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Islamfeindlichkeit im deutschsprachigen Raum

Vaterland in Populistenhand

Feature

Mit »Die Feinde aus dem Morgenland« porträtiert Wolfgang Benz ausführlich und umfassend das Phänomen der Islamfeindlichkeit im deutschsprachigen Raum.

Mehr als zwei Drittel der Deutschen denken beim Stichwort Islam an Fanatismus, nur etwa acht Prozent an Friedfertigkeit. 37 Prozent hielten es für besser, wenn es in der Bundesrepublik keinen Islam gäbe. Diese Daten stammen aus dem Jahr 2010 und sind in Deutschland wesentlich deutlicher ausgeprägt als in anderen europäischen Ländern.

 

In einer Zeit, da uns die Bilder der gestürmten deutschen Botschaft im Sudan und der dazugehörigen brennenden deutschen Flagge erreichen, dürfte die Ablehnung des Islams eher noch größer geworden sein. Auch die Politik tut sich schwer – mal gehört der Islam zu Deutschland, dann wieder nicht, vielleicht auch nur gewisse Teile, oder nur, wenn seine Anhänger die deutsche Ordnung respektieren.

 

Nicht zuletzt sollte man an die zum Teil doch sehr irritierenden Reaktionen auf Sarrazins Buch »Deutschland schafft sich ab« im Jahr 2010 denken. In »Die Feinde aus dem Morgenland – Wie die Angst vor den Muslimen unsere Demokratie gefährdet« hat sich der Historiker Wolfgang Benz dieses Themas angenommen.

 

Auf 220 Seiten legt er dar, wie Stimmungen gegen Minderheiten allgemein sowie gegen den Islam im Besonderen entstehen und welche Akteure diese Stimmungen schüren. Laut Vorwort möchte das Buch »aus der Perspektive der Vorurteilsforschung einen Beitrag zur Debatte über Muslime in unserer Gesellschaft« leisten.

 

Das zentrale Anliegen ist unübersehbar: Bei zahlreichen Gelegenheiten verweist Benz, der noch bis März 2011 das Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin leitete, auf Parallelen zwischen der aktuellen Islamkritik sowie der judenfeindlichen Stimmung im Deutschen Reich nach 1870.

 

Diese Parallele sieht er vor allem im »religiösen Argument: Im 19. Jahrhundert wurden Juden als Feinde stigmatisiert, weil ihre Religion ihnen angeblich gebiete, aggressiv gegenüber Nichtjuden zu sein. (…) In der heute gängigen islamfeindlichen Literatur und im Internet finden sich genau die gleichen Argumente.«

 

Ideologisierung macht die Islamfeindlichkeit heutzutage aus

 

Da allerdings der kulturell-religiöse Vorwurf in einer säkularen Gesellschaft nicht mehr überzeuge, werde der Islam zur politischen Ideologie erklärt. An anderer Stelle erklärt er, dass seit dem 11. September 2001 ein Sprachwandel in Deutschland stattgefunden habe: »Sprach man davor von Türken oder Arabern, so werden seitdem die Migranten über ihre Religion oder den Kulturkreis, aus dem sie kommen, als Muslime bezeichnet.«

 

Diese Argumentation ist schlüssig – wo zuvor nur türkische Einwanderer waren, entstehen so im Handumdrehen pauschal die aggressiven Anhänger einer politischen Ideologie. In der Folge erklärt Benz zunächst anschaulich das Entstehen von Vorurteilen und Stereotypen am Beispiel der Juden sowie der Sinti und Roma in der deutschen Vergangenheit.

 

Diese Vorurteile dienten der Mehrheitsgesellschaft als willkommene Instrumente zur Ausgrenzung der Minderheit und letztlich zur eigenen Stabilisierung. Anschließend bezieht er diese Erkenntnisse auf das aktuelle Phänomen der Islamfeindschaft, denn »das Paradigma des Antisemitismus kann zur Erklärung des Gruppenverhaltens gegenüber Muslimen gute Dienste leisten.

 

Die wütend vorgebrachte Abwehrreaktion, damit setze man Juden und Muslime gleich, marginalisiere den Holocaust und verrate Israel, beweist nur ebenso starke Emotionen wie dahinter zurückstehende intellektuelle Fähigkeiten.« Schwierig daran ist nur, dass manche der von Benz gezogenen Parallelen zwischen Judenhass und Antiislamismus etwas konstruiert wirken.

 

Über ein sehr lesenswertes Kapitel zur Tradition der Islamfeindlichkeit in unserer Gesellschaft kommt Benz zum Kernstück des Buchs: Zur Ideologisierung, welche die Islamfeindlichkeit heutzutage ausmacht. Hierbei führt er mehrere seiner Ansicht nach islamfeindliche Autoren – Udo Ulfkotte, Thilo Sarrazin, Necla Kelek und viele andere – ein und zeigt deren Haltungen, Vorgehensweise und Argumente auf.

 

Die Betrachtung gelingt dabei durchaus differenziert, nicht alle Autoren werden über einen Kamm geschoren. Das große Problem ist aber, dass nicht immer die Relevanz des Besprochenen klar wird. Über knapp neun Seiten beispielsweise zieht er gegen den streitbaren Publizisten Udo Ulfkotte zu Felde, ohne auch nur einmal zu erwähnen, welche Rolle dieser im gesellschaftlichen Diskurs spielt, welche Auflagen dessen Bücher erreichen oder wie er insgesamt rezipiert wird.

 

Tut er dies doch, beispielsweise wenn er an anderer Stelle sagt, dass die Formeln des Orientwissenschaftlers Hans-Peter Raddatz »im Diskurs der Muslimfeinde längst den Charakter dogmatischer Wahrheiten« erreicht hätten, so fehlt für diese Behauptung jeglicher Beleg. Benz zwingt den Leser, ihm zu glauben.

 

Benz'  Recherchen sind ausführlich – an manchen Stellen jedoch zu ausführlich

 

Ähnliches Unbehagen macht sich breit, wenn Benz zwei Zuschriften an das Büro der Ausländerbeauftragten in Bonn aus den 1980er Jahren zitiert, als Beleg dafür, dass Sarrazins Meinung nicht neu sei – dass es in der Bundesrepublik schon immer Menschen gab, die vor einer empfundenen Überfremdung warnten, dürfte allerdings hinlänglich bekannt sein; neu an Sarrazin war ja vor allem das breite Echo, welches dieser mit seinem Buch erzielte.

 

Andererseits gehört es auch zu den Stärken des Buchs, dass der Autor auf die Aufgeklärtheit des Lesers vertraut und sich somit bei Sarrazins Thesen oder einigen der von Benz aufgeführten islamfeindlichen Haltungen innerhalb der Bevölkerung, wie der Assoziation zwischen Islam und islamistischem Terror, nicht mit langen Gegenargumentationen aufhält.

 

So vermeidet er auch das Dilemma, dass es einfacher ist, eine krude Behauptung aufzustellen, als sie zu widerlegen. Auch das Internet, und hierbei insbesondere die Bloggerszene, untersucht Benz auf islamfeindliche Populisten – von denen es erwartungsgemäß viele gibt. Seine Recherchen sind ausführlich, an manchen Stellen jedoch zu ausführlich.

 

So reiht er beispielsweise seitenlang Blog-Kommentare zum Dresdner Gerichtssaalmord von 2009 aneinander, um »Struktur, Stil und Argumentationsbekundungen im Medium Internet« darzustellen. Das ist überflüssig, denn seine Schlussfolgerung lautet: »Manischer Mitteilungsdrang, der sich in ausufernder Polemik, in reflexhaften und gleichförmigen Reaktionen auf verbale Reize Luft verschafft«, charakterisiere die Blogger-Szene. Das ist nun wirklich nicht neu, und schon gar nichts, was das Thema »Islamfeindlichkeit« exklusiv hat.

 

Zu guter Letzt stellt der Autor auch noch die wichtigsten Parteien vor, in denen Islamfeinde heute organisiert sind – die FPÖ in Österreich, die SVP, die maßgeblich für das schweizerische Minarett-Verbot verantwortlich zeichnet, die deutsche NPD. So kann Benz für sich in Anspruch nehmen, umfassend, aber übersichtlich, die verschiedenen Facetten des Problems »Islamfeindlichkeit im deutschsprachigen Raum« aufgearbeitet zu haben.

 

Von gelegentlichen methodischen Schwächen einmal abgesehen ist dies ein informatives, auch für Laien verständliches Buch. Eine wesentliche Aufwertung erfährt es durch zusätzliche Interviews mit Lydia Nofal (Koordinatorin des »Netzwerk gegen Diskriminierung von Muslimen«), Ehrhart Körting (ehemaliger Innensenator Berlin), Bekir Alboğa (Dialogbeauftragter der türkischen Religionsbehörde DITIB) sowie Aiman Mazyek (Vorsitzender Zentralrat der Muslime), worin die Gesprächspartner authentisch und glaubwürdig von ihren jeweiligen Erfahrungen mit der Diskriminierung von Muslimen in der Bundesrepublik berichten.

Von: 
Bodo Straub

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