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Gedenken an die Revolution in Ägypten

Kein Gras wächst über die Revolution

Feature

Mit einem Denkmal versucht Ägyptens Regime, die jüngste Vergangenheit in seinem Sinne umzudeuten. Aber die Bürger spielen nicht mit – zu stark ist die Erinnerung an ein Massaker vor zwei Jahren. Droht in Kairo erneut eine blutige Nacht?

Das kleine Steinpodest hatte ein kurzes, aber bewegtes Leben. Erst am Montag wurde das Denkmal zu Ehren der Märtyrer der Revolution eingeweiht. Schon einen Tag später ist es nur noch eine Ruine. Dabei sollte der Sandsteinsockel in der Mitte des Kairoer Tahrir-Platzes ein Angebot des Vergessens sein: Das aktuelle Militärregime müht sich derzeit tatkräftig, die Schrecken der Regierungszeit des Obersten Militärrats (SCAF) 2011 und 2012 vergessen zu machen.   

 

Das stärkste Symbol für die eineinhalb Jahre währende militärische Gewaltherrschaft ist vermutlich nach wie vor die Schlacht in der Mohammed-Mahmoud-Straße nahe dem Tahrir. Zwischen dem 19. und dem 24. November 2011 wurden dort rund 50 Demonstranten getötet und mehrere tausend verletzt. Die grausamen Bilder von Polizisten, die Demonstranten mit Schrot- und Gummimunition gezielt die Augen wegschossen, haben sich vielen Ägyptern ins Gedächtnis gebrannt.

 

Dass das Denkmal genau einen Tag vor dem Gedenktag an das Massaker von Mohammed Mahmoud eingeweiht wurde, zeigt die Taktik der Militärs um Verteidigungsminister Abdel Fattah El-Sisi. Denn das Denkmal ist – auch wenn es keine hundert Meter von dem Schauplatz der Straßenschlacht entfernt steht – nicht den Toten von Mohammed Mahmoud geweiht. Sondern jenen, die während der Januarrevolution 2011 von Hosni Mubaraks Männern – und jenen, die am 30. Juni 2013 von den Muslimbrüdern getötet wurden. Beide Daten symbolisieren den Schulterschluss zwischen Armee und Volk. Es ist ein Denkmal, das – einen Tag vor dem Gedenken an die Gewalt der letzten Militärregierung – die Volksnähe der Armee unterstreichen soll.

 

Frischer Rollrasen für den mit Blut getränkten Platz

 

Beinahe hat es den Anschein, als wolle die im Sommer eingesetzte Übergangsregierung, die de facto von General El-Sisi gelenkt wird, die gesamte Revolution vergessen machen. Das einst grüne Rondell in der Mitte des Tahrir-Platzes, wo jetzt die Ruine des Denkmals steht, war seit der Revolution von 2011 nur noch ein riesiger Sandkasten in der Mitte eines großen Kreisverkehrs.

 

Weder die auf Mubarak folgende SCAF-Militärregierung unter Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi noch der islamistische Präsident Mohammed Morsi hatten den Wiederaufbau des symbolträchtigen Platzes in Angriff genommen. El-Sisi hingegen begann bereits kurz nach der Machtübernahme Anfang Juli damit, die äußerlichen Schäden der letzten zwei Jahre in der Stadt zu beseitigen. Die von Panzern zerstörten Straßen wurden neu geteert und Bürgersteige wieder gepflastert. Auf dem Rondell in der Mitte des Tahrir-Platzes, dessen Sand sich mit dem Blut der Revolutionäre vollgesogen hat, wurde frischer Rollrasen ausgelegt. 

 

An derselben Stelle – und mit der gleichen Intention – wurde nun auch das Sandsteinpodest errichtet. Doch was ist mit dem Denkmal geschehen?

 

Erst vor wenigen Wochen hatte Premierminister Hazem El Beblawi erklärt, dass das Kabinett den Gouverneur von Kairo mit der Planung eines Denkmals für die »Märtyrer der zwei Revolutionen vom 25. Januar und vom 30. Juni« beauftragt habe. Vielleicht lag es an dieser kurzen Planungszeit, dass das Denkmal bei seiner Eröffnung am vergangenen Montag etwas unfertig wirkte. Auf einem kleinen, runden Sandsteinpodest stand ein knapp mannshoher Sockel mit einer kleinen Marmortafel.

 

Fast hatte man den Eindruck, als fehle auf dem Sockel das eigentliche Denkmal. Denn auch die Tafel erinnert eher an eine Stiftertafel als an eine Gedenktafel: In geschwungenen Lettern stehen dort die Namen der Politiker, die für die Tafel verantwortlich sind. Erst etwas kleiner und ganz unten wird die knappe Formulierung El Beblawis wiederholt.

 

Und tatsächlich dauerte es nicht lange, bis ein junger Mann den leeren Platz auf dem Denkmalsockel ausfüllte. Mit einer Mubarak-Maske auf dem Gesicht stellte er sich auf das Podest, in seiner Hand ein Plakat: »Ich habe euch vermisst, ihr Trottel!«

 

Hier, wo die Armee die Revolution beerdigen wollte, entsteht auf einmal etwas Neues. Die Dichotomie der letzten Monate bricht auf. Die Lagerstimmung, die das Militär in den vergangenen Monaten so sorgfältig aufgebaut hat – die Zuspitzung darauf, dass es nur zwei Optionen gäbe, El-Sisi und das Militär oder Morsi und die Terroristen der Muslimbruderschaft –, sie bröckelt. Auf einmal werden Stimmen laut, die weder die Muslimbrüder noch die Armee wollen. Stimmen werden laut, die sagen, dass Mubarak zurück sei und die Revolutionäre um ihre Revolution betrogen worden seien.

 

Das Denkmal übersteht nicht einen einzigen Tag

 

Schon in der Nacht auf Dienstag wird das Denkmal zerstört. Ist die Erinnerung der Ägypter an die Herrschaft des SCAF wieder in den Köpfen? In der Nachbarstraße Mohammed Mahmoud entstehen über Nacht neue Graffiti. Dabei soll demnächst ein Gesetz verabschiedet werden, nach dem das Malen staatszersetzender Graffiti mit Haftstrafen von bis zu vier Jahren sanktioniert wird. 

 

Eines der Graffiti, die in dieser Nacht entstehen, zeigt einen Polizisten, der berüchtigt geworden ist, weil er Demonstranten gezielt die Augen ausgeschossen hatte. Aktivisten hatten ihn erst vor wenigen Monaten mit Hilfe von Youtube-Videos überführen können. Dass der »Eye Sniper of Cairo« mit gerade einmal drei Jahren Haft davonkam, ist in den Augen der Aktivisten ein Hohn – genauso wie die Rede eines Sprechers des Innenministeriums, der sein Beileid für die Toten von Mohammed Mahmoud ausdrückte. Ausgerechnet das Innenministerium, das für die zahlreichen toten Demonstranten vor zwei Jahren verantwortlich war, betrauert sie nun.

 

Heute – einen Tag nach der Einweihung des Denkmals und keine 18 Stunden nach seiner Zerstörung – steht auf dem zerstörten Sockel ein improvisierter Holzsarg. Eine Erinnerung an die Toten und an die kläglich verendete Revolution.

 

Erst jetzt, wo viele Ägypter sich langsam das Scheitern der Revolution eingestehen, keimt neue Hoffnung. In der Nacht von Montag auf Dienstag wurde auch ein neues Zeichen geboren: eine empor gereckte Hand mit drei Fingern. Weder für El-Sisi noch für die Muslimbrüder. Die Leute mit dem schwarzweißen Symbol auf ihren T-Shirts und Fahnen wollen nur an ihre Toten und an die Revolution erinnern und die Gewalt beenden.

 

Ein Ende der Gewalt ist aber nicht in Sicht. Tränengas weht am Dienstag über den Tahrir-Platz und die Schlachtrufe von Demonstranten hallen durch die ganze Innenstadt. Noch zeigt sich die Staatsgewalt kaum, aber die Demonstranten ahnen, dass ihnen eine blutige Nacht bevorstehen könnte.

Von: 
Benjamin Moscovici

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