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Nubische Kultur in Ägypten

Versunkene Welt, lebendige Kultur

Feature

Pharaonen und Staudämme, Austausch und Konflikt prägten das Verhältnis Nubiens zum Rest Ägyptens. Über die ambivalente Eigenständigkeit der nubischen Kultur zwischen Assuan und Luxor.

Nubien und die Nubier tauchen bei uns nur noch in den Geschichtsbüchern auf, wenn es um das Reich der ägyptischen Pharaonen geht. Dort liest man von tapferen Soldaten, Elitekriegern der Herrscher, die manche Schlacht entscheidend beeinflusst haben, aber auch von Aufständen in diesem südlich von Assuan gelegenen Reich. Die Gold- und Silbervorkommen Nubiens waren ebenso legendär wie die wilde, dunkle Schönheit seiner hoch gewachsenen Menschen.

 

Doch was machte die Kultur dieses Landes aus, das mit dem Bau der Assuan-Staudämme auf immer in den Fluten des Nassersees verschwunden ist? Und was geschah mit den Menschen? Auf meiner jüngsten Reise nach Ägypten bin ich diesen Fragen nachgegangen und traf dabei auf Menschen, die mir kundig und begeistert von ihrem versunkenen Land, ihrer Kultur und ihrer Geschichte berichteten.

 

Sie ließen dabei die Exponate, die ich in dem sehr sehenswerten Nubischen Museum von Assuan sah – das leider nur selten auf dem Tourplan von Reiseveranstaltern steht –, zum Leben erwachen. Eindrucksvoll waren für mich schon die steinzeitlichen Funde: Felszeichnungen, die Jagd- und Tanzszenen zeigen. Die dort abgebildeten Tiere erinnerten mich oft an die Höhlenbilder in Südfrankreich; Faustkeile, Steinmesser und –beile, Pfeil- und Speerspitzen, wie ich sie aus der gleichen Epoche aus meiner Heimat kenne.

 

Geschichtlich nachweisbar ist die Besiedlung Nubiens also schon in der Frühgeschichte. Und zu dieser Zeit muss der Nil weite Gebiete fruchtbar gemacht haben, denn die Kultur, die sich bis zur pharaonischen Zeit an seinen Ufern bildete, war auf Ackerbau, Jagd und Fischfang begründet. Der Legende nach geht das Volk des Landes Kusch, die Kuschiten, auf den dritten Sohn Noahs, der den gleichen Namen trug, zurück. Nubien, so wurde ich informiert, wurde das Land erst von den pharaonischen Ägyptern genannt, was auf die Goldfunde zurückgeht. Das altägyptische Wort für Gold war »nub«.

 

Im nubischen Dorf von Assuan ist jedes Haus zugleich ein Gasthaus

 

Meine Gesprächspartner waren sich einig: Die autarke, auf Ackerbau und Fischerei beruhende Lebensweise blieb erhalten, bis die Nubier seit dem Bau des ersten Assuan-Staudammes Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts in mehreren Wellen umgesiedelt wurden. Von den geschichtlichen Ereignissen blieb das Land allerdings nicht verschont.

 

Nach den ersten Goldfunden wurde Kusch nach und nach von Ägypten erobert, in Nubien umgetauft und kulturell überformt. Die eigene Sprache (Kenzi) und Bauweise blieben im privaten Bereich jedoch erhalten. Besucht man das nubische Dorf nahe dem alten Staudamm auf dem Westufer des Nils in Assuan, bekommt man schnell einen Eindruck von den Unterschieden dieser Bauweise zur ägyptischen.

 

Man betritt die Häuser und gelangt sofort durch einen kurzen Flur in eine Art Atrium, einen ganz oder teilweise mit Palmblättern überdachten Innenhof, in dem Bänke und Tische Gäste wie Bewohner zum Verweilen einladen, in dem Tee oder Kaffee gereicht werden, man sich unterhält, feiert, in dem mit anderen Worten das Leben stattfindet.

 

Von diesem Hof gehen die einzelnen Räume ab, Schlafzimmer, Küche, Bad, also die Privaträume der Eigentümer, sowie die Vorratsräume. Dass hier, im nubischen Dorf von Assuan, zugleich jedes Haus auch ein Gasthaus, eine Bewirtungsstelle für Touristen aus dem In- und Ausland ist, ist eine clevere Geschäftsidee, die den Bewohnern sicher schon vor vielen Jahren gekommen ist.

 

Leider glauben die Menschen hier auch, dass eingefangene und in kleinen gemauerten Käfigen gehaltene Nilkrokodile eine Attraktion darstellen. Der farbenfrohe Markt mit Gewürzen, holzgeschnitzten Masken, Korbwaren und Tüchern am Ortseingang ist das allerdings tatsächlich. Selbstverständlich kann man von hier aus auch bis an den Rand der nahen Wüste auf Kamelen reiten. Auch die Kochkunst, die Freude an leuchtenden Farben und dekorativen, oft auch plakativen Mustern sind bis heute gelebte Kultur.

 

Die meisten historischen Stätten liegen heute unter Wasser

 

Gegen Ende des Neuen Reiches herrschten in Ägypten zeitweise Nubier. Es gab zuvor bereits eine nubische »Große Königsgemahlin«, Teje, die Großmutter von Pharao Tutenchamun. Später ist sogar eine ganze Dynastie, die 25. Dynastie, nubischer Pharaonen belegt. Sie regierten von circa 760 v. Chr. bis 656 v. Chr. Während dieser kurzen Periode gab es immerhin sieben Herrscher, deren Regierungszeiten oft nur einige wenige Jahre dauerten.

 

Als erster Pharao der kuschitischen Dynastie (auch wenn er schon zwei Vorgänger hatte) gilt meist Pije (Thronname: Men-cheper-re), der von Nepata aus herrschte und seine Schwester als Gottesgemahlin des Amun in Theben einsetzte. Da diese Stellung mit der Regentschaft über Oberägypten verbunden war, beherrschten die Kuschiten seither das ägyptische Reich. Viele Kriege, vor allem gegen die im Osten eindringenden Assyrer, führten jedoch schon bald zum Niedergang und Ende dieser Dynastie.

 

Bemerkenswert ist, dass in der Zeit dieser Dynastie viele Pyramiden entstanden, die man heute im Norden des Sudans bewundern kann. Sie unterscheiden sich in Bauweise und Größe jedoch sehr von ihren Vorgängern aus dem Alten Reich. Sie sind deutlich kleiner, steiler und die Grabkammern befinden sich unter den Bauten im Fels.

 

Davor gab es einen Totentempel, dessen Eingang meist durch einen Pylon markiert war. Die ptolemäisch-römische Zeit scheint nur wenige Spuren in Nubien hinterlassen zu haben. Erst als die Anerkennung des Christentums durch Kaiser Konstantin den ersten Mönchen die Möglichkeit gab, sich frei im gesamten römischen Reich zu bewegen, breitete sich das Christentum bis über die Grenze des heutigen Sudans nach Süden aus und für circa 350 Jahre war Nubien also koptisch.

 

Die koptische Sprache existierte innerhalb wie außerhalb des kirchlichen Rahmens in Wort und Schrift. Im ganzen südlichen Niltal wurden frühe christliche Kirchen, Klöster und Nekropolen gefunden und zum Teil ausgegraben. Und wie überall in Ägypten fand man auch hier oft »umgewidmete« Heiligtümer: Wände, auf denen neben Hieroglyphen auch das koptische Kreuz zu finden ist oder deren Reliefs und Schriftzeichen entfernt wurden, um dem gleichschenkligen Kreuz der Kopten Platz zu machen.

 

Die meisten dieser Stätten kann man heute nicht mehr erreichen, denn sie liegen unter Wasser. Von ihnen gibt es nur Ausgrabungsberichte und Fotografien aus den 1930er bis 1960er Jahren im Nubischen Museum – und sicher auch in diversen Universitäten des nördlichen Europa, denn die Ausgrabungsleiter kamen aus England, den skandinavischen Ländern und Deutschland.

 

Der wohl berühmteste Tempel Nubiens wurde sogar in Stücke geschnitten und von seinem Originalstandort deutlich nach oben verschoben, um nicht in den Fluten des Nassersees zu versinken – Abu Simbel. Vielleicht komme ich auch einmal so weit nach Süden oder sogar bis zu den Pyramiden im Sudan.

 

Derzeit ist jedoch nur Abu Simbel sicher zu erreichen. Im siebten Jahrhundert hielt der Islam Einzug in Ägypten und breitete sich weiter bis nach Nubien aus. Amr Ibn Alas gilt als der Verbreiter des Islams in dieser Zeit. Er nahm seine Reise durch die ägyptischen Provinzen 639 n. Chr. auf und gelangte schließlich auch in das Reich des Königs Abd Allah Percanao, der zu dieser Zeit Nubien beherrschte.

 

Dieser ließ sich von der neuen Glaubenslehre überzeugen, sicherlich auch, weil deren Verkünder viele Geschichten über Großherzigkeit, Edelmut und Vertrauenswürdigkeit begleiteten. Und die Bevölkerung folgte nach und nach dem Beispiel ihres Herrschers.  Im 13. Jahrhundert etablierte sich in Ägypten ein Mamlukenstaat. So sagen die Geschichtsbücher.

 

Und was hatte das mit Nubien zu tun? Die Mamluken, weißhäutige Kriegersoldaten islamischen Glaubens, wie sie schon unter Saladin gedient hatten, schützten jetzt Ägypten vor dem Einmarsch der Mongolen aus den östlichen Reichen. Sie beherrschten ganz Ägypten, also auch Nubien, und viele fanden Gefallen an den schönen und für sie sehr exotischen Frauen dieses Landes. So heirateten viele von ihnen Nubierinnen und nahmen sie mit in die nördlichen Provinzen, nach Kairo, Alexandria und ins Delta des Nils.

 

Die Nachkommen dieser »Mischehen« entwickelten eine eigene Sprache, Phijiki, die nur noch zu etwa 20 Prozent mit der ursprünglichen Sprache, Kenzi, übereinstimmt; bis heute gelten sie als Nubier, haben aber ein deutlich anderes Erscheinungsbild, oft grüne Augen und sogar blonde Haare.

 

Sie bauten den Damm, der ihre eigene Heimat ertränkte

 

Wichtig waren meinen Gesprächspartnern auch die Ereignisse um den Bau der beiden Staudämme in Assuan. Der Bau des ersten Staudammes wurde 1898 begonnen. Zu seiner Errichtung wurden zumeist nubische Bauern herangezogen, deren Dörfer im Bereich der Überflutung lagen. Sie bauten den Damm, der ihre eigene Heimat ertränkte.

 

Dafür sollten sie mit neuem Land entschädigt werden, dass genau so grün sein sollte, wie das Land, das sie hergaben. Nach Abschluss der ersten Bauphase 1902 wurde ihnen neues Land zugewiesen. Dieses lag jedoch zumeist in der Wüste und war selbst mit größter Mühe nicht in grünes Ackerland zu verwandeln.

 

Der erste Damm wurde in den Jahren 1912 und 1934 erhöht, was wieder zu Umsiedlungen führte. Viele der Männer dieser neuen Dörfer sahen sich gezwungen, anderswo nach Arbeit zu suchen, da sie sich und ihre Familien von den kärglichen Erträgen der Landwirtschaft dort nicht ernähren konnten.

 

Daher zogen viele Familien nach Port Said, Ismailia, Suez, Kairo oder Alexandria, wo sich die Männer als Bauarbeiter, Tagelöhner, Portiers von Wohnhäusern, Köche, Kellner oder sonstiges Dienstpersonal Arbeit suchten, denn eine gründliche Schulbildung hatten sie in Nubien nicht bekommen können. Erst ihren Kindern konnten sie diese Art von Erziehung seit den 1940er Jahren ermöglichen.

 

Mit dem Bau des Hochdamms von Assuan 1963/64 wurden schließlich auch die letzten in der Region verbliebenen Dörfer umgesiedelt. Zwar hatte sich mittlerweile die Regierungsform geändert, die Zuweisungspraxis neuen Landes jedoch nicht. Wieder – und das bis heute – liegen und lagen viele nubische Dörfer in Wüstengebieten zwischen Assuan und Ezna sowie im Umland von Luxor.

 

Außerdem wurden die nubischen Bauern, die in ihren Dörfern im Durchschnitt etwa 2 Hektar eigenes Land besaßen, mit nur knapp der Hälfte dieser Fläche entschädigt. Viele von ihnen haben daher auch nach der letzten Umsiedlung die Dörfer verlassen und sich in den Städten Arbeit gesucht. Besonders in Assuan und dessen Umgebung leben und arbeiten noch heute viele Menschen nubischer Abstammung.

Von: 
Jutta Klaus

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