Lesezeit: 12 Minuten
IWF-Kredit für Ägypten

Nichts zu gewinnen

Feature

Ägyptens Devisenreserven schrumpfen stetig, bei Grundgütern wie Gas und Weizen drohen Versorgungsengpässe. Ein IWF-Kredit könnte die Haushaltslage vorübergehend entlasten, würde aber kaum neue Jobs schaffen – und die Ärmsten hart treffen.

Es geschieht meist um die selbe Uhrzeit in diesen Tagen: Wenn sich die Sonne senkt und die Abenddämmerung hereinbricht, fallen die Lichter aus. Eine Straße nach der anderen versinkt im Halbdunkel der Dämmerung. Meist dauert es 45 Minuten oder eine Stunde bis die 20-Millionen-Metropole Kairo wieder flächendeckend Licht hat. In den gasbetriebenen Stromkraftwerken, die für den Großteil der ägyptischen Elektrizität zuständig sind, steht nicht mehr genügend Gas zur Verfügung, um eine durchgehende Stromversorgung zu gewährleisten.

 

Im Alltag lassen nicht nur die regelmäßigen Stromausfälle diese Engpässe bei Gas und Öl spürbar werden. An Tankstellen brechen sich Unmut und Streitigkeiten Bahn, wenn die Zapfsäulen wieder mal leer sind. Und selbst in den wohlhabenderen Stadtteilen fällt die Gasrechnung immer teurer aus.  Grund für die Versorgungsengpässe ist die angespannte finanzielle Lage des Landes, das schlichtweg nicht mehr genügend Gas und Öl einführen kann, um eine vollständige Versorgung aufrechtzuerhalten.

 

Seit dem Sturz Hosni Mubaraks sind die ägyptischen Devisenreserven von circa 30 auf 13 Milliarden US-Dollar gesunken. Importe werden in US-Dollar abgewickelt, doch die Hauptquelle für Devisen, der Tourisums, stagniert auf niedrigem Niveau. Das ägyptische Pfund hingegen verlor seit der Revolution kontinuierlich an Wert und fiel Anfang April auf ein neues Rekordtief.

 

Ägypten kann die Weltmarktpreise nicht mehr bezahlen

 

So ist Ägypten mittlerweile nicht mehr in der Lage, seinen Versorgungsbedarf durch Einkauf zu den geläufigen Weltmarktpreisen zu decken. Nach Einschätzung der Energie-Consulting-Firma Energy Aspects schuldet Ägypten verschiedenen Lieferanten insgesamt noch 6-8 Milliarden US-Dollar für bereits eingeführtes Öl und Gas. Vor den Häfen am Mittelmeer und am Roten Meer stehen dieser Tage die Tanker Schlange – die Ölfirmen warten erst auf die Bezahlung der letzten, bevor sie grünes Licht zum Löschen der neuen Ladung geben.  

 

Um einem Energie-Notstand entgegenzuwirken, verhandelt das ägyptische Ölministerium derzeit über »Vorteilsbedingungen« für den Abschluss neuer Verträge. Verhandlungen mit Irak, Libyen und Katar sind im Gange, aber Ägypten ist dabei kaum in einer komfortablen Verhandlungsposition. Laut der Tageszeitung Al-Masry al-Youm bietet Ägypten einen Abnahmepreis an, der bei einem Drittel des Betrages liegt, für den Katar Gas an asiatische Länder liefert. Die einzigen permanenten Öl-Lieferungen kommen derzeit aus Kuwait – dank eines Vertrags, der kurz vor dem Sturz Hosni Mubaraks geschlossen wurde. Auch dieser gewährt Ägypten bereits einen ungewöhnlich langen Zahlungsaufschub von neun Monaten.

 

»Künstliche Beatmung« aus den Golfstaaten

 

Geld zur Entlastung der fiskalischen Engpässe des Landes fließt bisher aus der Türkei, dem Irak und Katar. Der Golfstaat mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt stellte jüngst noch einmal 5 Milliarden Euro zur Verfügung. »Ägypten hängt an der katarischen Beatmungsmaschine«, zitiert Al-Masry al-Youm einen Mitarbeiter einer internationalen Rohstoffhandelsbörse. »Doch lange kann das nicht mehr so weiter gehen.« Über einen Kredit mit dem IWF über 4,8 Milliarden US-Dollar wird seit nunmehr fast zwei Jahren verhandelt.

 

Zuletzt sollte der Kredit im November 2012 abgeschlossen werden, doch der Termin platzte nach den Unruhen infolge der kontroversen Dekrete Muhammad Mursis. Die Verhandlungen ziehen sich in die Länge, denn der Kredit ist an die beim IWF üblichen fiskalischen Strukturanpassungsmaßnahmen gebunden. Die Verhandlungsführer auf ägyptischer Seite wissen, was das bedeutet: Eine drastische Kürzung der Subventionen, die derzeit in Ägypten 20 Prozent der Staatsausgaben ausmachen.

 

Die Ausgaben für das Militär liegen dagegen bei 12 Prozent, die für den Bildungssektor bei 9 Prozent und jene für das Gesundheitswesen bei 5 Prozent, wie die ägyptische NGO »Budget and Human Rights Observatory« für das Jahr 2011 schätzt. Von den Stromrechungen energieintensiver Industriebetriebe über Gas für den Küchengebrauch bis hin zu Weizen für die Bäckereien gibt es in Ägypten kaum etwas, was nicht bezuschusst wird. Vor allem die Subventionierung von Weizen ist seit Jahrzehnten elementarer Bestandteil der Politik jeder ägyptischen Regierung gewesen.

 

Dies ermöglicht den Bäckereien Brot zum ermäßigten Preis von 5 Piastern pro Stück (umgerechnet weniger als ein Euro-Cent) zu verkaufen – essentiell für die 40 Prozent der Ägypter, die unter der Armutsgrenze leben. Das typische »Baladi«-Brot, runde, dunkel gebackene Fladen, ist in Ägypten Kernbestandteil der meisten Gerichte und für Millionen Menschen die Hauptnahrungsquelle. Stände, an denen für umgerechnet 10 bis 15 Euro-Cent Baladi-Brot mit Ful (Favabohnen), Tameya (Falafel) oder Shakhshouka (Omlette) verkauft wird, finden sich in Ägypten an jeder Straßenecke.

 

Kein Land importiert so viel Weizen wie Ägypten

 

Doch nun droht gerade für die Einfuhr des Grundnahrungsmittels Weizen ein neuer Engpass. Ägypten ist der größte Weizenimporteur der Welt – mehr als die Hälfte des Jahresverbrauchs von 20 Millionen Tonnen muss importiert werden. 9 Millionen Tonnen davon fließen in das staatliche Programm zur Subventionierung von Weizen, um den Brotpreis für die Unterschichten künstlich niedrig zu halten.  Nach Angaben aus dem Landwirtschaftsministerium von Ende März 2013 werden die Einfuhren für das laufende Jahr wegen der Finanzklemme um knapp 10 Prozent zurückgefahren.

 

Das Ministerium ließ verlauten, Ägypten werde stattdessen versuchen, die Eigenproduktion zu vergrößern und durch nachhaltigere Lagermethoden größere Reserven anzulegen. Die aktuellen Weizenreserven reichen laut Landwirtschaftsministerium noch bis Ende Juni 2013. Beim Weizenimport setzen die ägyptischen Verhandlungsführer ähnlich wie bei Öl und Gas angesichts der prekären Finanzlage auf Vorteilsbedingungen seitens der Lieferanten.

 

Der Großteil des Weizens wird aus den USA, Russland, der Ukraine und Frankreich eingeführt. Der für den Import zuständige Minister Bassam Kamal erklärte, er gehe davon aus, dass die Lieferländer angesichts der angespannten Finanzlage Sonderbedingungen gewähren werden –  anderenfalls werde Ägypten sich nicht kooperativ beim Zugang zum ägyptischen Markt erweisen. »Wer Ägypten in dieser schwierigen Phase nicht hilft, kann auch von uns keine Hilfe erwarten. Wir gehen davon aus, dass unsere Freunde in den USA und Europa günstige Bedingungen für den Kauf von Weizen gewährleisten werden.«

 

Abhängigkeit in alle Richtungen

 

Die ohnehin ausgeprägte Abhängigkeit des Landes in fast jederlei Hinsicht erreicht nun ein noch größeres Ausmaß. Zur Deckung seiner Energieversorgung und des Ölverbrauchs ist Ägypten auf die Golfstaaten, den Irak und Libyen angewiesen. Das Grundnahrungsmittel Weizen wird aus den USA, Russland, Frankreich oder der Ukraine eingeführt. Kredite kommen aus Katar, der Türkei und mit großer Wahrscheinlichkeit bald auch vom IWF.

 

Wirtschaftswachstum in einem Maße, das die prekäre Haushaltslage Ägyptens entschärfen und Perspektiven für die 700.000 jungen Menschen, die jährlich auf den Arbeitsmarkt strömen, anbieten könnte, ist hingegen in absehbarer Zeit nicht in Sicht. Nach Schätzungen der ägyptischen NGO »Center for Trade Union and Worker's Services« (CTUWS)  mussten in den zwei Jahren seit der Revolution mindestens 4500 Fabriken ihre Tore schließen, hunderttausende Arbeiter verloren ihren Job.

 

Vor allem die Textilindustrie, die unter Nasser und Sadat als staatlicher Beschäftigungsmotor und Devisenbringer stark subventioniert und während der frühen 1990er Jahre zum Großteil privatisiert worden war, trifft die Pleitewelle hart. Der CTUWS-Vorsitzende Adel Zakariya nennt »Schwierigkeiten der Unternehmen in einem Klima politischer Instabilität von Banken Kredite zu erhalten« als Hauptgrund für die Masse der Insolvenzen. In der aktuellen Lage sei die Schaffung von 700.000 neuen Arbeitsplätzen illusionär, sagt Gewerkschafter Tallal Shokr: »Das einzige, was die Regierung  gegenwärtig tun kann, ist die bereits Beschäftigten mit Arbeitsverträgen auszustatten und diese als neu geschaffene Jobs ausgeben.«

 

»Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit – und Elektrizität«

 

So deutet vieles darauf hin, dass das Land ökonomisch weiterhin auf niedrigen Niveau stagnieren wird, während parallel dazu die Abhängigkeit vom Ausland steigt. Die Frustration über die ausbleibende Verbesserung, die Stromausfälle, die Aussichtslosigkeit auf dem Arbeitsmarkt bestimmen mittlerweile die Gespräche auf der Straße stärker als der politische Machtkampf zwischen den Muslimbrüdern und der Opposition.

 

Auf dem Sender Radio Masr scherzen die Kommentatoren darüber, wie sich die immer noch unerfüllten Ziele der Revolution in den letzten Wochen erweitert haben: »Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit – und Elektrizität«. In diesem Klima könnte sich die an den IWF-Kredit gebundene Subventionskürzung explosiv auswirken. In den Verhandlungen mit dem IWF befindet sich das Land in einer No-Win-Situation.

 

Das Geld wird dringend gebraucht, um die laufenden Haushaltsausgaben finanzieren zu können – doch die Subventionskürzungen werden die Beschäftigungsrate und die Lage für die Unterschichten auf absehbare Zeit eher verschlechtern. In der jüngeren ägyptischen Geschichte gibt es einen Präzedenzfall, den mancher der ägyptischen Verhandlungsführer mit dem IWF noch im Hinterkopf haben mag: 1977 – als Ägypten nur ungefähr die Hälfte der heutigen Bevölkerung hatte – kürzte die damalige Regierung unter Anwar Al-Sadat im Zuge ihres graduellen Privatisierungsprogramms schon einmal die Subventionen für Brot.

 

Am Tage darauf zogen in Kairo, Alexandria und den Industriestädten im Delta Hunderttausende voller Wut auf die politische Führung auf die Straße. Die Brotunruhen von 1977 wurden gewaltsam niedergeschlagen, einige Hundert Menschen starben. Doch die Subventionen auf Brot wurden kurz darauf wieder eingeführt.

Von: 
Martin Hoffmann

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.