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Stopp der ägyptischen Gaslieferungen nach Israel

Wilder Westen im Sinai

Analyse

Der Stopp der ägyptischen Gaslieferungen nach Israel ist Folge eines Wirtschaftsstreits, der Ägypten jedoch innenpolitisch gerade sehr gelegen kommt. Aus ökonomischer Sicht ist die Situation für Ägypten eine Katastrophe.

Die Sinaihalbinsel hätte sich in eine Art »Wilder Westen« verwandelt ließ der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu am Dienstag verlauten. Damit sprach er die Sicherheitslage an, die sich seit dem Sturz Mubaraks massiv verschlechtert hat. Terrorgruppen würden mit der Unterstützung des Iran dort Waffen schmuggeln und Angriffe auf Israel planen. Den Stopp der ägyptischen Gaslieferungen, den das ägyptische Staatsunternehmen EGAS am Sonntag offiziell bestätigt hatte, spielte er jedoch herunter und sagte, dass es sich lediglich um einen wirtschaftlichen Disput zwischen den beteiligten Firmen auf israelischer und ägyptischer Seite handele.

 

Allerdings ist die politische Stimmung in Ägypten sowie die Sicherheitslage auf dem Sinai entscheidend für den Lieferstopp verantwortlich. Über ein Dutzend Male hatten Unbekannte seit dem Sturz Mubaraks die Pipeline zwischen Ägypten und Israel mit Bomben sabotiert. Die Gaslieferungen aus Ägypten, die eigentlich etwa 40 Prozent der israelischen Gasversorgung ausmachen, kamen daher seit Februar 2011 zum Teil komplett zum Erliegen. Hier liegt auch der konkrete Grund für den offiziellen Lieferstopp. Die Israelis wären nach fünffacher Aufforderung ihren Zahlungen nicht nachgekommen, sagte die ägyptische Ministerin für internationale Zusammenarbeit Faiza Abu el-Naga. Von israelischer Seite hieß es, dass man nicht für Gas zahlen könne, das man nie erhalten habe.

 

Der 2005 auf 20 Jahre angelegte Liefervertrag ist die größte wirtschaftliche Kooperation seit dem Friedensabkommen zwischen Ägypten und Israel 1979. Die Abwicklung findet über das ägyptisch-israelische Unternehmen East Mediterranean Gas Company (EMG) statt, das eine Pipeline vom Al-Arish auf dem Sinai ins israelische Aschkelon gebaut hat und dadurch seit 2008 Gas nach Israel lieferte. An dem Unternehmen sind auf israelischer Seite das Unternehmen American Israel Corporation (Ampal) und auf ägyptischer Seite vor allem der nebulöse Geschäftsmann und Mubarak-Vertraute Hussein Salem beteiligt. Salem, der nach Mubaraks Sturz nach Spanien geflohen war, steht mittlerweile in Ägypten wegen Korruption vor Gericht.

 

Denn es ist ungeklärt, wie EMG an die Exklusivlizenz gekommen ist, Gas an Israel zu liefern. Immer wieder gab es in Ägypten Spekulationen, dass Mubarak selbst über Salem als Strohmann an EMG beteiligt wäre. Der Stopp der Gaslieferungen an Israel ist somit nicht nur die Konsequenz aus dem unmittelbaren Zahlungsdisput, sondern auch ein logischer Schritt in der Aufarbeitung der Korruptionsvorwürfe gegen Mubarak und Salem.

 

Der Gasdisput gliedert sich nahtlos in die politische Stimmung in Ägypten ein

 

Der Lieferstopp wurde in Ägypten von Politikern aller Couleur positiv aufgenommen. Bereits seit Jahren hatte es immer wieder Proteste gegen die Gaslieferungen nach Israel gegeben. Israel zahle für das Gas einen Preis weit unter Weltmarktniveau und man solle den Vertrag nachverhandeln. Eine Behauptung, die mangels öffentlicher Zahlen, nicht überprüfbar ist. Allerdings hat sich Ministerin Faiza Abu el-Naga am Dienstag ähnlich geäußert. Israel sei eingeladen, die Verhandlung über neue Gaslieferungen aufzunehmen – allerdings zu neuen Konditionen.

 

Zwischenzeitlich ist die Situation für Ägypten eine wirtschaftliche Katastrophe. Schließlich gehört der Gasexport neben dem Tourismus zu den größten Devisenbringern des Landes. Beide Sektoren haben seit Beginn der Revolution massiv gelitten. Im Tourismus muss das Land einen Einnahmerückgang von etwa 9 Milliarden Euro 2010 auf 6 Milliarden Euro 2011 verkraften. Die Verluste aufgrund der Lieferschwierigkeiten im Gassektor lassen sich nicht genau beziffern, allerdings erscheint jede verlorene Einnahme angesichts der Situation fatal. Es wäre dringend notwendig, der jungen, arbeitslosen Bevölkerung eine wirtschaftliche Perspektive zu bieten. Mit sinkenden Einnahmen ist diese ohnehin schwierige Aufgabe aber wohl kaum zu meistern.

 

Allerdings scheint es im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen Ende Mai politisch opportun zu sein, gegen das Ausland zu wettern, auch wenn das wirtschaftliche Konsequenzen hat. So wird ausländischen NGOs Agitation vorgeworfen und auch auf die milliardenschwere Militärhilfe der USA wolle man gegebenenfalls lieber verzichten, als diese als politisches Druckmittel weiter zu akzeptieren. Der Gasdisput gliedert sich nahtlos in diese Stimmung ein, in der politische und wirtschaftliche Aspekte trotz aller Bekundungen des Gegenteils nicht voneinander zu trennen sind. Eine Stimmung, die ausländische Unternehmen nicht unbedingt ermuntert, in Ägypten zu investieren.

 

Nur Vorteile scheint die Situation vor allem für die Islamisten zu haben. Während man vermeintlich Stärke gegen schädliche ausländische Einflüsse beweist, treibt eine schlechte wirtschaftliche Situation die Bevölkerung in die Hände der von Saudi-Arabien finanzierten islamistischen Wohlfahrtsverbände. Mittelfristig droht dem Land dadurch jedoch ein wirtschaftlicher Kollaps. So ist bereits die Arbeitslosigkeit im letzten Quartal 2011 von 8,9 auf 12,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum angestiegen. Die ausländischen Währungsrücklagen sind um die Hälfte auf etwa 14 Milliarden Euro geschrumpft.

 

Kurzfristig profitiert das Konsortium des einzigen bisher erschlossenen Gasfelds in Israel

 

Im Gasdisput hat Ägypten im Zweifel mehr zu verlieren als Israel. Zwar muss Israel kurzfristig mit einem Anstieg der Energiekosten rechnen, auch könnte es zwischenzeitlich zu einem Versorgungsengpass kommen. Langfristig stellen riesige Gasfunde im Mittelmeer vor Israels Küste nicht nur den Eigenbedarf des Landes für das laufende Jahrhundert sicher, Israel könnte sogar zum Gasexporteur avancieren. Die Gasfelder »Tamar« und »Leviathan«, die 2009 und 2010 entdeckt wurden, werden auf eine Größe von zusammen 700 Milliarden Kubikmetern geschätzt. Israels Jahresverbrauch liegt derzeit bei etwa 6 Milliarden Kubikmetern.

 

In Israel machte sich der angekündigte Gaslieferstopp zunächst an der Börse bemerkbar. Das an EMG beteiligte Unternehmen Ampal verlor am Montag 19 Prozent seines Werts, seit Beginn der Angriffe auf die Pipeline im Sinai vor einem Jahr sogar über 80 Prozent. Auch andere große israelische Unternehmen wie Israel Chemicals, die milliardenschwere Lieferverträge mit EMG abgeschlossen haben, verloren an Wert. Profitieren von der Entwicklung dürfte das Konsortium des bisher einzigen erschlossenen israelischen Gasfelds »Yam Thetis« sowie auf mittlere Sicht das Konsortium des Felds »Tamar«, das ab 2013 Gas liefern können soll.

 

Der zeitweilige Versorgungsstopp aus Ägypten hatte bereits im ersten Quartal 2011 zu einer 80 Prozent höheren Förderung von »Yam Thetis« geführt. Das relativ kleine Feld, das vor der Küste Aschkelons liegt, wurde 1999 entdeckt und ist seit 2004 erschlossen. Ursprünglich sollte es bis 2014 Gas liefern. Nun könnten die Vorräte von rund 30 Milliarden Kubikmetern bereits 2012 oder spätestens 2013 zu Neige gehen. Sollte das erste Gas aus dem Feld »Tamar« nicht rechtzeitig fließen, könnte es zu einem Versorgungsengpass kommen.

 

Um die Erschließung zu beschleunigen, hat die israelische Regierung in ihrem neuen Gesetz zur Besteuerung des Energiesektors von 2011 steuerliche Erleichterungen für Förderungen bereit gestellt, die vor 2014 beginnen. So kann etwa das »Tamar«-Konsortium um das amerikanische Unternehmen Noble Energy und die israelischen Partner Delek Drilling und Avner bei schneller Umsetzung damit rechnen, erst nach einer zweihundertprozentigen Rendite Steuern für das Megaprojekt zu bezahlen.

 

Um den eventuellen Versorgungsengpass zu überbrücken, hat Israels Minister für Infrastruktur Uzi Landau indes auch den Bau einer schwimmenden Flüssiggasstation in Auftrag gegeben. Über diese soll vor der Küste bei Hadera ein Flüssiggastanker ab Ende 2012 in der Lage sein, Gas in die unter Wasser liegende Pipeline des israelischen Gasnetzes abzugeben. Die Kapazitäten dieser provisorischen Lösung soll zwischen 1,5 und 2,5 Milliarden Kubikmetern liegen, etwa ein Drittel des israelischen Gesamtbedarfs. Dies könnte nicht nur vorübergehende Versorgungsprobleme überbrücken, sondern einer möglichen Monopolstellung des »Tamar«-Konsortiums entgegenwirken, sollte bis dahin keine Versorgung aus Ägypten, sei es aus wirtschaftlichen oder aus politischen Gründen, sichergestellt sein.

Von: 
Hannes Alpen

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