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Kampf um Al-Qusayr in Syrien

Was passiert in Al-Qusayr?

Analyse

Gewinnt das Regime in Syrien die Oberhand? Fakt ist, dass der Kampf um das Grenzstädtchen Al-Qusayr für Assad strategische Bedeutung hat. Am militärischen Patt und der geografischen Fragmentierung ändert das jedoch wenig.

Seit mehreren Wochen forciert die syrische Armee Operationen gegen Aufständische in den Provinzen Homs, Hama und dem Küstenstreifen um die Hafenstadt Baniyas. Aus vielen Teilen des restlichen Landes hat sich die Armee Baschar al-Assads weitgehend zurückgezogen, die Verteidigung hunderter Dörfer sogenannten Volkskomitees mehrheitlich christlicher und schiitischer Parteianhänger überlassen. Die reguläre Armee konzentriert sich darauf, mit steigender Unterstützung durch die libanesische Hizbullah, strategisch wichtige Städte zu halten oder von der Freien Syrischen Armee zurückzuerobern.

 

Seit Mitte Mai wird die nahe der libanesischen Grenze gelegene Kleinstadt Al-Qusayr aus der Luft bombardiert. Bei Häuserkämpfen und durch Sprengfallen sollen inzwischen mindestens 50 Hizbullah-Milizionäre getötet worden sein, ebenso mehr als 100 Zivilisten. Über die Zahl der getöteten Rebellen gibt es bislang keine verlässlichen Angaben. In der libanesischen Bekaa-Ebene fanden bereits mehrere Begräbnisfeiern für Hizbullah-Angehörige statt.

 

Der Vorsitzende der oppositionellen »Syrischen Nationalen Koalition«, George Sabra, rief Rebellengruppen im ganzen Land auf, die belagerten Kämpfer in Al-Qusayr zu unterstützen. »Ihr, in den Dörfern um Aleppo und nördlich von Homs, beeilt euch, Al-Qusayr zu retten. (...) Sendet eure Waffen- und Munitionsvorräte, um den Widerstand zu stärken.«

 

Der Schlacht um Al-Qusayr könnten weitere Vergeltungstaten folgen

 

Darüber, wie weit die Armee in Al-Qusayr vorrücken konnte, liegen unterschiedliche Angaben vor. Ein Kamerateam des iranischen Auslandssenders PressTV begleitete Soldaten an den Ausläufern des Ortes. Das örtliche Medienzentrum der Aufständischen veröffentlicht auf Youtube noch immer Videos von Opfern und den andauernden Kämpfen, ebenso dem Absturz eines Kampfflugzeugs. Demnach befindet sich das Stadtzentrum noch nicht unter Kontrolle der Assad-Truppen.

 

Gleichzeitig sind die in zahlreichen Videos auftauchenden Rebellen offenbar nicht mit schweres Waffen ausgerüstet – Sturmgewehre, einzelne RPG-7 und »Duschka«-MGs reichen nicht aus, um den Angriff, für den die Armee zahlreiche gepanzerte Fahrzeuge einsetzt, abzuwehren. Einem regimenahen Analyseportal zufolge kreisen Armee und Hizbullah-Kämpfer Al-Qusayr gegenwärtig ein und nehmen die Stadt unter Artilleriebeschuss. In einem Interview mit dem saudi-arabischen Satellitensender Al-Arabiya warnte Colonel Abdel-Hamid Zakaria, einer der Sprecher der Freien Syrischen Armee, davor, dass Rebellengruppen aus Vergeltung für den anstehenden Fall Al-Qusayrs schiitische Dörfer im ganzen Land zerstören würden. »Wir möchten nicht, dass es dazu kommt, doch Dinge können außer Kontrolle geraten.«

 

Bereits jetzt hält die Regierungsoffensive tausende Flüchtlinge davon ab, die Lager in Jordanien sicher zu erreichen, so ein UNHCR-Vertreter gegenüber der Washington Post. Syrische Aktivistengruppen warfen der jordanischen Regierung jedoch ebenfalls vor, Flüchtlinge an den Grenzübergängen bewusst abzuweisen, um vor der heute anstehenden Konferenz der »Freunde Syriens« in Amman politischen Druck aufzubauen. Gegenwärtig nimmt das Königreich mehr als 400.000 Syrer auf, die Kosten dafür belasten den Staatshaushalt enorm. Sämtliche Anschuldigungen wies die Führung des jordanischen Grenzschutzes zurück.

 

Weder der BND noch einzelne, vor Ort recherchierende Journalisten können den Kriegsausgang vorhersagen

 

Auswirkungen hat die Offensive in Al-Qusayr auch auf das Nachbarland Libanon. Der anhaltende Konflikt zwischen der sunnitischen und alawitischen Bevölkerung von Tripolis eskalierte abermals. Bislang starben zehn Personen, Dutzende wurden verletzt. Die libanesische Zeitung The Daily Star berichtet von dem Versuch salafistischer Kämpfer aus Bab al-Tabbaneh das benachbarte Jabal Mohsen-Viertel zu stürmen. Mehrere hundert Milizionäre sollen an der nächtlichen Aktion beteiligt gewesen sein.

 

Mehrere Geschäfte brannten aus, Banken und Schulen der größten Stadt im Norden Libanons bleiben seit drei Tagen geschlossen. Einen militärischen Wendepunkt stellt in der aktuellen Militärkampagne jedoch lediglich die offene Beteiligung der Hizbullah dar. Dass die syrischen Streitkräfte sich in Auflösung befunden hätten, war in den vergangenen zwei Jahren niemals zutreffend. Die über Jahrzehnte hochgerüsteten Arsenale der Armee wurden geöffnet, das Regime konzentriert sich inzwischen weitgehend auf die Provinzen, in denen sie die meisten Anhänger hat.

 

Der Osten und Norden des Landes sind fest in Hand der Aufständischen. Verhindern möchte Assad, dass seine Soldaten, wie zuletzt beim Massaker von Baniyas, im Kerngebiet alawitischer Macht agieren müssen. Die Bedeutung des Waffenschmuggels aus dem Libanon hat seit dem vermehrten Auftauchen kroatischer Panzerabwehrwaffen abgenommen. Diese werden von Saudi-Arabien über die jordanische Grenze nach Deraa gebracht und anschließend im Land verteilt. Selbst Gebietsgewinne in Homs und Hama machen einen Sieg der Regierungsarmee nur wenig wahrscheinlicher. Noch immer kommt es in den Vororten von Damaskus zu heftigen Kämpfen. Das militärische Patt hält an. Wie der Krieg tatsächlich ausgehen wird, vermag aktuell weder der BND, noch ein einzelner, vor Ort recherchierender Journalist zu sagen.

Von: 
Nils Metzger

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