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Thronfolge unter König Salman in Saudi-Arabien

Das Ende der Dinosaurier

Analyse

Die Personalrochade von König Salman hat für ein politisches Erdbeben in Saudi-Arabien gesorgt. Die Verlagerung auf die Enkelgeneration hat Signalwirkung für den Verjüngungsprozess – steht politisch aber für Konfrontation statt Konsens.

Obwohl Saudi-Arabiens neuer König Salman erst seit etwas mehr als drei Monaten sein Amt inne hat, zeichnen sich erste gravierende politische Richtungsentscheidungen ab. Dies verdeutlicht vor allem die Umgestaltung seines Kabinetts und die Neubesetzung des direkten Thronfolgers und dessen Stellvertreters. Mit Muhammad bin Naif ernannte er zum ersten Mal in der Geschichte des Königreiches keinen Sohn des Staatsgründers Ibn Saud als Thronfolger, sondern einen Vertreter der Enkelgeneration.

 

Damit entmachtete er auch den von seinem Vorgänger Abdallah eingesetzten bisherigen Thronfolger Muqrin. Muhammad bin Naif ist 55 Jahre alt und Sohn des 2012 verstorbenen, langjährigen Innenministers und Kronprinzen Naif bin Abdulaziz. Wie schon sein Vater gilt auch Muhammad als entschlossener und engagierter Sicherheitspolitiker, der sich in der Vergangenheit einen Namen als Verfechter eines kompromisslosen Vorgehens gegen gewaltbereite Opposition und Terrorismus gemacht hat.

 

Insbesondere zwischen 2005 und 2007, als innerhalb Saudi-Arabiens die Bedrohung durch Al-Qaida-nahe Akteure zunahm, erarbeitete er sich das Image des harten Anti-Terror-Kämpfers. Selbst 2009 Opfer eines erfolglosen Selbstmordanschlags, übernahm er in den letzten Jahren als Innenminister den Aufbau der Sicherheitsinfrastruktur im Königreich, spielte aber auch eine entscheidende Rolle bei der modifizierten Politik gegenüber Dschihadisten in Syrien.

 

Während unter Geheimdienstchef Bandar bin Sultan noch Gruppierungen wie die Nusra-Front aktiv von Saudi-Arabien unterstützt wurden, wurde das Erstarken des »Islamischen Staates« (IS) in Syrien und Irak vom saudischen Königshaus zunehmend als Bedrohung gesehen. Bestand zu Beginn der Aufstände in Syrien noch die Überzeugung, man könne – ähnlich wie in den 1980er Jahren in Afghanistan – dschihadistische Gruppierungen instrumentalisieren, um in Syrien Bashar al-Assad zu Fall zu bringen, zeigte die Auswechslung Bandars zugunsten Muhammad bin Naifs 2014 eine deutliche Kehrtwendung in der Wahrnehmung.

 

Seitdem hat das saudische Königshaus seine Politik gegenüber den Dschihadisten deutlich von einer wohlwollenden, vorsichtigen Unterstützung zu massiver Unterdrückung gewandelt. Damit einher geht eine Repressionswelle innerhalb des Königreiches, welche nicht allein dschihadistischen Gefährdern, sondern vielmehr oppositionellen Gruppierungen jeglicher Couleur gilt. Der Anti-Terrorkampf nutzt daher Vertretern wie Muhammad bin Naif vielfach nur als Vorwand, um gegen zivilgesellschaftliche Aktivisten, saudische Schiiten und Menschenrechtler vorzugehen.

 

Der Fall von Raif Badawi, dem zu 1.000 Peitschenhieben verurteilten regimekritischen Blogger, dient nur als ein Beispiel. Insgesamt hat sich die Zahl der politisch Inhaftierten in den letzten Monaten deutlich erhöht. Dies ist auch ein Ergebnis der modifizierten Politik des neuen Königs. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Abdallah, der als Modernisierer galt und außenpolitisch eher auf diplomatische Verhandlungen anstatt auf Konfrontation setzte, zeigt vor allem das militärische Vorgehen Saudi-Arabiens im Jemen eine neue Stoßrichtung: Saudi-Arabien fühlt sich von durch den Iran kontrollierten Feinden umzingelt. Die Huthis im Jemen, das syrische Regime, die schiitische Minderheit in Bahrain – alle diese Akteure werden als »fünfte Kolonnen« Irans wahrgenommen.

 

Obwohl diese »Iranoia« in ihrer Absolutheit übertrieben und kontraproduktiv ist, spielt sie eine entscheidende Rolle im öffentlichen Diskurs innerhalb Saudi-Arabiens und dient als Triebfeder für die aggressive und interventionistische Militärpolitik im Jemen. In diesem Zusammenhang übernimmt Salmans jüngster Sohn Muhammad eine entscheidende Funktion: Als Verteidigungsminister und neu designierter stellvertretender Kronprinz bestimmt er maßgeblich den politischen Kurs seines Vaters mit. Es wird gemutmaßt, dass das offensive Vorgehen gegen die Huthi-Bewegung im Jemen auch darauf zurückzuführen ist, dass Salman seinem Sohn die Möglichkeit geben wollte, sich als handlungsfähiger und kompromissloser Verteidigungsminister zu beweisen. Die Ernennung zum stellvertretenden Kronprinzen scheint die Belohnung gewesen zu sein.

 

Das wichtigste Ressort des Königreichs wird womöglich neu besetzt

 

Erst zum zweiten Mal nach Staatsgründer Ibn Saud designiert ein Vater seinen Sohn als möglichen Nachfolger. Diese Entscheidung sorgte innerhalb Saudi-Arabiens für gewisse Überraschung und auch Skepsis: Während Muhammad bin Naif als erfahrener Sicherheitspolitiker und enger Vertrauter der USA akzeptiert und geschätzt wird, wirft man Salmans Sohn hinter vorgehaltener Hand vor, wegen seines Alters nicht für seine Posten geeignet und ausschließlich aufgrund des Vertrauens seines Vaters in solch verantwortungsvolle Positionen gelangt zu sein.

 

Trotz seiner Jugend – er ist angeblich zwischen 28 und 33 Jahren alt –  scheint es, als habe sein Vater ihn seinen beiden Halbbrüdern, dem 58-jährigen Sultan, ehemaliger Astronaut und jetziger Tourismusminister, sowie dem 55-jährigen Abdulaziz, der im Januar zum stellvertretenden Ölminister ernannt wurde, vorgezogen. Muhammad bin Salman, übernahm zusätzlich noch den Vorsitz des Wirtschafts- und Entwicklungsrates und kann so Einfluss auf wichtige Personalentscheidungen nehmen. So deutet sich ein Abtreten des langjährigen Ölministers Ali al-Naimi an, dessen Nachfolger auch von Muhammad bin Salman bestimmt werden könnte – vielleicht zugunsten seines Halbbruder Abdulaziz.

 

Dies kann gravierende Auswirkungen auf die zukünftige Preispolitik des wichtigen Ölproduzenten Saudi-Arabien haben und würde die politische Bedeutung des Salman-Clans weiter stärken. Gleichzeitig hat König Salman zwei Söhne des verstorbenen Königs Abdullahs entmachtet. Hinzu kommt die offiziell mit gesundheitlichen Problemen begründete Auswechslung des Außenministers Saud al-Faisals durch den ehemaligen Botschafter in den USA, Adel al-Jubeir. Saud al-Faisal gilt als schillernde und einflussreiche Figur, der als weltweit am längsten amtierender Außenminister seit 1975 über exzellente Netzwerke verfügte.

 

Dass das Amt nun zum ersten Mal nicht mit einem Mitglied der Königsfamilie besetzt wird, kann als kleine Überraschung gewertet werden. Ob al-Jubeir, der 2007 Botschafter in Washington wurde und vorher als Berater des Königs fungierte, nur als Übergangslösung gilt, ehe Salman einen seiner Söhne für das Amt beruft, oder als Kompromisskandidat fungiert, um die Verstimmungen mit den USA zu kitten, ist bislang reine Spekulation.

 

Die neue Generation der Al Saud muss sich erst noch beweisen

 

Eines jedoch ist sicher: Die 26 Personalentscheidungen des Königs geben deutliche Indizien auf seine politische Führungslinie. Zum einen hat er den zwingend notwendigen Generationenwechsel in der Nachfolgeregelung eingeleitet, womit das Ende der letzten Vertreter der »Dinosaurier«, also der Söhne Ibn Sauds, besiegelt wurde. Weiterhin hat er den Clan des verstorbenen Königs Abdallah weitgehend entmachtet und seine eigene Familie gestärkt.

 

Zum anderen scheint er eher auf eine Sicherheitsstrategie zu setzen, denn auf vorsichtige Reformen. Dafür sprechen neben der Benennung von Muhammad bin Naif auch die Entlassung der einzigen Frau im Kabinett, der stellvertretenden Bildungsministerin Nura al-Fayez. Dies könnte auch ein Zugeständnis an die konservativen wahhabitischen Gelehrten gewesen sein. Der neue König sieht sich einer Vielzahl von innen- wie außenpolitischen Herausforderungen gegenüber.

 

Dem will er mit einem schlagkräftigen, vertrauenswürdigen und kompromisslosen Team begegnen, das lieber auf Konfrontation statt auf Konsens setzt, die die Sicherheitslösung der Reformpolitik vorzieht und sich nicht scheut, Saudi-Arabien in direkte militärische Konfrontationen zu steuern. Dies beinhaltet auch eine härtere Linie gegenüber dem Erzrivalen Iran. Dieser Weg stößt zwar innerhalb weiter Teile der Bevölkerung auf Zustimmung, birgt aber massive Risiken.

 

Saudi-Arabiens neue Generation muss erst noch beweisen, ob sie in der Lage ist, diesen Herausforderungen zu begegnen und ob der politische Wille vorherrscht, Stabilität nicht allein mit Waffen und Repression, sondern auch mit notwendigen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Reformen zu realisieren. Gelingt dies nicht, droht sich die neue Führung an all den zu begegnenden Herausforderungen zu verschlucken.

Von: 
Sebastian Sons

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