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Konferenz in Genf und der Bürgerkrieg in Libyen

Was dem Frieden in Libyen im Weg steht

Analyse

In Genf ringen libysche Delegationen um eine Beilegung des Bürgerkrieges. Das größte Problem: Eigentlich sind es mehrere von einander unabhängige Konflikte, die am letzten nagen, was Europas südlichen Mittelmeernachbarn noch zusammen hält.

Immer mehr junge Männer verabschieden sich aus den lokalen und familiären Netzwerken, die schon in den vergangenen vier Jahrzehnten die einzigen Institutionen waren, an die man sich vertrauensvoll wenden konnte. Die Libysche Volksrepublik blieb immer ein abstrakter Begriff, in dem die Söhne von Muammar Al-Gaddafi mit ihren Privatmilizen willkürlich schalten und walten konnten. Nun sind es sogenannte revolutionäre Milizen, der »Islamische Staat« (IS) oder Schmugglerbanden, die auf der Straße das Sagen haben und vielen Arbeitssuchenden mehr Halt und Auskommen bieten als die eigene Familie.

 

Aus Sicht von UN-Vermittler Bernadino Leon könnte eine Einheitsregierung Ende August stehen. Schon die bei der letzten Verhandlungsrunde vom marokkanischen Staatsfernsehen eingefangenen Bilder aus dem Konferenzraum im Tagungsort Skhirat bei Rabat passten so gar nicht zu dem, was man in den vergangene Jahren mit Libyen in Verbindung brachte. Vor laufenden Kameras setzen freundlich lächelnde Delegierte ihre Unterschrift unter die von Leon ausgehandelte fünfte Version des vorläufigen Friedensabkommens für Afrikas ölreichstes Land.

 

Bis auf die Vertreter des ehemaligen Nationalkongresses (GNC) aus Tripolis beurkundeten Vertreter der »Fajr«- und »Karama«-Bewegungen, die Bürgermeister verschiedener Städte, die politischen Führer der Muslimbrüder und der säkularen NFA-Partei ihren Kompromisswillen. Die Erleichterung darüber, die Unterschriften der verfeindeten Seiten nach zehn Monaten zäher Gespräche zusammen auf einem Papier zu sehen, war in den Gesichtern der anwesenden internationalen Diplomaten abzulesen.

 

Dabei saßen neben dem GNC auch diejenigen, die auf Libyens Straßen das Sagen haben, in Skhirat gar nicht mit am Tisch. Viele Milizenführer verlassen sich ausschließlich auf ihre Waffen, um die nach der Revolution gewonnene Macht nicht mit ihren trostlosen Jobs vor 2011 wieder eintauschen zu müssen. Kompromissbereite Politiker aus dem eigenen Lager werden in Tripolis und dem ostlibyschen Beida bedroht, ihr Einfluss auf die Kommandeure ist gering.

 

Neben dem verheerenden Isolationsgesetz, das alle seit 1969 aktiven Funktionäre de facto aus dem Post-Gaddafi-Libyen ausschließt, zwangen islamistische Kommandeure den 2012 demokratisch gewählten Politikern eine Parallelarmee und Polizei auf. Nicht unschuldig an der Milizenherrschaft ist auch die Vogel-Strauß-Politik der »Freunde Libyens«. Die Allianz mehrerer westlicher und arabischer Staaten konzentrierte sich nach dem Ende des Krieges gegen Gaddafi lieber auf Lobbyarbeit als auf die Schaffung eines wehrhaften Rechtsstaates.

 

Isolation hat das südliche Mittelmeer zum Krisengebiet gemacht

 

Vor einem Jahr schaute man der Einnahme von Tripolis durch eine wild gewordene Milizenallianz unter Salah Badi und Abdulhakim Belhadj schulterzuckend zu. Den Aufstieg des IS interpretierten viele Analysten als lokale Episode im libyschen Chaos.

 

Die Stationierung von rund 1.000 französischen Soldaten im nigrischen Madama, von Schiffen der Nato im Mittelmeer und Luftschläge der US-Luftwaffe wie im Juni 2015 im ostlibyschen Ajdabiya zeigen jedoch, wie sehr der Konflikt inzwischen ausgreift. Ohne eigenen militärischen Schutz werden weder Botschaften noch eine mögliche Einheitsregierung in Tripolis aktiv werden können.

 

Die Strategen vom IS und den Islamisten der ehemaligen »Libyschen Islamischen Kampfgruppe« (LIFG) sehen die kompromissbereiten Politiker und Diplomaten als Gefahr für ihre Macht an. Die ehemaligen Regimeanhänger werden ihren Teil dazu tun, die Entstehung eines Rechtsstaates in Libyen zu verhindern, ob wie derzeit in Sabha im Fezzan unter dem schwarzen Banner des IS oder früheren grünen Flagge Gaddafis, ist vielen egal.

 

Europa steht nun in der Verantwortung

 

In Genf soll nun über die Nominierung eines Premierministers und dessen Posten in der zukünftigen Einheitsregierung diskutiert werden. Dass diese vom 2014 gewählten Parlament abgesegnet wird, ist für die in Tripolis regierenden Islamisten inakzeptabel. Deren Hoffnungen auf eine Änderung von Leons Friedensvorschlag wurden jedoch durch eine gemeinsame Erklärung der wichtigsten EU-Länder, der USA und Russlands gedämpft, in der von einer »finalen« Version des Friedensvertrages die Rede ist.

 

Die LIFG agierte früher als militant-dschihadistische Opposition gegen das Gaddafi-Regime, mittlerweile sitzt sie und ihr bekanntester Vertreter Belhadj in Tripolis fest im Sattel. Während die ehemaligen LIFG-Kämpfer jeden Kompromiss mit der Regierung in Ostlibyen ablehnen, sind die moderaten »Fajr«-Anhänger in der Handelsstadt Misrata pragmatischer. Unter ihnen finden sich viele Geschäftsleute, denen es auch um die eigene wirtschaftliche Existenz geht.

 

Die Einladung Leons an die GNC-Vertreter, sich der Vereinbarung doch noch anzuschließen, ist mit der Drohung verbunden, gegen alle Akteure Sanktionen zu erlassen, die sich dem Friedensprozess widersetzen, neben Salah Badi und Abdulrahman Swehli aus Misrata könnte es auch Armee-General Khalifa Hafter und seinen Stellvertreter Saqr Gerushi treffen. Mit der Einigung von Skhirat hat die internationale Gemeinschaft ohne allzu großes Engagement einen diplomatischen Coup gelandet. Vor allem in europäischen Hauptstädten könnte eine Einheitsregierung aber noch große Kopfschmerzen verursachen, denn nach dem Staatsstreich 2014 durch die »Fajr«-Allianz haben die moderaten Kräfte in Westlibyen ihre Sachen gepackt.

 

Die Moderaten müssen geschützt werden

 

Von den 210 Milizen der militärischen Führungsmacht Misrata unterstützen einige den extremistischen Schura-Rat in Benghazi im Kampf gegen General Hafter, während die »Brigade 166« den IS im benachbarten Sirte bekämpft. Der IS wird sich vielleicht nicht flächenmäßig ausbreiten, aber in den Köpfen der perspektivlosen jungen Männer, die weiterhin aus ganz Nordafrika nach Libyen strömen.

 

Der vom 2010 verstorbenen Diplomaten Richard Holbrooke in Bosnien ausgehandelte Friedensvertrag von Dayton war ein Kompromiss mit den Nationalisten der drei Kriegsparteien, der den Krieg endlich beendete, aber ein völlig dysfunktionalen Staat schuf. Ein Blick auf die Landkarte reicht, um fest zustellen, dass es einen Frieden um jeden Preis im Fall Libyen nicht geben darf. Schon jetzt haben viele junge Männer den Glauben an die Demokratie gegen eine Waffe eingetauscht.

 

Die verstaatlichten Milizenstrukturen, die libysche Politiker, Medien und Justiz in Geiselhaft nehmen, werden schon bald eine direkte Gefahr für die Sicherheit Europas sein, egal unter welcher Flagge sie kämpfen. Die EU muss nun entschlossen ein über viele Jahre angelegtes Projekt der Staatsbildung in Libyen angehen. Diese Mammutaufgabe darf nicht mit einem faulen Kompromiss beginnen, der an den Gewehrläufen bewaffneter Banden scheitert.

 

Auch deshalb ist Bernadino Leons Hoffnung auf die Sicherung des Friedensabkommens durch diejenigen Milizen, die vom Krieg profitieren, unrealistisch.  Ähnlich wie in Bosnien-Herzegowina Mitte der 1990er Jahre ist eine Friedenslösung für Libyen zudem nur mit Beteiligung der Nachbarländer und einem militärischen Drohszenario möglich. Erst wenn Ägypten, der Sudan, Katar und die Türkei Waffenlieferungen nach Libyen unterbinden, wird der Krieg enden. Ohne international überwachte Sicherung der Grenzen – inklusive des Mittelmeers –, Verhaftung von Kriegsverbrechern und die Schaffung einer landesweiten Armee wird Libyen in den nächsten Jahren regionaler Hauptexporteur von Terror und Unruhe bleiben.

 

Von: 
Mirco Keilberth

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