf die Wehrpflicht. »Die VAE rüsten seit den frühen 1990er-Jahren kontinuierlich auf«, meint Wezeman, »jetzt brauchen sie Personal, um ihr riesiges Waffenarsenal zu bedienen.« Im Top-Ten-Ranking der Waffenimporteure stehen die VAE an vierter Stelle direkt hinter den Atommächten Indien, China und Pakistan. »Sie haben ihre Luftwaffe verdoppelt, wenn nicht verdreifacht«, so Wezeman.

 

Von schätzungsweise sieben Millionen Einwohnern sind nur höchstens 20 Prozent emiratische Staatsbürger. Die Gesellschaft ist geprägt von dem extrem hohen Ausländeranteil und hohen Einkommensunterschieden. 96 Prozent der berufstätigen Staatsangehörigen sind im öffentlichen Dienst angestellt. Sie erhalten generöse Löhne, die vom Staat mit der Absicht gezahlt werden, den Ölreichtum im Volk zu verteilen. Durch eine »Emiratisierungskampagne« versuchen die Behörden, mehr Einheimische im Privatsektor unterzubringen.

 

Die Abhängigkeit von ausländischen Arbeitern soll verringert werden. Gerade in einem sensiblen Bereich wie im Militär sollen nun mehr Einheimische platziert werden. Wezeman hält die Angst vor inneren Unruhen oder gar einem Gastarbeiteraufstand für möglich, jedoch nicht für ausschlaggebend. »Die gekauften Waffen deuten nicht darauf hin, dass damit Aufstände niedergeschlagen werden sollen.« Dem SIPRI-Experte nach kauften die VAE überwiegend Waffen für den Fall einer externen Bedrohung, etwa durch Raketen. »Es deutet eher darauf hin, dass sich die VAE vor dem Iran, der als destabilisierender Faktor angesehen wird, schützen wollen.«

 

Im Konflikt mit dem Iran geht es einerseits um Sicherheitsbedenken wegen des Atomprogramms, aber auch um territoriale Ansprüche. Die VAE fordern drei Inseln im Persischen Golf zurück, die der Iran seit 1971 besetzt hält. Zudem vermutet Wezeman, dass die Emirate eine bedeutendere weltpolitische Rolle spielen wollen. »Das erklärt, warum sie bereits außerhalb ihres Landes militärisch aktiv waren. Sie schickten Truppen in den Kosovo, nach Afghanistan und Libyen.

 

Durch die Aufstockung ihrer Waffen und die Einführung des Wehrdienstes werden sie unabhängiger von anderen Staaten.« »Wir suchen keine Konflikte, aber es ist gut, auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein«, betont hingegen Scheich Nahyan bin Mubarak. Mit seiner Behörde entwickelt er einen »Nationalen Jugendplan«, um den Nachwuchs zu fördern. Denn im internationalen Vergleich gelten emiratische Heranwachsende als schlecht ausgebildet. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt offiziell bei 8 Prozent.

 

Einer Studie der Behörde nach sorgt der privilegierte Lebensstil für das mangelnde Verantwortungsbewusstsein der jungen Menschen. Gerade bei den Männern sehe es bedenklich aus. Sie würden sich seltener als Frauen an Universitäten einschreiben und seien häufiger arbeitslos. Scheich Nahyan bin Mubarak sieht den Militärdienst als wichtigen Teil seiner Strategie. »Wir wollen unsere Jugendlichen auf die Herauforderungen der modernen Welt vorbereiten«, so der Minister. Gerade der Wehrdienst hätte zahlreiche positive Effekte auf die Zukunft der Heranwachsenden.

 

Das sportliche Training mache sie fit, disziplinierter und teamfähig. Die ersten 7.000 Rekruten treten ihren Dienst bereits im September 2014 an, ließ die staatliche Nachrichtenagentur WAM Mitte Juli verlauten. Abiturienten müssen neun Monate dienen, während junge Männer ohne Schulabschluss zwei Jahre verpflichtet werden. Wer sich weigert, in der Armee zu dienen, wird mit Gefängnis- und Geldstrafen belegt. Männer zwischen 18 und 30 Jahren können nicht mehr nach Übersee reisen oder sich an einer Universität einschreiben, ohne ihren militärischen Status nachzuweisen. Gleichzeitig genießen Absolventen des Wehrdienstes zahlreiche Privilegien. Sie sollen beispielsweise bei freien Stellen und Beförderungen bevorzugt werden.

Von: 
Mai-Britt Wulf

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