Im Ringen um Ägyptens neue Verfassung können Linke und Liberale einen Etappensieg verbuchen. Doch die Auflösung der verfassungsgebenden Versammlung birgt auch viele Risiken – gerade im Hinblick auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen.
Nach einigen Rückschlägen in den letzten Wochen gibt es neue Hoffnung für Liberale und Linke in Ägypten. Am Dienstag erklärte das Oberste Gericht die von Islamisten dominierte verfassungsgebende Versammlung für rechtswidrig und folgte damit dem Argument der Kläger, dass die Versammlung nicht die ägyptische Bevölkerung widerspiegele. Zudem sei es fragwürdig, dass sich die Parlamentsabgeordneten selbst in das Gremium wählten. Sie seien schließlich nur für ihre Amtszeit und nur in ihrer Funktion als Parlamentarier gewählt worden, nicht mehr.
Damit gaben die Richter den kritischen Stimmen Recht, die das Gremium wegen ihrer parteipolitischen Zusammensetzung ablehnten. Die 100-köpfige verfassungsgebende Versammlung war vor etwa 2 Wochen vom Parlament bestimmt worden.
Muslimbrüder und Salafisten nutzten ihre Parlamentsmehrheit aus, um ihre Kandidaten, Parlamentsabgeordnete wie Vertreter der Zivilgesellschaft, durchzudrücken. In der Folge waren Liberale, Linke, Kopten, Frauen unterrepräsentiert. Daraufhin boykottierten viele Mitglieder dieser Gruppen, aber auch Vertreter der islamischen Lehranstalt Al-Azhar, die Versammlung.
Muslimbrüder und Salafisten, die die Mehrheit in Parlament und verfassungsgebender Versammlung stellen, kritisierten die Entscheidung und zweifelten die Zuständigkeit des Gerichts an. Seitens der Muslimbrüder hieß es aber auch, man werde das Urteil respektieren und eine Kompromisslösung suchen.
Die Wahl kann nach Verkünden des Ergebnisses nicht mehr angefochten werden – auch wenn manipuliert wurde
Alle anderen Parteien und politischen Kräfte begrüßten die Entscheidung. Nun sei die Chance für eine fundierte Verfassung für alle Ägypter gegeben. Sie fordern, dass die verfassungsgebende Versammlung nur aus Vertretern der Zivilgesellschaft und Rechtsexperten besteht. Einige fordern auch, dass der Militärrat Leitlinien für die Zusammensetzung der Versammlung als Deklaration verabschiedet. Denn auch die neue verfassungsgebende Versammlung wird vom Parlament bestimmt – in dem immer noch Muslimbrüder und Salafisten die Mehrheit haben.
Absehbar ist nun, dass die neue Verfassung nicht vor den Präsidentschaftswahlen Mitte Mai verabschiedet werden kann. Die Kompetenzen des Präsidenten sind also während seiner Wahl noch nicht definiert, was viele als problematisch ansehen. Hinzu kommt, dass laut Übergangsverfassung die Wahl nach Verkünden des Ergebnisses nicht mehr angefochten werden kann – auch wenn manipuliert wurde.
Das bietet viel Raum für Ängste vor Manipulationen durch Akteure des alten Regimes, zumal einige von ihnen kandidieren. Was schon bei den Parlamentswahlen zur Diskussion stand, wurde deshalb Mittwoch als Gesetzesvorschlag ins Parlament eingebracht: Politiker, die während der letzten 5 Jahre vor dem Sturz Mubaraks in führenden Regierungspositionen gewirkt haben, sollen 10 Jahre lang keine hohen politischen Ämter ausüben dürfen. Was bei vielen auf Zustimmung stieß, erntete auch Kritik.
Dieser Gesetzesentwurf sei vor allem auf eine Person zugeschnitten: Omar Suleiman. Der langjährige Geheimdienstchef, der nun doch für das Präsidentenamt kandidiert, gilt als rechte Hand Mubaraks und wird von vielen Ägyptern als »Folterchef« bezeichnet. Suleiman leugnet, Kandidat des Militärs zu sein, alle anderen politischen Kräfte sprechen aber von einer »Beleidigung der Revolution«. Suleiman sei schlimmer als Mubarak und werde, falls er wirklich antreten sollte, eine zweite Revolution auslösen. Welchen Plan Suleiman mit seiner Kandidatur verfolgt, ist noch unklar. Ob der entsprechende Gesetzesentwurf im Parlament eine Mehrheit findet und dann vom Militärrat gebilligt wird, bleibt auch abzuwarten.