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Präsident Sargsjan und Wahlen in Armenien

Am Rand des Kaukasus

Analyse

Armenien leidet unter Strukturproblemen in Wirtschaft und Politik, auch der Konflikt mit dem Nachbarn Aserbaidschan harrt weiter einer Lösung. Präsident Sargsjan muss sich wohl trotzdem nicht um seine Wiederwahl am 18. Februar sorgen.

Die Präsidentschaftswahlen Armenien am 18. Februar werden Amtsinhaber Serge Sargsjan wohl in seinem Amt bestätigen. Unter den sieben weiteren Bewerbern um das höchste Staatsamt findet sich kein ernstzunehmender Herausforderer. Die beiden aussichtsreichsten potentiellen Gegenkandidaten hatten bereits Ende des letzten Jahres ankündigt, nicht zur Wahl antreten zu wollen. Der Urnengang wird daher vermutlich zu einem Heimspiel für Sargsjan, der Schätzungen zufolge bis zu 70 Prozent der Wählerstimmen erhalten könnte.

 

Vor dem Hintergrund dieses fast sicheren Ausgangs werden die Wahlen diesmal vielleicht sogar einigermaßen fair und transparent ablaufen – ganz im Gegensatz jenen von 2008, die Sargsjan erstmals in das höchste Staatsamt trugen. Dia Wahlbeobachter der OSZE kritisierten damals insbesondere Defizite bei der Stimmenauszählung. Der durch den unterlegenen Kandidaten Levon Ter-Petrossian (der von 1991 bis 1998 bereits einmal als Präsident amtiert hatte) geäußerte Vorwurf der Wahlfälschung führte damals zu Straßenprotesten in Jerewan, bei Zusammenstößen mit der Polizei wurden 450 Menschen verletzt und 10 getötet.

 

Im Jahr 2011 gingen die Anhänger von Petrossians Oppositionspartei erneut gegen die Politik von Sargsjan und dessen Regierung auf die Straße. Das Resultat waren zum einen erneute Konfrontationen mit der Polizei, zum anderen konstruktive Gespräche zwischen beiden Antagonisten. Die Parlamentswahlen des Jahres 2012 galten dann bereits als deutlich transparenter. Den Sieg trug erneut Sargsjans Partei davon, gefolgt von jener des populären Geschäftsmannes und ehemaligen Ringers Gagik Tsarukian. Petrossian landete mit seiner Partei abgeschlagen auf dem dritten Platz.

 

Die einzigen ernstzunehmenden Gegenkandidaten verzichten auf eine Kandidatur

 

Ausgerechnet Tsarukian und Petrossian waren es dann, die Ende 2012 – als einzig ernstzunehmende Gegenkandidaten – darauf verzichteten, im anstehenden Präsidentschaftswahlkampf anzutreten. Über die Gründe kann nur spekuliert werden. Vielleicht rechneten sie sich nicht genügend Siegchancen aus und fürchteten bei einer Niederlage das Ende ihrer politischen Karriere. Auch über die Möglichkeit einer Absprache zwischen Sargsjan und Tsarukian wird gemunkelt. Letzterer könnte in fünf Jahren noch einmal zur Wahl antreten.

 

Im Fall von Petrossian, der seit 1991 als erster Präsident eines unabhängigen Armenien amtierte, 1998 aber nach anhaltenden Protesten zurücktreten musste, ist dies hingegen kaum wahrscheinlich. In seiner zweiten Amtszeit würde sich Sargsjan denselben Problemen gegenübersehen wie in seiner ersten. Die Arbeitslosigkeit ist ausgesprochen hoch, die Wirtschaft lahmt, Korruption, Monopol- und Vetternwirtschaft blühen, die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den Nachbarländern Türkei und Aserbaidschan liegen auf Eis.

 

Mit der Türkei steht sich Armenien dabei in einer geschichtspolitischen Auseinandersetzung um die blutigen Ereignisse des Jahres 1915 (um die in diesem Zusammenhang politisch belasteten Begriffe »Völkermord« oder »Genozid« zu vermeiden) gegenüber. In seiner ersten Amtszeit bemühte sich Sargsjan zunächst um eine Annäherung an den großen Nachbarn. Widerstände aus dem eigenen Land sowie aus Aserbaidschan ließen aber kaum Erfolge zu.

 

Wie Aliyev in Aserbaidschan profiliert sich auch Sargsjan als Hardliner im Berg-Karabach-Konflikt

 

Mit Aserbaidschan befindet sich Armenien weiterhin im Streit um das Gebiet Berg-Karabach. Die Ursprünge dieses Territorialkonfliktes reichen in die Sowjetzeit zurück. Im Jahr 1921 wurde das überwiegend von Armeniern bewohnte Berg-Karabach als »autonomes Gebiet« der Sowjetrepublik Aserbaidschan zugeschlagen. 1991 begannen die nun unabhängigen Staaten Aserbaidschan und Armenien dann einen blutigen Krieg um das Gebiet, der 1994 mit einem Waffenstillstand zugunsten Armeniens endete.

 

Beendet ist der Konflikt damit allerdings nicht, im Gegenteil: An der Demarkationslinie stehen sich Soldaten und Scharfschützen gegenüber, fast täglich kommt es zu Scharmützeln mit Todesopfern. Inzwischen hat Aserbaidschan, die Gewinne aus seinem Gas- und Ölexport nutzend, massiv aufgerüstet. Eine Lösung des Konfliktes wird dadurch erschwert, dass sowohl Sargsjan wie auch sein aserbaidschanischer Kollege Heydar Aliyev ihre derzeitigen Ämter nicht zuletzt ihrer Profilierung als Hardliner in eben diesem Konflikt zu verdanken haben. Außenpolitisch enge Bindungen pflegt Armenien hingegen mit der Russischen Föderation.

 

Die 102. Militärbasis mit 5.000 Soldaten im armenischen Gjumri ist nach der Schließung der georgischen Basen der letzte verbliebene russische Stützpunkt der »Gruppe der Russischen Streitkräfte in Transkaukasien«. Um sich außenpolitischen Spielraum zu erhalten, bemüht sich Armenien jedoch zugleich um eine möglichst enge Kooperation mit der EU und den USA. Die mehrere Millionen Armenischstämmige umfassende Diaspora erleichtert diese Kooperation zwar, gleichzeitig erschweren ihre Mitglieder mitunter aber durch eine ideologisch motivierte Haltung in außenpolitischen Fragen eine pragmatische Annäherung Armeniens an die Türkei und Aserbaidschan.

 

Regionale Infrastrukturprojekte machen einen Bogen um Armenien

 

Dabei wird Armeniens Wirtschaft gerade durch die geschlossenen Grenzen zu diesen beiden Nachbarländern nachhaltig beeinträchtigt. Jedweder Im- und Export muss kostenintensiv über die Nachbarländer Georgien (im Norden) und Iran (im Süden) abgewickelt werden. Auch regionale Infrastrukturprojekte wie Pipelines und Eisenbahnlinien machen aufgrund der politischen Situation einen Bogen um Armenien. Zudem bleiben die kaufkräftigen Märkte der Türkei und Aserbaidschans  für armenische Produkte verschlossen.

 

Das Resultat ist eine hohe Erwerbslosigkeit und die Abwanderung gut ausgebildeter Arbeitskräfte ins Ausland. Tatsächlich machen deren Rücküberweisungen inzwischen mehr als 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Während dem Staat durch die Korruption jährlich bis zu einer halben Milliarde Dollar an Steuereinnahmen entgehen, muss die Bevölkerung aufgrund der Monopolbildung überhöhte Preise für Lebensmittel und Importgüter zahlen. So ist es nicht verwunderlich, dass sich in Gesprächen mit Armeniern manchmal Frust sowie Politikverdrossenheit bemerkbar machen.

 

Es bleibt zu hoffen, dass Sargsjan in seiner zweiten Amtszeit diese Probleme angeht – die notwendigen Befugnisse hätte er. Wie in den meisten postsowjetischen Staaten fällt dem Präsidenten auch in Armenien eine außerordentliche Machtfülle zu. Die Verfassung räumt ihm großen Einfluss auf Legislative, Judikative und Exekutive ein. So ist die als korrupt verschriene Polizei beispielsweise direkt dem Präsidenten unterstellt. Der verbreitete Klientelismus, die auf allen Ebenen anzutreffende Korruption und die oligarchische Struktur der Wirtschaft komplizieren Reformen allerdings. Ob es Sargsjan dennoch gelingen wird, die Lebensbedingungen der meisten Armenier zu verbessern, das wird sich – sein Wahlsieg vorausgesetzt – in den kommenden fünf Jahren zeigen.

Von: 
Arne Segelke

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