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Liste der gefährdeten Kulturgüter Syriens

Syrische Kultur versinkt in der Illegalität

Feature

Der Internationale Museumsrat (ICOM) präsentiert in Berlin die »Rote Notfall-Liste der gefährdeten Kulturgüter Syriens«. Nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht macht die Sorge um Antiquitäten und Artefakte Sinn.

Geplünderte Ausgrabungsstätten, die aussehen wie Mondlandschaften und leere Museumsvitrinen – diese Bilder kennen wir aus dem Irak nach 2003. Krieg und politisches Chaos boten organisierten Räuberbanden die Gelegenheit, das kulturelle Erbe des Landes weitgehend zu vernichten. Stefan Weber, Leiter des Museums für Islamische Kunst in Berlin, warnt deshalb vor einer »Irakisierung« Syriens. Seit 2012 werden in Syrien archäologische Stätten und Museen durch Kämpfe zunehmend zerstört und geplündert, die erbeuteten Artefakte werden in großen Mengen aus dem Land geschmuggelt.

 

»Das Einzige, was wir sicher wissen, ist dass der Krieg verheerende Folgen für das kulturelle Erbe Syriens haben wird«, so Hermann Parzinger von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Syrien hat sechs Einträge in den Weltkulturerbe-Registern der UNESCO, alle sind seit 2013 als gefährdet eingestuft. Neben dramatischen ökonomischen und kulturellen Folgen ist dies auch für die Wissenschaft von tiefgreifender Bedeutung: Syrien und Südostanatolien galten als letzte Forschungsoasen in der Region, nachdem Afghanistan nach der sowjetischen Besatzung 1979 und der Irak nach dem Sturz Saddam Husseins für Wissenschaftler unzugänglich geworden waren.

 

Zumindest der Osten Syriens wird für eine lange Zeit verschlossen und zu großen Teilen zerstört sein. Der Grund: Die Region ist in den Händen der dschihadistischen ISIS, die sich durch Bankraub, Plünderungen von Militärlagern und durch Antiquitätendiebstahl und -handel finanziert.

 

ISIS ist durch die Einnahme der nordirakischen Stadt Mossul zur wohl kapitalkräftigsten Terrorgruppe aufgestiegen, dem englischen Guardian zufolge sollen die Islamisten 1,5 Milliarden Dollar erbeutet haben. Entgegen bisheriger Vermutungen brauchen die ISIS-Kämpfer keine Staaten, die sie finanziell unterstützen – sie haben ihre eigenen Wege gefunden, ihre Aktionen zu finanzieren. Im syrischen Al-Nabuk westlich von Damaskus soll ISIS 36 Millionen Dollar durch den Handel mit zum Teil 8.000 Jahre alten Artefakten eingenommen haben.

 

Antiquitäten dienen den Terroristen als Goldgrube – war Zerschlagen von Symbolen des »Götzendienstes« gestern? Viele erbeutete Artefakte aus Syrien landen in der jordanischen Hauptstadt Amman, von dort aus werden sie meist für den dreifachen Preis an Abnehmer aus anderen arabischen Staaten und aus Europa weiterverkauft. Bis zum Tresen eines Einzelhändlers, der Museumsvitrine oder zur Versteigerung in einem Auktionshaus kontrollieren kriminelle Organisationen den Weg der Antiquitäten.

 

Der illegale Handel von Kulturgütern ist nach dem Waffen- und Drogenhandel an dritter Stelle weltweiter Kriminalitätsdelikte, die US-amerikanische Zollbehörde »United States Immigration and Customs Enforcement« (ICE) schätzt den jährlichen Wert illegal gehandelter Kunstobjekte auf circa 8 Milliarden Dollar, Tendenz steigend. Oftmals werden die Straftaten nur als Fahrlässigkeit geahndet, da der Ursprung der Objekte und die Netzwerke sehr schwer nachzuvollziehen sind. 

 

»Wo es legalen Handel gibt, wird es auch immer illegalen Handel geben«

 

Der Internationale Museumsrat (ICOM) will den illegalen Handel syrischer Antiquitäten mithilfe der »Roten Liste gefährdeter Kulturgüter« eindämmen. Nach der offiziellen Präsentation der »Emergency Red List« im Herbst 2013 im Metropolitan Museum New York, stellte ICOM die deutsche Fassung am 17. Juni im Deutschen Archäologischen Institut in Berlin vor. Die Zusammenstellung enthält nicht etwa gestohlene Objekte, sondern Typen und Kategorien, die auf dem Markt begehrt sind und deshalb häufig Räubern zum Opfer fallen.

 

Sie soll Experten und Zollbeamten dienen, gestohlene Objekte aus Syrien als solche zu identifizieren. Im Kampf gegen Hehlerei scheinen die mittlerweile 13 von ICOM herausgegebenen Roten Listen erfolgreich zu sein: 2008 beispielsweise konnten mit Hilfe der Liste etwa 1.500 Artefakte am Londoner Flughafen Heathrow gestoppt und nach Afghanistan zurückgebracht werden. Oftmals befinden sich die Spezialisten jedoch in einer Zwickmühle: Zeigen sie den illegalen Handel an, wandern die Antiquitäten bei unnachweisbarem Ursprung zurück in die Hände des letzten Besitzers. Lassen sie ihn zu, verschwindet das Objekt möglicherweise in irgendeinem Privathaushalt und wird für die Forschung unzugänglich.

 

Experten kaufen daher häufig selbst die Objekte, fördern damit jedoch den Handel, der sich nach der Nachfrage richtet. Silvelie Karlfeld vom Bundeskriminalamt in Wiesbaden hat kein Verständnis für den vorsorglichen Ankauf von Artefakten – und schlägt eine andere Strategie vor: So könnte man den illegalen Handel am effektivsten eindämmen, wenn der Besitz von Antiquitäten – ähnlich wie bei Pelzen – an Attraktivität und Ansehen verlieren und damit die Nachfrage gesenkt werden würde.

 

Ein syrischer Teilnehmer aus dem Publikum bei der Veranstaltung im Deutschen Archäologischen Institut stellte klar, dass jede Ausfuhr von Kulturgütern aus Syrien illegal sei, denn das nationale Gesetz sehe keine Regelungen für den legalen Handel vor. Und er fügte hinzu: »Wo es legalen Handel gibt, wird es auch immer illegalen Handel geben.« Unrecht hat er damit nicht, doch so einfach ist die Problematik für die versammelten deutschen Archäologen und Museologen natürlich nicht zu lösen.

 

Friederike Fless vom Deutschen Archäologischen Institut wünscht sich eine digitale Datenbank, in der alle kulturellen Stätten und Güter erfasst werden, bevor diese durch Kriege bedroht werden. Mithilfe von Scan-Technik könnten Objekte dann eindeutig identifiziert und die Einfuhr gestoppt werden, sollten diese gestohlen sein. Auch wenn dies für Syrien wohl kaum mehr realisierbar ist, es wäre ein sinnvoller Schritt – und könnte terroristischen Vereinigungen wie ISIS zumindest ein Stück weit den Geldhahn zudrehen.

Von: 
Hendrikje Alpermann

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