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Ulrich Tilgner über den »Kriegs gegen den Terror«

Reiner Wein

Feature

Ulrich Tilgner skizziert elf Jahre nach dem Beginn des »Kriegs gegen den Terror« die westliche Politik im Nahen Osten. Er deckt Widersprüche auf, verzichtet auf Worthülsen und schreibt Tacheles. Seine Bilanz ist niederschmetternd.

Ulrich Tilgner kennt sich mit Konflikten im Nahen und Mittleren Osten aus, lebte und arbeitete in den vergangenen drei Dekaden in Jordanien, Irak und Afghanistan. Im Jahr 2002 übernahm er die Leitung des Teheraner Büros des ZDF und war anschließend Nahost-Sonderkorrespondent für den Sender auf dem Mainzer Lerchenberg.

 

Den verließ er vor vier Jahren – im Groll über die Zentrale, die oftmals wenig Gespür und Verständnis für seine Sicht der Dinge vor Ort hatte und seine Aversion gegen den »embedded journalism«, der seit der Ära Schröder auch in Deutschland zum guten Ton gehört. Zu Unrecht, wie Ulrich Tilgner behauptet.

 

Und wie zum Beweis seiner Einschätzung hat er nun ein Buch vorgelegt, das so gar nicht in die Bücherwelt dieser Tage über den Nahen und Mittleren Osten passen möchte. In »Logik der Waffen – Westliche Politik im Orient« schenkt der altgediente Kriegs- und Krisenjournalist reinen Wein ein, spricht mit den Menschen vor Ort, deckt Hintergründe auf und brilliert in seiner Analyse.

 

Von den erhofften Demokratien mit funktionierenden Zivilgesellschaften ist weder am Euphrat noch am Hindukusch etwas in Sicht, stattdessen blüht dort der Mohn und die Korruption; in Syrien ist der Bürger- zum Stellvertreterkrieg nebst zwielichtiger Milizen aus allen Herren Länder avanciert und im Iran-Konflikt zeigt sich das neue Gesicht des Waffengangs im 21. Jahrhundert: Tod und Verderben durch Computerviren.

 

Abkehr von Potemkinschen Dörfern

 

Tilgner sieht im Einsatz von »smart power«, zu der auch das gezielte Töten durch unbemannte Drohnen gehört, nicht nur eine Aushöhlung geltenden internationalen Kriegsrechts und der Genfer Konventionen durch die USA. Nein, er bescheinigt der Supermacht, deren intensive Nutzung von Söldnerheeren von Blackwater & Co. er detailliert beschreibt, ein weiteres Mal auf dem Holzpfad zu wandeln.

 

Demokratie lasse sich nicht mit Waffengewalt in alle Teile der Welt transportieren, so seine These, die Mahnung zugleich sein soll. Besonders beeindruckend werden seine Ausführungen dann, wenn Tilgner Menschen aus Iran zu Wort kommen lässt, deren Stimme in der hiesigen Medienlandschaft kaum Gehör findet, das rhetorische Keulenschwingen Ahmadinejads indes umso mehr, was das Zerrbild von der Islamischen Republik befördert.

 

Nicht weniger nachdenklich stimmt sein Vergleich der Außenpolitik des Westens mit der von Russland und China. Die beiden Riesenreiche verstehen es ungemein besser, die Nachkriegswirren im Irak und vor allem Afghanistan für ihre wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen zu nutzen – der jüngste Waffendeal der Regierung Maliki mit Russland ist stummer Zeuge der Tilgnerschen These.

 

Dieser reine Wein, den er einschenkt, mag nicht schmackhaft sein, hilfreich ist er dennoch. Anstatt sich von Potemkinschen Dörfern in Gestalt von Mädchenschulen und gebohrten Brunnen in Afghanistan täuschen zu lassen, die Barrel-Anzahl des geförderten Öls im Irak und Libyen als Indikatoren für Wohlstand und Demokratie anzuerkennen oder die Verlagerung der westlichen Kriegsführung von der aktiven Teilnahme hin zur Delegierung sich gegenseitig bekämpfender Seiten als kluge Antwort auf das bisherige Scheitern anzuerkennen, zeigt Tilgner, wie die Wirklichkeit vor Ort aussieht. Meist anders.

Von: 
Dominik Peters

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