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Verfassungsentwurf in Syrien

Syrien in schlechter Verfassung

Analyse

Der Verfassungsentwurf, der am Sonntag zur Wahl steht, würde dem syrischen Regime Machtprivilegien wie einst Mubarak in Ägypten sichern. Dabei hätte Baschar al-Assad selbst mehrere der neuen Kriterien bei seiner Wahl im Jahre 2000 verfehlt.

Vor einem Jahr wäre diese Nachricht eine Sensation gewesen: Syrien gibt sich eine neue Verfassung, in der die Baath-Partei auf ihren Führungsanspruch verzichtet, alle Verweise auf den Sozialismus gestrichen und die Herrschaft des Präsidenten auf zwei Amtszeiten begrenzt wird. Doch elf Monate nach Beginn des Aufstands gegen das Assad-Regime können diese Versprechungen weder die syrische Opposition, noch den Großteil der internationalen Staatengemeinschaft überzeugen.

 

In seinen Reden, die Präsident Baschar al-Assad seit Ausbruch der Revolte im März 2011 gehalten hatte, stellte er mehrfach Reformen in Aussicht. Nun soll auf einmal alles ganz schnell gehen: Schon an diesem Sonntag, dem 26. Februar, sollen die Syrer über den vom Regime vorgelegten Verfassungsentwurf abstimmen. Mit dieser Initiative will die Führung in Damaskus ihre Handlungsfähigkeit beweisen. Die Vorstellung, dass in den Straßen von Homs, Zabadani, Idlib und vielen anderen Orten, durch die derzeit Assads Panzer rollen, am kommenden Sonntag fröhliche Syrer in Richtung Wahllokal strömen, ist jedoch schlicht absurd.

 

Jenseits der logistischen und organisatorischen Umstände des Referendums, die das Verfahren als Farce erscheinen lassen, erscheinen auch die Verfassungsänderungen bei näherer Betrachtung weniger weitreichend, als sie das Regime darstellt. Zwar wird die derzeit in Artikel 8 festgeschriebene Führungsrolle der Baath-Partei aufgehoben, gleichwohl sichern sich die Partei und die Führungselite um Baschar al-Assad ihre dominante Stellung durch zahlreiche andere Bestimmungen.

 

Das Regime sucht sich seine Herausforderer selbst aus

 

So sollen die nächsten Parlamentswahlen in Syrien innerhalb von 90 Tagen nach Annahme der neuen Verfassung abgehalten werden. Das entsprechende Wahlgesetz will die Regierung bis dahin vorlegen – ohne Rücksprache mit der Opposition. Die Wahlen sollen nach Auskunft des Regimes frei und fair verlaufen und auch Oppositionsparteien sollen antreten dürfen.  Darüber, wer bei den Wahlen aber tatsächlich antreten darf, entscheidet allein das Regime, das sich damit seine parlamentarischen Gegner selbst aussuchen darf. Ganz abgesehen davon hat keine oppositionelle Partei die Fähigkeit, innerhalb von drei Monaten Strukturen aufzubauen oder einen wirklichen Wahlkampf zu führen.

 

Die anstehenden Parlamentswahlen sind deshalb besonders wichtig, weil sie die Weichen für die nächsten Präsidentenwahlen im Jahr 2014 stellen. Laut der neuen Verfassung braucht jeder Präsidentschaftskandidat zukünftig die Zustimmung von 35 Abgeordneten der 250 Mitglieder zählenden Volksversammlung. Für Oppositionelle dürfte diese Hürde ein unüberwindbares Hindernis darstellen. Geht es nach dem Willen der Baath-Partei würden lediglich ein oder zwei handverlesene aussichtslose Gegenkandidaten bei den Wahlen 2014 gegen Baschar al-Assad antreten.

 

Diese Bestimmung in der neuen Verfassung hat Syriens Regime vom Ägypten unter Mubarak übernommen. Auch dort brauchten Gegenkandidaten die Unterstützung von Parlamentsabgeordneten. Angesichts der Übermacht der Mubarak-Partei NDP in der Volksvertretung konnten unliebsame Kontrahenten schon im Vorfeld von Wahlen ausgeschlossen werden.

 

Baschar al-Assad dürfte bis 2028 regieren

 

Doch auch andere Verfassungsartikel machen einen echten Wettbewerb nahezu unmöglich. So muss der syrische Präsident nicht nur Muslim sein – ein Passus, der aus der aktuellen Verfassung von 1973 unverändert übernommen wurde – sondern auch mindestens 40 Jahre alt, von Geburt an Syrer, mit einer Syrerin verheiratet und seit mindestens zehn Jahren in Syrien wohnhaft sein. Damit werden alle Oppositionellen, die vor dem Baath-Regime ins Ausland flohen, von der Wahl ausgeschlossen, wie zum Beispiel Burhan Ghalioun, der  Vorsitzende des oppositionellen Syrischen Nationalrats.

 

Ironischerweise hätte Baschar al-Assad selbst mehrere dieser Kriterien bei seiner Wahl zum Präsidenten im Jahre 2000 verfehlt. Damals war Assad erst 34 Jahre alt. Das Mindestalter für einen Präsidenten wurde eigens für ihn herabgesetzt und nun wieder auf 40 Jahre erhöht. Vor seiner Amtsübernahme von seinem verstorbenen Vater Hafiz hatte der Diktatorenspross jedoch nur sechs Jahre in Syrien gelebt.

 

Bis 1994 hatte Baschar in London studiert und als Augenarzt praktiziert. Seine Frau Asma war erst einen Monat vor der Hochzeit im November 2000 nach Damaskus gezogen. Vorher hatte sie fast ihr gesamtes Leben in Großbritannien verbracht. Bis heute besitzt sie neben der syrischen auch die britische Staatsbürgerschaft. Die müsste sie laut der neuen Verfassung eigentlich abgeben, unken syrische Oppositionelle im Internet.

 

Und auch die in dem Verfassungsentwurf festgeschriebene Begrenzung der Herrschaft des Präsidenten auf zwei Amtszeiten ist weitaus weniger revolutionär, als es den Anschein hat.  Artikel 88 legt nämlich fest, dass die entsprechende Regelung erst nach Ablauf der aktuellen Amtszeit von Baschar al-Assad greift.

 

Damit könnte sich der Diktator ab 2014 für zwei weitere Perioden von jeweils sieben Jahren wiederwählen lassen – also bis zum Jahr 2028.  Doch die Revolte gegen das Regime, der immer stärker werdende Protest gegen Assad und die wachsende Macht der bewaffneten Opposition lassen es derzeit schon unwahrscheinlich erscheinen, dass Baschar al-Assad bei der Präsidentenwahl 2014 noch auf dem Stimmzettel stehen wird.

Von: 
Christoph Sydow

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