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Neues Buch von Heinz Halm

Den Trank der Vernichtung kosten

Feature

Im fulminanten letzten Teil seiner Geschichte der Fatimidendynastie erzählt Heinz Halm von einer Zeit, in der der Nahe Osten schon einmal weltpolitische Bedeutung besaß. Und in einem Strudel aus Gewalt und Chaos versank.

Gottfried von Bouillon, Richard Löwenherz, Saladin – diese Namen stehen für Glanz und Gloria des mittelalterlichen Rittertums. Sie lassen Bilder von höfischen Idealen und ruhmreichen Taten vor dem geistigen Auge entstehen. Dabei sollte klar sein, dass solche Bilder mit Skepsis zu betrachten sind. Sie sind kaum mehr als Projektionen aus späterer Zeit, in denen sich widerspiegelt, welch mächtigen Eindruck die Konfrontation mit der islamischen Zivilisation zur Zeit der Kreuzzüge auf die Europäer machte.

 

Hier wurden die »Frandsch – Franken« gewahr, wie weit ihnen die Muslime in Technologie und Wissenschaften, aber auch in Pracht- und Machtentfaltung und einer verfeinerten Lebensführung voraus waren. Der Bericht von einer Mission der Kreuzritter an den Kalifenhof von Kairo im Jahr 1167, den der große Kreuzzug-Chronist Wilhelm von Tyrus überliefert hat und aus dem Heinz Halm ausführlich zitiert, spricht Bände: »All das war von einer solchen Eleganz des Materials und der Verarbeitung, dass es unwillkürlich die Augen der Hindurchgehenden fesselte und die Blicke der Betrachter sich an der Augenlust und der verlockenden Neuheit der Arbeiten nicht sättigen konnten. (...) Hier gab es eine erstaunliche Vielfalt an Vierfüßlern, wie sie nur die mutwillige Hand des Malers zu malen pflegt, wie sie dichterische Freiheit erfinden oder die Seele des Schlafenden in nächtlichen Visionen imaginieren vermag.«

 

Die fränkischen Ritter konnten nicht wissen, dass das Kalifat der Fatimiden in Kairo längst dem Untergang geweiht war. Von dem langwierigen Niedergang dieser schiitischen Dynastie, der in der Abschaffung des Kalifats durch Salah ad-Din (also Saladin) im Jahr 1170 gipfelte, handelt der letzte Teil der Trilogie Heinz Halms. In den Bänden zuvor hatte der Tübinger Islamwissenschaftler den Aufstieg der Fatimiden in Nordafrika behandelt (»Das Reich des Mahdi«, 1991) und den Höhepunkt ihrer Machtentfaltung in Kairo, der von ihnen 969 gegründeten Weltstadt, beschrieben (»Die Kalifen von Kairo«, 2003).

 

Sein abschließendes Buch »Kalifen und Assassinen« setzt 1074 ein – also kurz vor dem Ersten Kreuzzug. Damals wurde der armenische Söldner Badr nach Kairo gerufen, um das dem Chaos anheimgefallene Ägypten zu ordnen. Auch wenn ihm dies zunächst gelang, waren die über Jahrhunderte angehäuften Schätze nach der Plünderung des Palastes verloren. Folgenreicher war noch, dass er als Wesir nun eine solche Machtfülle innehatte, die es ihm erlaubte, sein Amt an seinen Sohn weiterzugeben: Die Oberhoheit des Kalifen begann so mehr und mehr obsolet zu werden.

 

Die 47 Jahre dauernde Herrschaft Badrs und seines Sohnes al-Afdal stabilisierte Ägypten, allerdings ging bis auf die Stadt Askalon der Besitz in Palästina und Syrien verloren. Dort versuchten sich lokale Herrscher zu etablieren, die sich mal mit den Herrschern in Kairo, mal mit den Byzantinern arrangierten und dann wieder dem sunnitischen Kalifen von Bagdad folgten. Auch in dessen Reich war die eigentliche Macht längst auf ehemalige Militärsklaven übergegangen, die türkischen Seldschuken, die sich wiederum in familiäre Zwistigkeiten verstrickt hatten.

 

Dieser speziellen Situation war es geschuldet, dass die Europäer sich im Nahen Osten überhaupt festsetzen konnten. Dennoch blieb die Lage der Kreuzzügler während ihrer gesamten Anwesenheit dort prekär, auch wenn sie für eine kurze Zeit sogar Kairo besetzen konnten. Einen weiteren Machtfaktor stellten die Nizariten dar: eine Sekte, die sich Ende des 11. Jahrhunderts von den Fatimiden losgesagt hatte. Zwar beherrschten sie nie ein größeres zusammenhängendes Gebiet, sondern nur kleine Territorien im heutigen Iran und dann auch im Libanon; mit ihren regelmäßigen Attentaten sorgten sie jedoch für Furcht und Schrecken.

 

In das kollektive Gedächtnis sind sie als »Assassinen« eingegangen, und die Tatsache, dass dieser Schimpfname in mehreren europäischen Sprachen heute allgemein »Mörder« bedeutet, lässt das Ausmaß des von ihnen verursachten Terrors erahnen. Weit weniger spektakulär, dafür historisch bedeutsamer war eine andere Entwicklung: die Westwanderung der Türken. Seit dem 9. Jahrhundert waren sie in großer Zahl als Militärsklaven in die islamischen Reiche geholt worden, später eroberten sie von Osten aus immer weitere Territorien, bis sie im 13. Jahrhundert schließlich auch die Macht in Ägypten von den Nachfahren Saladins übernahmen.

 

Regelmäßige Attentate riefen Furcht und Schrecken hervor

 

All diese Gruppen beteiligten sich in wechselnden Rollen an der schier unendlichen Abfolge von Intrigen, Ränkespielen und Machtwechseln, wie sie Ägypten, Syrien und die Levante im letzten Jahrhundert des fatimidischen Kalifats prägten. So trifft ein Zitat, das den endgültigen Untergang der Assassinen schildert, letztlich auf alle Beteiligten zu: »Sie alle ließ man den Trank der Vernichtung kosten.« Halm beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den Fatimiden und ihrer folgenreichsten »Erfindung«: dem ismailitischen Glauben, einer wunderlichen Sonderform des schiitischen Islams.

 

Für seine außergewöhnlich dichte Erzählung der Endzeit dieser Dynastie bedient er sich einer beeindruckenden Vielfalt an Quellen: Arabische Werke liefern das Fundament zu »Kalifen und Assassinen«, daneben stützt sich Halm auf die koptische Patriarchengeschichte, byzantinische Überlieferungen, lateinische und altfranzösische Chroniken sowie persische Texte. Dass er dabei mehr als bei den vorangegangenen Bänden der Ereignisgeschichte verhaftet bleibt, liegt in der Natur der Sache: Die turbulenten Zeiten ließen wenig Platz für schöngeistige Dinge.

 

Doch taugt diese Feststellung nicht als Kritik, denn je länger die Lektüre dauert, desto tiefer vermag der Leser sich in diese faszinierende, aber oft auch erbarmungslose, von Machtstreben diktierte Welt einzufühlen. Und er bemerkt, wie nahe uns diese so fern scheinende Welt immer noch ist. Das ist eine starke Leistung und selten bei einem wissenschaftlichen Buch.

 


Kalifen und Assassinen

Ägypten und der Vordere Orient zur Zeit der ersten Kreuzzüge

Heinz Halm

C. H. Beck Verlag, 2014

431 Seiten, 34,95 Euro

Von: 
Veit Raßhofer

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