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Waffenlieferungen für die syrischen Rebellen

Drei Optionen für Syrien

Analyse

Nach zwei Jahren des Zögerns hat US-Präsident Barack Obama Waffenlieferungen für die syrischen Rebellen angekündigt. Um der Opposition zu einem schnellen Sieg zu verhelfen, ist das Engagement zu gering. Zeit für unangenehme Wahrheiten.

Mit »Hama Rules« prägte der US-Journalist und Autor Thomas Friedman den Begriff, der Synonym für das so archaisch wie effektive Herrschaftssystem des Assad-Clans in Syrien wurde: Jede Form der Existenzberechtigung war unmittelbar an die Treue zur Staatsführung gebunden. Gerne gab man sich aufgeklärt-sozialistisch bis liberal gegenüber der eigenen Bevölkerung, einladend gegenüber dem Ausland; die Söhne und Töchter studierten in London, den wenigen Reichtum des Landes teilten die mehrheitlich alawitische Herrscherclique und die sunnitischen sowie christlichen Kaufleute in Aleppo und Damaskus brüderlich untereinander auf. Politisch unterstützte man die Hizbullah, stellte gleichzeitig aber sicher, dass die Golan-Südgrenze gen Israel ruhig bleibt.

 

Als aber 1982 die Muslimbrüder in der für ihre Schönheit gerühmten Stadt Hama einen blutigen Aufstand gegen das Regime ausriefen, löschte Rifaat al-Assad, jüngerer Bruder des damaligen Präsidenten, die belagerten Stadtteile vollkommen aus, begrub Tausende unter ihren eigenen Häusern. »Wir Muslime sind auf Frieden bedacht, aber wenn dir jemand bewusst auf die Hand tritt, dann schlage dem Schweinehund den Kopf ab«, so ein syrischer Regime-Anhänger Ende 2012. Kompromisse und anhaltende Freundschaften zu schließen, war im Machtpoker nicht ratsam. Die Politik Syriens war nie sympathisch, doch stets berechenbar – und die »Hama Rules« gelten noch immer.

 

Betrachtet man, wie die USA, Frankreich, Großbritannien sowie die arabischen Golfstaaten nun den Entschluss gefasst haben, ihre Waffenlieferungen an die militärisch unter Druck stehende syrische Opposition auszubauen, wird klar, dass sie auch im dritten Jahr des Konfliktes kein schlüssiges außenpolitisches Konzept zu Syrien entwickelt haben. Jede Form von rücksichtslosem Gestaltungswillen lassen sie vermissen, Wunschdenken bestimmt das Vorgehen. Die rückblickend naive Hoffnung, der Krieg würde sich durch eine militärische Niederlage Assads oder das Auseinanderbrechen des Regimes allein lösen, hat sich nicht bewahrheitet.

 

Den zivilen Akteuren und den Gemeinden sind die Hände gebunden

 

AK-47, Panzerabwehrwaffen älteren Typs, eventuell einige Boden-Luft-Raketen. Was bislang an Details zum westlichen Rüstungsprogramm für die Freie Syrische Armee bekannt ist, birgt kaum Überraschungen. Zwar ist es sinnvoll, lediglich Waffentypen einzuführen, für die ausreichend Munition im Land vorhanden ist und mit denen die Rebellen, die nahezu vollständig ihren Wehrdienst abgeleistet haben, umgehen können. Operativ nötig wären jedoch schwere Waffen: Panzer und Artillerie. Im ganzen Land sind tausende Milizionäre in monatelangen Belagerungsschlachten von Landeplätzen und Armeebasen gebunden. Der nahe Aleppo gelegene Militärflughafen Mannagh ist seit Dezember 2012 von Aufständischen umstellt, die gegen die eingegrabenen Soldaten seitdem kaum einen Meter Land gutmachen konnten. Die grassierende Munitionsarmut tut ihr übriges. So groß das Leid der Zivilisten und der Opferwille der Freiwilligen auch sind, der syrische Aufstand scheiterte in den vergangenen Monaten auch an seiner eigenen Inkompetenz.

 

Als die FSA-Führung während der Schlacht um Qusayr die Milizen im Rest des Landes zu Hilfe rief, kamen wenige. Zu Anekdoten verarbeitet ist die Uneinigkeit der Exilpolitiker, die sich bei einer Konferenz in Kairo Mitte 2012 prügelten, als keine Einigung gefunden werden konnte. Der unter Lobgesängen ins Amt gehobene gemäßigte Geistliche Moaz al-Khatib war nach wenigen Monaten aufgerieben. Die Verhandlungen mit Vertretern des jungen Obersten Kurdischen Rates liegen auf Eis, da immer wieder radikale Akteure aus dem islamistischen Spektrum diese sabotieren. Die schlagkräftigen kurdischen YPG-Milizen wären jedoch eine dringend nötige Unterstützung.

 

Anstatt eine pragmatische Verhandlungslösung zu erarbeiten, versuchten mehrere tausend FSA-Angehörige Anfang des Jahres vergeblich, die mehrheitlich kurdische Stadt Ras al-Ayn zu erobern, vor wenigen Wochen kam es bei Afrin zu erneuten Zusammenstößen zwischen Kurden und Arabern. Auf lokaler Ebene organisierte Oppositionelle nutzen den Krieg, um historische Konflikte um politischen Einfluss und wirtschaftliche Ressourcen auszutragen. Das kann die FSA-Führung gegenwärtig kaum verhindern – ein vernichtendes Zeugnis für die Aufständischen. Die zivilen Akteure und Koordinierungsräte, die in vielen befreiten Städten die Arbeit übernommen haben, geraten angesichts der nahezu totalen Mobilisierung beider Seiten und der anhaltenden Bombardierungen der syrischen Luftwaffe immer mehr unter Druck. So lange die internationale Gemeinschaft Hilfsgelder noch immer an die nationale Oppositionsbündnisse überweist und nicht an die individuellen Gemeinden, sind denen oft die Hände gebunden.

 

Drei Handlungsoptionen stehen zur Wahl

 

Ein wichtiger Fortschritt war Ende 2012 die Machtübernahme von Salim Idriss im Generalstab der Freien Syrischen Armee. Sein Vorgänger Riad al-Asaad war unter den Kämpfern teils so unbeliebt, dass sie sich ganz von der FSA lossagten; der Auftrieb, den radikale Gruppen wie Jabhat al-Nusra im vergangenen Jahr erfuhren, war eine der Folgen. Idriss gelang es nun mit der Etablierung des »Obersten Militärkommandos«, mit dem die USA gegenwärtig die Details der Waffenlieferungen ausarbeiten, Milizen wie Ahrar al-Sham wieder an eine gemäßigte Dachorganisation zu binden. In der Konsequenz ist es jedoch Augenwischerei, wenn westliche Staatschefs betonen, sie könnten verhindern, dass Waffen in die Hände von Terrorkommandos fallen.

 

Die von Saudi-Arabien seit Frühjahr via Jordanien ins Land geschafften kroatischen Panzerabwehrwaffen vom Typ M-79 Osa haben sich großflächig verteilt, führten jenseits der Grenzstadt Deraa aber kaum zu militärischen Erfolgen. Da die Zahl der Deserteure und Rekruten auf Oppositionsseite mittelfristig deutlich abnehmen wird – wer kämpfen möchte, tut es bereits – die Regierung jedoch auf weitere Unterstützung von Iran und Hizbullah zurückgreifen kann, muss die Zahl der internationalen Dschihadisten in den kommenden Monaten deutlich zunehmen. Dass durch den offenen Eingriff der Hizbullah eine kritische Phase im syrischen Bürgerkrieg angebrochen ist, haben auch zahlreiche einflussreiche sunnitische Prediger wahrgenommen: so rief der Ägypter Jusuf al-Qaradawi Anfang Juni die Muslime weltweit zum Kampf auf, salafistische Netzwerke in Tunesien und anderen Staaten rekrutieren aktiver denn je.

 

Gleichwohl lehnen viele regimekritische Syrer eine Machtergreifung der Dschihadisten entschieden ab, befürchten gar ein Andauern des Krieges nach einem möglichen Sturz Assads. Ein SPD-Außenpolitiker begründete die deutsche Tatenlosigkeit angesichts der Lage in Somalia einmal mit der vollkommenen Abwesenheit unterstützenswerter Verhandlungspartner: Keiner der Kriegsparteien wolle man das Land anschließend anvertrauen. Nun hat die Afrikanische Union in den vergangenen Jahren selbst die Führung übernommen und die Schabab-Milizen in einem blutigen Städtekampf, dessen Details wenig bekannt sind und an denen auch nie sonderlich großes Interesse bestand, aus Mogadischu vertrieben.

 

Wäre das auch eine Perspektive für Syrien? Fakten schaffen, koste es was es wolle? Drei Handlungsoptionen stehen zur Wahl, für keine von ihnen sprechen sich Staatschefs bislang offen aus, denn Wahlen lassen sich mit ihnen kaum gewinnen: 1.) Angesichts der Dominanz dschihadistischer Kämpfer und marodierender Baath-Milizen wird jede Beteiligung am syrischen Bürgerkrieg bewusst abgelehnt, keine Stellung bezogen, keine Fraktion politisch anerkannt. 2.) Die Nato koordiniert sich gemeinsam mit den Golfstaaten, um großflächig, etwa durch die Einrichtung einer Flugverbotszone, einzugreifen, Verantwortung für das syrische Volk zu übernehmen und den Konflikt, so gut man kann, zu formen und zu lenken. 3.) Anerkennen, dass Baschar al-Assad noch immer über zahlreiche Unterstützer in der Bevölkerung verfügt und gemeinsam mit Russland, Iran und China eine politische Lösung ausarbeiten.

 

Neben der liberalen Opposition ist die Türkei der große politische Verlierer

 

Syrien erlebt zweifelsohne einen Volksaufstand; nur ist Syrien das Land mehrerer Völker. Die US-Invasion des Iraks 2003 befreite die Kurden und mittelfristig auch die Schiiten vor der Unterdrückung durch wenige sunnitische Clans, die die dortige Baath-Partei politisch beherrschten. Ironischerweise verehren viele syrische Rebellen bis heute Saddam Hussein als einen weisen und gerechten Herrscher – dass dieser zigtausende Iraker während seiner jahrzehntelangen Gewaltherrschaft töten ließ, blenden sie bewusst aus, oder rechtfertigen es sogar. Inzwischen wandelt sich auch der lange Jahre hofierte irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki mehr und mehr zum Autokraten. Die Falken um George W. Bush hatten vergessen, dass die blumigen Bekenntnisse al-Malikis nur Teil eines Spiels waren, die weiterhin den »Hama Rules« gehorchten.

 

In diesem perversen Ringen um Herrschaft gab es neben der liberalen syrischen Opposition bislang einen großen politischen Verlierer: Der türkische Anspruch, ein regional bedeutsamer Entscheider und Vorbild für moderat-islamistische Staaten zu sein, klingt nach den deutlichen Worten der ersten Kriegsmonate inzwischen hohl. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu steht vor den Trümmern seiner seit zehn Jahren aufgebauten Außenpolitik der »Null Probleme« und wenn sein Säbelrasseln der ersten Kriegsmonate lediglich zum Ziel hatte, die eigene Bevölkerung entlang der Grenze zu beruhigen, so kam im Norden Syriens eine andere Botschaft an. Die Rebellen hatten fest auf ein breiteres Engagement der Türkei gebaut, um das militärische Patt in Aleppo zu brechen.

 

Nun hat sich der Maulheld Davutoglu als Populist und realpolitischer Zwerg herausgestellt. Die Zivilisten, die seit zwei Jahren unter dem anhaltenden und willkürlichen Bombardement der Kampfjets leiden, haben inzwischen kaum mehr Illusionen über die moralische Qualität der internationalen Gemeinschaft. Kurden helfen Kurden, Sunniten helfen Sunniten und Alawiten helfen Alawiten. Dass al-Assad selbst das Rote Kreuz und das World Food Programme in seine Kriegsführung einspannt, indem er ihnen vorschreibt, alle Hilfslieferungen via Damaskus abzuwickeln, stößt noch immer nur bei Fachpolitikern und Hilfsarbeitern auf Kritik. Lediglich islamistische Organisationen und einzelne mutige Privatpersonen nehmen das Risiko in Kauf, die leidende Bevölkerung in den nördlichen und östlichen Rebellengebieten zu versorgen.

 

Einlassen auf die »Hama Rules«

 

Die aktuelle politische Haltung vieler Nato-Mitglieder und ja, auch der arabischen Golfstaaten, ist nachvollziehbar, aber feige. Die bisherigen Waffen- und Hilfslieferungen sind halbherzig und werden kaum eine Besserung, geschweige denn eine Entscheidung herbeiführen. Ist die Lage Syriens zu verfahren und unübersichtlich, um dort humanitär oder militärisch aktiv zu werden? Wenn der CDU-Politiker Philipp Mißfelder nun fordert, insbesondere christliche Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen, so legt er die richtige zynische und menschenverachtende Haltung an den Tag, die nötig wäre, den Konflikt nicht zu lösen, aber zu beenden.

 

Ist eine Diktatur der sunnitischen Massen über die zahlreichen Minderheiten Syriens eine wünschenswertere Perspektive als das aktuelle Schlachten? Könnte man mit einem von weitreichenden internationalen Sanktionen belegten Assad-Regime leben, das ein mit Ruinen überzogenes und in mehrere Teile zerbrochenes Syrien brutal zu einen versucht? Nach zwei Jahren des Zögerns in Syrien sind die Rebellen militärisch und politisch gescheitert, Assad mehr denn je dazu bereit, das eigene Land auf Jahrzehnte ins Chaos zu stürzen, um sich an der Macht zu halten. In nicht enden wollenden Prozessionen werden westliche Politiker in den Flüchtlingslagern Jordaniens und der Türkei vorstellig, zählen und vermessen das Leid.

 

Mehr als Brotkrumen hat keiner im Gepäck. Die Sterbenden und Verkrüppelten lediglich zu beweinen, ihnen jedoch keine Mittel zu geben, den Krieg schnell zu beenden, ist die Position Deutschlands. Keine Schuld auf sich zu laden, ist in Syrien jedoch unmöglich. Alle drei Handlungsoptionen kommen einem Verrat an den hohen Idealen des Aufstands gleich, nobel ist keine von ihnen. Sämtliche Wege sind gepflastert mit tausenden Leichen, ihre Endpunkte unklar. Um in Syrien eine schnelle Entscheidung herbei zu führen, muss sich die westliche Politik auf die »Hama Rules« einlassen und entschieden Stellung beziehen – für Assad oder für die Rebellen, gleich welcher politischen Gesinnung sie angehören.

Von: 
Nils Metzger

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