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Der Krieg im Jemen und Sanktionen gegen die Huthis

Europa darf den Huthis nicht länger in die Hände spielen

Kommentar
Yemen's most vital port
Most of the cranes in the port of Hodeidah are now out of service due to bomb damage. Foto: Alessio Romenzi

Die Huthis werden ohnehin den Krieg gewinnen? Wer diesem Narrativ Glauben schenkt, verkennt die Lage im Jemen – und trägt dazu bei, das Leiden der Zivilbevölkerung zu verlängern. Dabei könnte insbesondere die EU auch handeln.

Wenn die europäischen Regierungen wirklich daran interessiert sind, den Konflikt im Jemen zu beenden, muss es einen Konsens mit der US-Regierung geben, der die Menschenrechtsverletzungen der Huthis verurteilt. Verstöße durch Huthi-Streitkräfte, Stammesverbündete und in Sanaa ansässige Behörden wurden von jemenitischen und internationalen Organisationen ausführlich dokumentiert.

 

Die jüngste Fehleinschätzung eines westlichen Analysten, der zur Normalisierung der Huthi-Präsenz und -Verbrechen beitrug, war die Behauptung, die Huthis hätten den Krieg bereits gewonnen. Eine kurzsichtige Perspektive, die den anhaltenden Widerstand von Jemeniten im ganzen Land und die von Huthi-Elementen begangenen Verbrechen zur Unterdrückung jeglicher Form von Dissens völlig ignoriert.

 

Das Vorgehen der Huthis gegen abweichende Stimmen, diejenigen, die sich ihrem Profitstreben und der Beschlagnahme von Privateigentum widersetzen, die dazu dienen ausgedehnte Patronage-Netzwerke aufrechtzuerhalten, beweisen eindeutig, dass die Huthis weder den Krieg gewonnen haben, noch die Herzen und Köpfe der Bevölkerung. Man muss die internationale Gemeinschaft daran erinnern, dass die Huthi-Streitkräfte zwar etwas mehr als ein Drittel des jemenitischen Territoriums kontrollieren, in dem über zwei Drittel der Bevölkerung des Landes leben, dass sie jedoch in diesem Gebiet auf wachsenden Widerstand stoßen und an mehreren Fronten von gegnerischen Kräften umgeben sind.

 

Die Huthis kontrollieren auch Partnerorganisationen der Zivilgesellschaft

 

In den letzten Wochen haben internationale humanitäre Organisationen erneut den Widerstand gegen die mögliche Wiederaufnahme der Huthis in die Terrorliste der US-Regierung angeführt. Ihr Widerstand basiert auf dem Narrativ, dass die Designation die Bereitstellung lebenswichtiger humanitärer Hilfe für Millionen von Jemeniten im gesamten von den Huthis gehaltenen Gebiet direkt beeinflussen wird.

 

Doch diese Haltung trägt mehr zum Schutz der wirtschaftlichen Profiteure des Krieges bei als tatsächliche Hilfe für hungernde Kinder und Familien zu erleichtern. Die Huthis haben den Import von Nahrungsmitteln und Treibstoffen in den Nordjemen monopolisiert, insbesondere über den Hafen Hodeida am Roten Meer.

 

Diese Kontrolle umfasst die gesamte Lieferkette, zudem fangen die Huthis Nahrungsmittelhilfen und Bargeldsubventionen ab, die an ihr Patronage-Netzwerk oder ihre Streitkräfte auf dem Schlachtfeld weitergeleitet werden. Darunter fallen auch jegliche Unternehmen vor Ort, die vertraglich mit den Vereinten Nationen und internationalen Hilfsorganisationen verbunden sind. Die Huthis kontrollieren über den 2020 geschaffenen »Obersten Rat für die Verwaltung und Koordinierung humanitärer Angelegenheiten und internationaler Zusammenarbeit« (SCMCHA) auch Partnerorganisationen der Zivilgesellschaft.

 

Der Widerstand gegen die abermalige Listung der Huthis auf der US-Terrorliste basiert auf irreführenden Narrativen

 

Der Widerstand gegen die abermalige Listung der Huthis auf der US-Terrorliste basiert nicht nur auf irreführenden Narrativen, sondern spielt auch deren Führern in die Hände. Beamte in Sana'a nutzen öffentliche Äußerungen von UN-Beamten oder Hilfsorganisationen, um ihre Position gegenüber dem UN-Sondergesandten für den Jemen, Hans Grunberg, zu stärken, und auf günstige Bedingungen zu drängen, bevor sie sich auf neue Friedensgespräche mit der international anerkannten Regierung von Präsident Abdo Rabbo Mansur Hadi einlassen. Während diese internationalen Organisationen den Krieg für die Verschärfung der humanitären Krise verantwortlich machen, ignorieren sie ihre Rolle bei der Stärkung der Huthis und verlängern so den Krieg.

 

Fast ein Dutzend Huthi-Führer und -Beamte wurden bereits von den Vereinten Nationen und den USA sanktioniert. Der Hauptgrund, warum viele Beobachter dieses Sanktionsregime als unwirksam und oft kontraproduktiv betrachten, liegt in der Tatsache, dass sich die europäischen Verbündeten Washington noch nicht angeschlossen haben. Und das obwohl weithin bekannt ist, dass die Huthis Geldwäsche betreiben und so Waffenkomponenten erwerben. Zu den bislang effektivsten Maßnahmen zählt die US-amerikanische Sanktionierung eines Finanznetzwerks unter der Führung von Said Al-Jamal, das die Gewinn- und Zahlungsbewegungen der Huthis für geschmuggelte Handelsgüter, Treibstoffe und Waffen lähmte.

 

Im Februar 2021 haben die Vereinten Nationen und die US-Regierung Sultan Zabid, den ehemaligen Direktor der Kriminalpolizei, wegen dessen Rolle bei der Schaffung und Führung der für Inhaftierung und Folter verantwortlichen Fraueneinheiten Al-Zanabiyyat auf die Sanktionsliste gesetzt. Er starb im April 2021 an Covid-19.

 

Insgesamt hat das kaum Auswirkungen auf die fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen der Huthis. Diese umfassen: Inhaftierung hochrangiger Mitglieder anderer Parteien, von Frauen, humanitären Helfern, Journalisten und Aktivisten der Zivilgesellschaft. Außerdem Vergewaltigung, Folter, Hinrichtungen, Rekrutierung und Radikalisierung von Kindern in Sommerlagern und Schulen. Des Weiteren Entführungen, Einsatz von Landminen, Angriffe auf zivile Wohngebiete und Flüchtlingslager sowie die Beschlagnahme humanitärer Hilfslieferungen.

 

Warum Druck auf die Huthis deren Verhalten beeinfluss kann

 

Offensichtlich haben Sanktionen gegen Huthi-Führer weder deren Verhalten beeinflusst (einer der Anführer der Gruppe, Abdul-Malek Badr Al-Din Al-Huthi, ist bereits seit April 2015 mit Sanktionen belegt), noch den Fluss von Hilfsgütern in das von den Huthis gehaltene Gebiet unterbrochen.

 

Obwohl sich die UN entschieden gegen eine erneute Designation der Huthis als ausländische Terrororganisation durch die US-Regierung ausgesprochen hat, beweist ihr eigenes Vorgehen im Jahr 2019, dass Druck auf die Huthis deren Verhalten beeinfluss kann. Im Mai 2019 hielt das Welternährungsprogramm eine Pressekonferenz ab, um die Aussetzung der Hilfe im gesamten von den Huthis gehaltenen Gebiet als Folge der anhaltenden Umlenkung der Hilfe durch die in Sana'a stationierten Streitkräfte anzukündigen. Die Hilfslieferungen wurden im August 2019 wieder aufgenommen. Wenn solche Maßnahmen von UN-Agenturen direkte Auswirkungen auf das Verhalten der Huthi-Behörden haben, wie kommt es dann, dass Sanktionen nicht die gleiche Wirkung entfalten würden, wenn alle Parteien wie 2019 zusammenarbeiten?

 

Die Huthis haben den Krieg nicht gewonnen, und der UN-Sicherheitsrat bekräftigt jährlich das rechtswidrige Vorgehender Huthi-Truppen gegen die international anerkannte Regierung. Am 28. Februar 2022 verlängere das zuständige UN-Komitee das Sanktionsmandat um ein weiteres Jahr. Die europäischen Regierungen müssen sich der Folgen eines weiteren Jahres bewusst machen, in dem die Huthis Bedingungen für Friedensgespräche diktieren und ihren Einfluss auf die Zivilbevölkerung ausweiten.

 

Nur wenn der Druck auf die Huthis erhöht wird und sie für die weitreichenden Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen werden, ergeben sich die Umstände, um den UN-Sonderbeauftragten bei seinen Bemühungen zu unterstützen, umfassende Friedensgespräche wieder aufzunehmen und den Konflikt vor Ort zu deeskalieren.


Fernando Carvajal forscht seit 20 Jahren zu Politik und Stammesbeziehungen im Jemen. Von April 2017 bis März 2019 war er Mitglied des Jemen-Expertengremiums des UN-Sicherheitsrats. Seit 2021 betreibt er den Jemen-Podcast Diwan.

Von: 
Fernando Carvajal

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