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Muhammad-Biografie von Rainer Brunner

Fanatisch muss nicht übel sein

Feature

Wer den Propheten ehren will, sollte sich nicht in historische Details verbeißen: Rainer Brunner jedenfalls beleidigt niemanden.

Wer ein Buch mit dem Titel »Mohammed – wissen, was stimmt« auf den Markt bringt, muss entweder dem Größenwahn anheimgefallen sein oder die Islam-Debatte mit einem gewissen Sinn für Ironie betrachten. Denn welcher ernsthafte Wissenschaftler könnte schon von sich behaupten, dass er weiß, welche von den Abertausenden Überlieferungen, Anekdoten und Glaubensinhalten rund um den Propheten auf Tatsachen beruhen?

 

Der Fairness halber sei angemerkt: »Wissen, was stimmt« ist der Name einer kleinen Taschenbuchreihe des Herder-Verlages; das Thema »Mohammed« steht unter diesem Serientitel gleichberechtigt neben »Erneuerbaren Energien«, »ADHS«, »Ernährung« oder »Seuchen«. 114 Seiten, nicht gerade dicht bedruckt, standen dem Freiburger Orientalisten Rainer Brunner, der auch am Pariser Forschungsinstitut CNRS tätig ist, zur Verfügung, um eine kontroverse, leidenschaftlich diskutierte Person und ihre Wirkung auf die Nachgeborenen zu schildern.

 

Das hat er meisterhaft bestellt: ein eigenwilliger, origineller Ansatz, ein einnehmender Stil, der es zulässt, das Werk an einem einzigen Nachmittag zu lesen. Und wo es nottut, zieht Brunner sich auch manchmal elegant aus der Affäre.

 

Sein Muhammad-Essay beginnt mit einem Aphorismus: »Religionen machen den Umgang der Menschen miteinander nicht eben einfacher«. Auf den folgenden Seiten knüpft Brunner dann an große Orientalisten des 19. Jahrhunderts an, etwa an den von Brunner verehrten Budapester Ignaz Goldziher. Dieser frühe Generalist der Islamforschung gab seinen Büchern Titel wie »Muhammedanische Studien« oder Französisch: »Sur l'islam« und referierte quellenkundliche Forschungen vermengt mit persönlichen, anekdotischen Beobachtungen – allgemeinen wie besonderen.

 

Mit einem hält sich Brunner nicht auf: dem Lebenslauf Muhammads

 

Brunner, von Haus aus Experte für »schiitisch-sunnitische Beziehungen im 20. Jahrhundert« und damit zunächst einmal des Fachidiotentums verdächtig, schreibt wie ein Gelehrter im Geiste Goldzihers, und zwar im besten Sinne, also literarisch und fundiert zugleich. Er reicht die Grundlagen der Islamkunde derart dar, dass auch Feinschmecker sie genießen können, und mischt aktuelle Forschungskontroversen so bei, dass sie dem Einsteiger bekömmlich bleiben.

 

Manchmal behauptet er en passant auch Dinge, die in der Wissenschaft umstritten, für die Allgemeinbildung aber durchaus erhellend sind – etwa, dass das islamische Imperium als letztes »spätantikes Reich« zu sehen sei. Mit einem hält er sich allerdings nicht auf: dem Lebenslauf Muhammads, wie ihn die muslimischen Biografen präsentieren.

 

Und wenn er Ausflüge in die Islam-Debatten unserer Zeit unternimmt, etwa zum Fan-Lied des FC Schalke 04 und der Zeile »Mohammed ist ein Prophet, der vom Fußballspielen nichts versteht«, vermerkt Brunner: »Das war auf der rein faktischen Ebene immer zu vermuten.« Die Rolle Allahs im vorislamischen Mekka bezeichnet der 48-Jährige als die von einer »Art Hochgott – zuständig für Beistand in Seenot und daher wohl eher selten im Einsatz«. Einzig bedauerlich: Dem Autor gefiel seine Pointe so gut, dass er sie einige Seiten später noch einmal fallen lässt.

 

Über die Quellenkritik am »Heiligen«, also das Erforschen des Lebens Muhammads und seiner Begleitumstände, verfasst er einen weiteren Aphorismus: »Wer nahe der Staumauer gräbt, riskiert den Dammbruch.« Der Prophet und Frauen, der Prophet und die Gewalt – diese Reizthemen kommen gebührlich vor, werden aber vor allem vor der Kulisse ihrer Deutungsgeschichte abgehandelt. Von »Wissen, was stimmt« kann da natürlich nicht die Rede sein.

 

Brunner warnt fromme Muslime, dass viele der von ihm beschriebenen Zusammenhänge für sie »völlig inakzeptabel« seien. Gewiss genügt das vielen Vertretern des islamkritischen Genres, um den Orientalisten fortan zu ihre Kronzeugen zu erklären. Etwa, wenn es um die systemimmanente Ungleichheit der Menschen vor dem Schöpfer im Islam geht; die Ungleichheit zwischen dem Freien und dem Sklaven, zwischen Mann und Frau – und zwischen Muslim und Nicht-Muslim.

 

Dabei sei »die zuletzt genannte in gewisser Weise die prekärste, weil sie frei gewählt ist. Bei der Frau ist die Sache einigermaßen aussichtslos; der Sklave braucht immerhin seinen Herrn, der ihn freilässt. Der Ungläubige könnte seinen Status jederzeit von sich aus ändern. Tut er das nicht, ist er halsstarrig«, postuliert Brunner.

 

Mit den Gelehrtentugenden des 19. Jahrhunderts

 

Sehr schlüssig ist seine Betrachtung der Muhammad-Frömmigkeit, der abgesehen von der Vergöttlichung nach oben keine Grenzen gesetzt seien, und der Bewertungen durch Kritiker, die auch immer Spiegel ihrer Zeit seien. So erinnert Brunner daran, dass im europäischen 19. Jahrhundert Muhammad vor allem als Staatsmann und militärischer Führer gesehen wurde – »die Charakterisierung ›fanatisch‹, die man dann meist recht schnell bei der Hand hatte, war durchaus nicht immer negativ gemeint«.

 

Zweifellos das bedeutendste und im Sinne der Aktualität verwertbarste Kapitel ist Brunners Auseinandersetzung mit dem Tatbestand der »Prophetenbeleidigung«. In diesem Zusammenhang lernen wir auch den marokkanisch-almohadischen Qadi Iyad Ibn Musa al-Yahsubi kennen, der im 12. Jahrhundert nicht nur die Todesstrafe für vermeintliche Muhammad-Schmäher forderte, sondern verfügte, dass schon »die Erwähnung von Lebensumständen, die zwar in frühen Quellen überliefert wurden, den Propheten aber in einem ungünstigen Licht erscheinen ließen«, streng geahndet wird.

 

Man solle, folgt man dem Rat des Qadi, von solchen Quellen also die Finger lassen und die Geschichte des Propheten nicht zu genau studieren. Denkt man diesen Gedankengang zu Ende, so ergibt sich daraus eine heitere Anleitung an die Gläubigen: Wer den Propheten vorbehaltlos ehren will, sollte sich nicht zu fanatisch in die Details seines irdischen Lebenswegs verbeißen. Und das gilt immerhin für das Andenken an fast alle verehrungswürdigen, großen Persönlichkeiten der Geschichte.

Von: 
Daniel Gerlach

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