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Karzai-Nachfolge in Afghanistan

Wer wird der Anti-Karzai?

Analyse

2014 laufen Hamid Karzais Amtszeit und das Mandat der internationalen Streitkräfte ab. Doch welche Alternativen bieten sich den Afghanen für einen Nachfolger, der sich von Karzai und den Warlords absetzen – und Wahlen gewinnen kann?

Afghanen im In- und Ausland machen sich viele Gedanken darüber, welcher Politiker für ihr Land am geeignetsten sei. In einem sind sich aber alle einig: Einen zweiten Hamid Karzai will niemand. Während seiner Amtszeit hat Karzai vor allem eines gefördert: sein eigenes Familien-Netzwerk. Egal wohin man schaut, viele wichtige Ämter sind mit Karzais Schwagern, Halbbrüdern oder Vettern besetzt.

 

Seien es hohe Mitarbeiter des afghanischen Geheimdienstes, Botschafter oder Stammeschefs, die Familie des Paschtunen mit der Karakulmütze hat überall ihre Finger im Spiel. So ist zum Beispiel Qayum Karzai, einer der Brüder Hamids, der Chef der Restaurantkette der Karzai-Familie in den USA, nebenbei auch einer der wichtigsten Berater des Präsidenten.

 

Der notorisch berühmteste Verwandte war wohl Ahmad Wali Karzai – ein Halbbruder des Präsidenten und einer der größten Drogenbarons des Landes, der bei einem Selbstmordattentat ums Leben kam. Seine politische Macht im Süden Afghanistan war so groß, dass selbst weißbärtige Stammesälteste seine Hand küssten, auch wurden ihm CIA-Kontakte nachgesagt.

 

Arif Noorzai, ein Schwager des ermordeten Ahmad Wali, ist das Stammesoberhaupt des mächtige Noorzai-Clans, abgesehen davon sitzt er natürlich im Parlament. Eine Reihe von Kandidaten wird wohl zu den 2014 anstehenden Wahlen antreten, so wie schon 2009. In Afghanistan kommt die Suche nach einen ehrlichen und aufrechten Präsidenten, den sich viele Afghanen als Gegenmodell zu Karzai wünschen, der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen gleich.

 

Denn nicht nur Karzai, eigentlich die gesamte politische Elite in Regierung und Verwaltung steht im Ruf, in erster Linie in die eigene Tasche zu wirtschaften. Im »Corruption Perceptions Index« von Transparency International aus dem Jahr 2011 teilt sich das Land den 180. und damit vorletzten Platz mit Myanmar. Nur Nordkorea und Somalia schnitten schlechter ab.

 

Doch auch das Wählerverhalten erschwert es alternativen Kandidaten, außerhalb  der oft ethnisch organisierten traditionellen Klientelnetzwerke Unterstützung zu generieren. So empfinden zwar für viele Paschtunen den Präsidenten als korrupt, aber immerhin sei er ein Paschtune. Nichtsdestotrotz gibt es einige Persönlichkeiten, die möglicherweise geeignet wären, 2014 auf dem Wahlzettel zu stehen. Ob sie auch realistische Erfolgsaussichten haben gewählt werden, steht auf einem anderen Zettel.

 

Ein Wirtschaftsfachmann und ein Friedensaktivist haben das Potenzial zum Hoffnungsträger 2014

 

Einer von ihnen ist Ramazan Bashardost. Der 47-jährige Hazara kommt aus der Provinz Ghazni und war einst Planungsminister. Er spricht Dari und Paschto, die Amtssprachen des Landes, und ist einer der schärfsten Korruptionskritiker. Bashardost größtes Plus: Im Gegensatz zu viele andere Politiker Afghanistans hat er kein Blut an den Händen.

 

Während die heute noch mächtigen Warlords Afghanistan in den Bürgerkrieg stürzten, ging Bashardost ins Exil und schloss in Frankreich 1995 seine Ausbildung zum Juristen ab. 2002 schließlich kehrte er nach über 20 Jahren in sein Heimatland zurück. Bashardost will 2014 zum zweiten Mal bei den Präsidentschaftswahlen antreten, 2009 landete er hinter Karzai und Abdullah Abdullah auf dem dritten Platz.

 

In Kabul und anderen Städten konnte er damals auch viele Stimmen von paschtunischen Wählern gewinnen, wenngleich es ein Nicht-Paschtune – egal wie überzeugend sein Programm sein mag – 2014 wie auch schon 2009 schwer haben wird, als Staatsoberhaupt von der paschtunischen bevölkerungsmehrheit überhaupt akzeptiert zu werden.

 

Bei vielen anderen Afghanen genießt Bashardost zwar Respekt, hat aber Probleme, mit seinem idealistischen Programm ernst genommen zu werden. Ramazan Bashardost mag sich deutlich gegen die latente Korruption positionieren, doch selbst im Präsidentenamt wäre sein Handlungsspielraum wohl sehr begrenzt, um seine ehrgeizigen Pläne auch wirklich umzusetzen – zu fundamental ist das System der Korruption in die afghanische Politiklandschaft eingebettet. Idealisten wie Bashardost drohen da einfach verschluckt zu werden.

 

Karzais bisher größter politischer Widersacher hält sich noch bedeckt

 

Ein weiterer Kandidat für das höchste Staatsamt wäre der Paschtune Ashraf Ghani Ahmadzai. Er kam bei den letzten Wahlen hinter Bashardost auf den vierten Platz. Die marode Wirtschaftslandschaft Afghanistans könnte von der Expertise und dem internationalem Renommee des einstigen afghanischen Finanzministers profitieren.

 

Der großgewachsene Ahmadzai machte seinen Doktortitel an der Columbia University und war unter anderem für die Weltbank in Washington D.C. tätig, das Magazin Foreign Policy zählte den Politikwissenschaftler und Anthropologen 2010 zu den hundert bedeutendsten Denkern (»Top 100 Global Thinkers«) weltweit.

 

Zwar hat Ashraf Ghani Ahmadzai wie Bashardost keine kriegerische Vergangenheit als Warlord und gilt als einer der angesehensten Intellektuellen Afghanistan. Offen bleibt, ob er noch einmal zu einer Wahl antreten wird, nachdem er 2009, mit großen Vorschusslorbeeren gestartet, nur 3 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte. 

 

Ein aussichtsreicherer Kandidat wäre Karzais größter Widersacher von 2009: Abdullah Abdullah. Der Sohn eines paschtunischen Vaters aus Kandahar und einer tadschikischen Mutter arbeitete einst als Augenarzt und war ein enger Vertrauter des 2001 getöteten Warlords Ahmad Shah Massoud. Bei den Wahlen 2009 erzwang Karzais früherer Außenminister, der anscheinend bei Tadschiken und Paschtunen beliebt ist, eine Stichwahl – zog sich aber aus Protest gegen die weithin dokumentierten Manipulationen der Wahlkommission zugunsten Karzais in letzter Minute zurück.

 

Die Rückkehr der Nordallianz?

 

Nach den Wahlen gründete Abdullah die »Koalition für Wandel und Hoffnung«, 2011 umbenannt in »Nationale Koalition Afghanistan«. Bei den letzten Parlamentswahlen gewann sie 90 von 249 Sitzen. Noch hat sich Abdullah sich allerdings nicht dazu geäußert, ob er 2014 wieder als Präsidentschaftskandidat antreten würde.

 

Eine weitere Gruppierung bereitet sich schon jetzt auf den Wahlgang 2014 vor. Der usbekische Warlord Abdul Rashid Dostum hat sich mit Ahmad Zia Massoud, dem Bruder des verstorbenen Ahmad Shah Massoud und mit Mohammad Muhaqiq, ebenfalls ein Warlord aus der Minderheit der Hazara, zusammengeschlossen.

 

Zusammen haben sie die so genannte »Nationale Front«, eine Art Wiedergeburt der Nordallianz, gegründet, um gegen den Einfluss der Taliban zu kämpfen. Doch so wie einst der Analphabet Mullah Omar mit seinen Taliban-Jüngern verstehen die Warlords vor allem die Klaviatur des Krieges, nicht des Staatsaufbaus.

 

Die meisten Mitglieder dieser Partei gelten nicht nur als korrupt, sondern haben sich nachweislich zahlreicher Menschenrechtsverbrechen schuldig gemacht. Viele der einstigen Warlords sitzen nun im Parlament und wollen ihre Macht nach dem Truppenabzug der Amerikaner erweitern. 2014 wollen sie einen gemeinsamen Kandidaten aufstellen. Falls Jemand aus ihren Reihen gewählt werden sollte, sieht es düster aus für Afghanistan, denn dann droht dem Land ein neuer Bürgerkrieg.

Von: 
Emran Feroz

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