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Reformen nach den Wahlen in Jordanien

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Analyse

Die Wahlen in Jordanien zeigen aufs Neue, dass König Abdullah kein wirkliches Interesse am propagierten Demokratisierungsprozess hat. Der Monarch bleibt in seinen Reformschritten bewusst vage und setzt auf seine bewährte Klientel.

Am vergangenen Mittwoch hat Jordanien erstmals seit Beginn der arabischen Protestbewegung Wahlen zum parlamentarischen Unterhaus abgehalten. Das mediale Interesse hielt sich außerhalb Jordaniens jedoch sehr in Grenzen. Das mag zum Teil an den Wahlen in Israel liegen, die am Tag zuvor stattfanden und weitaus spannender und richtungweisender waren als die in Jordanien. Aber der Hauptgrund ist, dass Wahlausgänge in Jordanien generell nur sehr begrenzten Einfluss auf politische Entwicklungen des Landes haben.

 

Und aufgrund des Wahlboykotts der Opposition lässt sich aus dem Wahlausgang noch nicht einmal ein Meinungsbild ablesen. Die Wahlbeteiligung lag nach offiziellen Angaben bei 57 Prozent, jedoch bezogen auf all diejenigen, die sich haben registrieren lassen. Das ist dennoch erstaunlich hoch und bedeutet sogar eine Steigerung um drei Prozentpunkte verglichen mit den letztenen Wahlen 2010. Die oppositionellen Muslimbrüder bezweifeln jedoch diese Zahlen und sprechen von Manipulationen.

 

Wahlbeobachter aus Jordanien, der Arabischen Liga, der EU und vom »National Democratic Institute« (NDI) hatten in ihren ersten Statements aber nur wenige Beanstandungen bezüglich des Wahlprozesses, sie sahen sogar deutliche Verbesserungen im Vergleich zu den letzten Wahlen. Erwartungsgemäß gewannen königstreue Stammeskräfte und parteiunabhängige Geschäftsleute die meisten Parlamentssitze. Aber auch zahlreiche Islamisten, die nicht den Muslimbrüdern angehören, sowie Vertreter des linken Pan-Arabismus waren erfolgreich.

 

Wie schon 2010 kam es am Wahltag in einigen Kleinstädten zu gewaltsamen Protesten, als vorläufige Ergebnisse bekannt gemacht wurden. Bei Ausschreitungen in Irbid und Karak setzte die Polizei Tränengas ein.

 

Seit der Finanzkrise Ende der 1980er Jahre befindet sich Jordanien erklärtermaßen in einem Reformprozess

 

Das Regime kann die Wahlen dennoch als Erfolg verbuchen. Es ist ihm ein weiteres Mal gelungen, den Anschein demokratischer Prozesse zu erwecken, ohne auch nur im Ansatz die Chance auf einen Politik- oder gar einen Regimewechsel zuzulassen. König Abdullah verkündete beim Weltwirtschaftsforum in Davos, dass Jordanien sich weiter reformieren und eine parteibasierte politische Kultur schaffen werde. Die Wahlen selbst wertete er als Erfolg und als Beleg für die politische Stabilität des Landes.

 

Das Regime profitiert zurzeit davon, dass von einer revolutionären Stimmung – die in Jordanien auch zur Hochzeit des Arabischen Frühlings nicht sehr ausgeprägt war – seit dem syrischen Bürgerkrieg nur noch wenig zu spüren ist. Angesichts der Entwicklungen im Nachbarland wie auch in Ägypten scheint den meisten Jordaniern Stabilität und Frieden wichtiger zu sein, als faire demokratische Teilhabe. Vielleicht erklärt sich so auch die rege Wahlbeteiligung ungeachtet des Wahlboykottes der Opposition.

 

Bereits seit seiner Finanzkrise Ende der 1980er Jahre befindet sich Jordanien erklärtermaßen in einem Reformprozess, der nach offizieller Verlautbarung auf eine Demokratisierung des politischen Systems abzielt. Mit dieser Darstellung versucht die Monarchie sowohl nach innen als auch gegenüber internationalen Geldgebern an Legitimität zu gewinnen. Diese Demokratisierung findet jedoch ohne zivilgesellschaftliche Mitwirkung statt, denn die Monarchie entscheidet über konkrete Reformschritte allein und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das Regime verfolgt somit ganz im Geiste autokratischer Herrschaftstradition den Ansatz der »Reform von oben«.

 

Wird Abdullah den Wählerwillen berücksichtigen?

 

Auch im Zuge der jetzigen Wahl hat die Regierung das Wahlgesetz reformiert. Dabei sind auch einige nennenswerte Neuerungen herausgekommen. So wurden die Wahlen erstmalig von einer unabhängigen Wahlkommission organisiert und überwacht. Auch wurde nun ein Zweistimmen-Wahlsystem angewandt, das ungefähr wie das deutsche Wahlrecht funktioniert: Mit der Erststimme wird der Kandidat des Wahlkreises mit einfacher Mehrheit gewählt, die Zweitstimme entfällt auf landesweite Kandidatenlisten von Parteien oder Unabhängigen.

 

Das Parlament wurde auf 140 Sitze erweitert, wobei 27 statt wie bisher 17 Abgeordnete einer politischen Partei angehören dürfen. 15 Sitze sind für Frauen reserviert (zwei zusätzlichen weiblichen Kandidaten gelang bei dieser Wahl der Einzug ins Parlament). König Abdullah II. hat des Weiteren angekündigt, nach der Wahl nicht wie bislang üblich eigenmächtig den Ministerpräsidenten zu ernennen, sondern stattdessen den Wählerwillen zu berücksichtigen.

 

Der neue Ministerpräsident wird demnach der größten Parlamentsfraktion entstammen. Es ist aber noch immer unklar, ob der Ministerpräsident direkt von den Parlamentariern gewählt werden wird, oder aber ob der König einen Abgeordneten aus der größten Fraktion selbst auswählt und ernennt. Dennoch ging der Opposition die Wahlreform nicht weit genug. Schon im Juli 2012 erklärten die Muslimbrüder ihren Wahlboykott, linke und liberale Parteien schlossen sich an.

 

Ihre Forderung ist die Anhebung des Anteils der Parteianhänger im Parlament auf mindestens die Hälfte. Außerdem sehen sie sich durch die unverhältnismäßig geringe Repräsentanz der urbanen Gebiete benachteiligt – zwei Drittel aller Abgeordneten stammen aus ländlichen Regionen.

 

Noch werden Parteien mit restriktiven Gesetzen kleingehalten

 

Die Monarchie förderte schon immer die traditionellen Stämme, die das Rückgrat ihrer Herrschaft bilden. Die meisten so genannten unabhängigen Abgeordneten verstehen sich daher nicht als Repräsentanten ihres Volkes und hängen auch keiner Ideologie an, sie fungieren stattdessen als Dienstleister ihres Clans beziehungsweise ihres Stammes. Das Abgeordnetenmandat gewährt ihnen einen gewissen Zugriff auf staatliche Ressourcen, im Gegenzug zeigen sie sich in allen Lagen loyal zur Monarchie.

 

Mit dem monarchischen Herrschaftsprinzip, das auf konservativen Tugenden wie Loyalität, Autorität und Hierarchie beruht, sind die Stammesleute ohnehin besser vertraut als mit dem Wettbewerbsprinzip demokratischer Entscheidungsprozesse. Sämtliche Parteien des Landes kritisieren den patrimonialen Stammesklientelismus scharf und verlangen – bislang vergeblich – einen fairen und offenen politischen Wettbewerb. Von einer demokratischen Erneuerung seines politischen Systems ist Jordanien noch weit entfernt.

 

Das liegt auch an der weiterhin vollkommen unkontrollierten und ungebundenen Macht des Monarchen. Seine Ankündigung, den Wahlausgang bei der Ernennung des Ministerpräsidenten zu berücksichtigen, ist nicht mehr als ein unverbindliches Angebot, eine entsprechende Verfassungsänderung und somit ein einklagbares Recht ist damit nicht verbunden. Auch bleibt ihm weiterhin das exklusive Recht vorbehalten, das Parlament aufzulösen und Regierungen nach Gutdünken neu zu besetzen.

 

Und es ist weiter damit zu rechnen, dass die Vergabe politischer Ämter über informelle und persönliche Beziehungen und nach Stammeszugehörigkeit erfolgen anstatt nach persönlicher Qualifikation. Der nächste Schritt im schleppend verlaufenden Demokratisierungsprozess muss daher eine Aufwertung politischer Parteien beinhalten. Bisher sind Parteien bis auf die Muslimbrüder aufgrund eines sehr restriktives Wahl- und Parteiengesetzes klein und unbedeutend.

 

Meinungsbildungs- und Mobilisierungsfunktionen können jordanische Parteien daher nur sehr eingeschränkt erfüllen. Die Monarchie fürchtet Parteien nicht nur, weil sie als Antriebskräfte eines demokratischen Wandels fungieren, sondern weil sie sich am Ende dem Volk als Herrschaftsalternative zur Monarchie darbieten könnten.

 

Das Zweckbündnis mit der Monarchie erlaubte den Muslimbrüdern begrenzte politische Mitbestimmung

 

Die jordanischen Muslimbrüder sind die einzige einflussreiche Oppositionspartei in Jordanien. Sie gelten im Gegensatz zu vielen anderen nationalen Ablegern der islamistischen Bewegung als gemäßigt, nicht zuletzt weil sie bereits kurze Zeit nach ihrer Gründung 1945 ins politische System Jordaniens eingebunden wurden und weil sie nie den Sturz der Monarchie gefordert und sich auch nicht bewaffnet haben. Lange fungierten die Islamisten als strategische Verbündete des Regimes gegenüber links-revolutionären Bewegungen.

 

Das Zweckbündnis erlaubte den Muslimbrüdern begrenzte politische Mitbestimmung, politische Meinungsäußerung und die Unterhaltung zahlreicher sozialer und religiöser Einrichtungen. Die jordanische Monarchie konnte im Gegenzug ihre Herrschaftslegitimität erhöhen und zugleich eine immer populärer werdende politische Bewegung effektiver kontrollieren.

 

Ausgerechnet mit Beginn der Reformagenda ab Ende der 1980er Jahren verschlechterte sich das Verhältnis zwischen beiden Akteuren kontinuierlich, denn die Muslimbrüder lehnten die zwei wichtigsten Reformprojekte der Monarchie ab: die ökonomischen Strukturanpassung, die der Internationale Währungsfond als Bedingung für neue Staatskredite auferlegte, und der Nahost-Friedensprozess.

 

Die Organisation von Massenprotesten gegen die Regierung sowie die starke Annäherung an die palästinensische Hamas sind weitere Gründe, warum die Muslimbrüder als einflussreichste politische Kraft von der propagierten Demokratisierung in keiner Weise profitieren konnten. Will die Monarchie weiter politische Stabilität auch in neuen Krisenzeiten wahren, muss es ihr gelingen, mit einem neuen Gesellschaftsvertrag die Muslimbrüder wieder ins politische System einzubinden.

Von: 
Maximilian Felsch

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