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Korruptionsermittlungen in Kuwait

Operation Filzbekämpfung

Feature

Korruptionsermittlungen haben bereits mehrere kuwaitische Minister das Amt gekostet. Nächster Kandidat für ein Tribunal ist Ölminister Hani Hussein, der für ein geplatztes Milliardengeschäft verantwortlich gemacht wird.

»Ihr habt Dow und uns verraten«, titelte der Internetauftritt der regierungsnahen Tageszeitung Kuwait Times am 10. Juni. Zuvor hatte sich herauskristallisiert, dass die sich im Staatsbesitz befindende Petrochemical Industries Co. (PIC) für einen geplatzten Joint-Venture-Deal mit dem US-amerikanischen Chemiegiganten Dow Chemical Kompensationen zu zahlen habe.

 

2,2 Milliarden US-Dollar wurden es schließlich und Parlamentarier fletschten bereits die Zähne in Erwartung, Ölminister Hani Hussein in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss »grillen« zu dürfen. Es hätte eines der umfangreichsten Joint-Ventures in der kuwaitischen Geschichte werden sollen: Das Bündnis zwischen dem staatlichen Petrochemiekonzern PIC und dem amerikanischen Vize-Weltmarktführer Dow Chemical wurde Ende 2008 zu Papier gebracht, mit K-Dow hätte ein neues Unternehmen im Wert von 17,4 Milliarden US-Dollar entstehen sollen.

 

Der Deal sah vor, dass Dow Fabrikanlagen und Immobilien für 9 Milliarden US-Dollar an die neue kuwaitische Holding verkaufte – das Geld planten die Amerikaner bereits fest für die Übernahme ihres Konkurrenten Rohm and Haas ein.  Angesichts abstürzender Ölpreise und der Weltfinanzkrise entschied sich das kuwaitische Kabinett Ende Dezember 2008, das Geschäft platzen zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt lag der Ölpreis an der New Yorker Börse bei lediglich 38 Dollar pro Fass.

 

Aus Sorgen um den Staatshaushalt, der sich zu großen Teilen aus dem Ölgeschäft speist, hatten kuwaitische Oppositionsabgeordnete enormen Druck auf die Regierung aufgebaut, Dow abzuweisen. Das US-Unternehmen reagierte nicht nur »überaus enttäuscht«, wie es CEO Andrew Liveris formulierte, sondern reichte darüber hinaus Klage beim Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer in Paris ein. Regierungsnahe Kommentatoren wie die Kuwait Times werfen den Parlamentariern nun selektive Wahrnehmung vor.

 

»Würde ein parlamentarischer Untersuchungsbericht auch belastende Aussagen über Parlamentssprecher Ahmad Al-Sadoun oder andere oppositionelle Abgeordnete beinhalten?« Es sei unverantwortlich, dass die Volksvertreter, die die Regierung 2008 zum Vertragsbruch gedrängt hatten, nun Ermittlungen forderten, so Abdullatif Al-Duaij in dem Blatt.

 

Regierung benennt Alibi-Komitee

 

Unfähig und korrupt. Diese Bewertung der kuwaitischen Regierungsarbeit herrscht nicht ausschließlich in Kaffeehäusern und Friseursalons, sondern inzwischen auch in einem Großteil der neugewählten Nationalversammlung. Nach der vierten Parlamentswahl in sechs Jahren eroberten die Kräfte der Opposition im Februar 2012 die Mehrheit der insgesamt 50 Mandate, insbesondere islamische Kandidaten konnten gegen die regierungsnahen Politiker punkten.

 

Korruptionsbekämpfung war das zentrale Thema dieses Wahlkampfes, der von der Entlassung Nasser Al Sabahs als langjähriger Premierminister im Dezember 2011 eingeleitet wurde. Zwar hat die Staatsanwaltschaft alle Ermittlungen gegen Sabah, Neffe des Emirs, inzwischen eingestellt, ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss wegen der möglichen Veruntreuung von 200 Millionen US-Dollar läuft aber noch.

 

Zwei hochrangige Politiker sind in den vergangenen Wochen bereits über dieses Gremium gestolpert: Sowohl Finanzminister Mustafa al-Shamali, als auch Arbeitsminister Ahmed al-Rujaib mussten Ende Mai, beziehungsweise Anfang Juni ihren Hut nehmen. Al-Rujaib reichte seinen Rücktritt sogar ein, bevor er überhaupt ausgesagt hatte. Erste Stimmen attestieren dem Golfstaat bereits wirtschaftliche Lähmungserscheinungen durch die andauernden Korruptionsermittlungen.

 

Zwar profitierte der Golfstaat über die vergangenen Monate von einem hohen Ölpreis und verzeichnete einen beeindruckenden Haushaltsüberschuss, die Gelder in nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu verwandeln, scheint der Regierung zu misslingen. So geht der Internationale Währungsfonds inzwischen von einem BIP-Wachstum von 6,6 Prozent für das laufende Jahr aus – 2011 waren es noch 8,25 Prozent.

 

Gleichzeitig frisst die anziehende Inflation einen guten Teil des Wohlstandes direkt wieder auf. Insbesondere die Teuerungsrate von Lebensmitteln ist mit 9,25 Prozent auf einem besorgniserregendem Niveau angelangt. Um der Einsetzung immer neuer Untersuchungsausschüsse entgegenzuwirken, griff Emir Sabah Ahmad al-Sabah am 18. Juni zu drastischen Mitteln: Wie die staatliche Nachrichtenagentur KUNA berichtete, löste das Staatsoberhaupt das Parlament zunächst für einen Monat auf und kam damit der Befragung von Innenminister Ahmad al-Hamoud al-Sabah unmittelbar zuvor. Inzwischen wurden die jüngsten Parlamentswahlen gar für ungültig erklärt.

 

Nach Berichten verschiedener lokaler Medien erklärte das Verfassungsgericht das Dekret, das die Auflösung der Volksversammlung im Dezember veranlasste, für ungültig - der Anfang Dezember 2011 gerade erst neu ins Amt gekommene Premierminister Jaber Al-Mubarak Al-Sabah habe es versäumt, ein neues Kabinett zu benennen, wie es die Verfassung erfordere. Das sogenannte »Amiri-Dekret« zur Auflösung des Parlaments sei von einer illegitimen Administration erlassen worden.

 

Stattdessen setzte das Gericht nun die alte, 2009 gewählte Kammer wieder ein. 24 damalige Abgeordnete haben in den vergangenen Stunden bereits ihren Rücktritt eingereicht, um gegen die Entscheidung zu protestieren. Vertreter der Opposition riefen ihre Anhänger zu Kundgebungen in den kommenden Tagen auf. Zumindest auf dem Papier wird Ölminister Hani Hussein nicht ganz ungeschoren davonkommen.

 

Die Parlamentsausschüsse sind bei Politikern gefürchtet, das sie dem Parlament ein Misstrauensvotum über den betroffenen Minister anordnen können. So weit ließ es Arbeitsminister Ahmed al-Rujaib gar nicht kommen und trat bereits vor seiner Anhörung zurück. Um dem Parlament dennoch einen Schritt entgegenzukommen, verkündete die Regierung die Einrichtung eines Gremiums, das mögliches Versagen verschiedener Gruppen beim K-Dow-Geschäft untersuchen soll.

 

Die Zusammensetzung des Komitees bestimmt indessen Premierminister Jaber al-Mubarak al-Sabah. Bis denn tatsächlich ein Regierungspolitiker wegen Korruption und Misswirtschaft nicht nur zurücktritt, sondern auch rechtskräftig verurteilt wird, ist es noch ein weiter Weg und die sich anbahnende Staatskrise könnte die Filzbekämpfung auf der Agenda vieler Politiker erst mal weit nach hinten rücken.

Von: 
Nils Metzger

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