Lesezeit: 10 Minuten
Rücktritt von Salam Fayyad

Das prekäre Erbe des Salam Fayyad

Kommentar

Unverhohlener Jubel bei Fatah und Hamas, spürbare Betroffenheit im Westen. Die unterschiedlichen Reaktionen stehen symbolisch für Salam Fayyads umstrittene Amtszeit. Was bedeutet der Rücktritt des Premiers für die Palästinensergebiete?

Für die Europäische Union und die USA ist der Name Salam Fayyad untrennbar mit einer neuen Art von Politik in der arabischen Welt verbunden, die auf guter Regierungsführung und Verantwortlichkeit basiert. Mit seiner Politik, dem so genannten Fayyadismus, setzte er den Schwerpunkt auf die Errichtung von staatstragenden Institutionen und ein strikt gewaltloser Widerstand. Diese Idee wurde erstmals in seinem Regierungsprogramm vom August 2009 schriftlich fixiert.

 

Unter dem Titel »Palästina: Die Besatzung beenden, den Staat errichten« wurde ein Zeitraum von zwei Jahren angesetzt, um die Palästinensischen Gebiete auf die Staatlichkeit vorzubereiten. Zu seinen unbestreitbaren Erfolgen zählten unter anderem Verbesserungen in den Bereichen Wirtschaftsentwicklung, Regierungsführung (Korruptionsbekämpfung, Transparenz und Verantwortlichkeit), Infrastruktur und Effektivität von staatlichen Einrichtungen. Zu den symbolträchtigsten Maßnahmen gehörte dabei die monatliche Veröffentlichung eines Fiskalberichts auf der Internetseite des Finanzministeriums.

 

Durch die auch in englischer Sprache verfassten Dokumente entstand ein effektives Mittel, um Transparenz zu schaffen. Kritiker halten Fayyad hingegen vor, dass diese Erfolge nicht nachhaltig seien und erst durch externe finanzielle sowie diplomatische Unterstützung möglich gemacht wurden. Tatsächlich gerät die palästinensische Wirtschaft in kürzester Zeit in große Bedrängnis, wenn, wie es regelmäßig geschieht, Teile der internationalen Hilfsgelder zurückgehalten werden. Eine sich selbst tragende palästinensische Ökonomie ist unter der israelischen Besetzung nicht möglich.

 

Unbestreitbare Erfolge – und legitime Kritik

 

Darüber hinaus profitieren nur diejenigen Palästinenser von dem moderaten Wirtschaftswachstum und der effektiveren Regierungsarbeit, die in den A- und B-Gebieten des Westjordanlands leben. Die Einwohner der israelisch kontrollierten C-Gebiete, die etwa 60 Prozent des Westjordanlands ausmachen, Ost-Jerusalems und des von der Hamas beherrschten Gazastreifens werden weiter marginalisiert. Seit Beginn von Fayyads Amtszeit 2007 äußerten viele Fatah-Offizielle Kritik an seiner Wirtschaftspolitik. Dazu entstanden aufgrund seiner hohen Reputation im Ausland Neid und Missgunst.

 

Auch seine Weigerung, Fatah-Mitglieder nur auf Grund ihrer Parteizugehörigkeit ins Kabinett aufzunehmen, wurde ihm übel genommen. Die Hamas warf ihm hingegen die mangelnde demokratische Legitimität seiner Regierung vor. Einmal abgesehen von der Ironie, dass eine autoritär regierende Bewegung ohne Interesse an freien Wahlen Demokratie anmahnt, ist diesbezüglich ein Rückblick auf den Amtsantritt von Fayyad angebracht. Sein Kabinett wurde nach der Spaltung der Palästinensergebiete im Juni 2007 als »Notstandsregierung« von Präsident Mahmud Abbas ernannt.

 

Dieser Terminus kommt im Palästinensischen Grundgesetz zwar gar nicht vor, jedoch hat der Präsident die Möglichkeit, für 30 Tage den Notstand zu verhängen. Eine Verlängerung ist nur mit Zustimmung des Parlaments möglich – doch dazu kam es nicht. In dieser Hinsicht scheint die Kritik der Hamas gerechtfertigt. Der eigentliche Grund des Hasses der Hamas auf Fayyad ist aber das harte Vorgehen der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) gegen jedwede Aktivität der Islamisten im Westjordanland – ein Spiegelbild der Hamas-Politik gegenüber der Fatah in Gaza. Unter Fayyad wurden Hamas-Aktivisten festgenommen, von ihnen kontrollierte Moscheen und Wohltätigkeitseinrichtungen unter PA-Kontrolle gebracht, ihnen wohlgesinnte Beamte entlassen und ihre NGOs geschlossen.

 

Warum gerade jetzt?

 

Die Stabilität des Westjordanlands in den vergangenen Jahren wurde somit durch politische Repression erkauft, die nicht nur die Hamas, sondern auch Journalisten traf. So wurden in den letzten Jahren immer wieder kritische Journalisten verhört und verhaftet, Medieneinrichtungen durchsucht sowie der Zugang zu Internetseiten blockiert. Der Zeitpunkt von Fayyads Rücktritt gibt Hinweise darauf, was die nächste Zeit im Hinblick auf Innenpolitik und Friedensprozess bringen könnte.

 

Die Aussöhnung zwischen Fatah und Hamas ruht derzeit und die amerikanische Administration, namentlich Außenminister John Kerry, scheint bereit zu sein, viel Zeit und Energie in eine Wiederbelebung des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses zu investieren. Als Ministerpräsident war Fayyad zwar nicht direkt an den Friedensverhandlungen beteiligt, doch fiel ihm eine zentrale Position in Washingtons Plänen zu. Er sollte die Implementierung neuer Wirtschaftsprojekte in den Palästinensergebieten vorantreiben.

 

Dadurch sollte ein Klima geschaffen werden, welches beiden Seiten eine Rückkehr an den Verhandlungstisch erleichtert hätte. Ob eine israelisch-palästinensischen Annäherung ohne Fayyad zustande kommt, hängt auch vom zukünftigen Verhältnis zwischen Fatah und Hamas ab. Für Hamas war Fayyad aus den beschriebenen Gründen die Persona non grata schlechthin. Sein Rücktritt könnte als Indiz für eine neue Initiative im Aussöhnungsprozess gedeutet werden.

 

Eine palästinensische Einheitsregierung würde jedoch die Aussichten auf eine Revitalisierung des Friedensprozesses merklich verschlechtern. Für Israel wäre selbst eine Einheitsregierung bestehend aus Technokraten ein rotes Tuch, da man davon ausgeht, dass auch eine formal unabhängige Regierung auf das Wohlwollen und die Zustimmung der Hamas angewiesen wäre.

 

Ein flacher aber weiter Graben

 

Doch darf man sich nicht der Illusion hingeben, dass mit Fayyads Rücktritt alle Konflikte zwischen Fatah und Hamas gelöst wären. Es sind in erster Linie machtpolitische Gründe, die einer Aussöhnung im Wege stehen. Einzelne Personen und selbst ideologische Erwägungen spielen derzeit nur eine sekundäre Rolle. Der Politikwissenschaftler Nathan J. Brown von der George Washington University bezeichnet den Graben zwischen den beiden Bewegungen daher auch als »flach aber weit«.

 

Er ist nicht so tief wie viele glauben, da die Fatah religiöser ist, als gemeinhin angenommen wird und die Hamas über eine lange nationalistische Tradition verfügt. Einer Versöhnung stehen vielmehr die folgenden drei Elemente im Weg: Erstens, gibt es kaum Strukturen in den Palästinensischen Gebieten, in denen Fatah und Hamas ihre Streitigkeiten friedvoll austragen können. Die Dialogforen, die in gefestigten Demokratien für die Konfliktaustragung benutzt werden, sind durch die geographische und politische Spaltung der Palästinensergebiete sowie die Nichtabhaltung von nationalen Wahlen erodiert.

 

Stattdessen werden Konflikte oftmals auf der Straße ausgetragen. Zweitens, fehlen politische Führer, die ein genuines Interesse an einer Versöhnung haben. Beide Bewegungen werden von Personen dominiert, die der anderen Seite nicht über den Weg trauen und für die bestehende Spaltung mitverantwortlich sind. Das trifft auf Teile der Fatah und die Hamas-Führung in Gaza zu. Schließlich gibt es darüber hinaus kaum Anreize zur Versöhnung. Beide Seiten haben sich mit der Situation arrangiert und verfügen über Sponsoren, die einer Aussöhnung aus den verschiedensten Gründen skeptisch gegenüberstehen.

 

Der Rücktritt von Ministerpräsident Salam Fayyad dürfte keine gravierenden Auswirkungen auf die Situation in den Palästinensergebieten haben. Er ist viel mehr ein Indikator für die massiven Herausforderungen. Die Aussichten auf eine Annäherung von Fatah und Hamas sind weiterhin trübe. Der Fayyadismus wird zwar auch unter dem nächsten Regierungschef Bestand haben, aber nur so lange, wie die ausländische Finanzhilfe fließt.

 

Doch den wirtschafts- und ordnungspolitischen Erfolgsaussichten dieser Politik sind Grenzen gesetzt, die durch die Besetzung der Palästinensergebiete bestimmt werden. Aber selbst Mahmud Abbas scheint nicht daran zu glauben, dass ein Frieden derzeit in Reichweite ist. Ansonsten hätte der PA-Präsident abgewartet, was die neue amerikanische Initiative bringt, bevor er dem Rücktritt Fayyads zustimmte.


Jörg Knocha ist Projektmanager bei der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) Ramallah. Der Artikel stellt die Meinung des Autors dar und spiegelt nicht grundsätzlich die Meinung der KAS Ramallah wider.

Von: 
Jörg Knocha

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.