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Freie Meinungsäußerung in Ägypten

Dem richtigen Druck gewichen

Feature

Mehr als zwei Wochen war der Transit-Blog des Goethe-Instituts Kairo offline. Nach einer Welle des Protests für freie Meinungsäußerung entschieden sich die Verantwortlichen, den gesamten Inhalt wieder verfügbar zu machen.

»We’re sorry« lautet die Überschrift, die am 14. März einer Meldung auf der Titelseite des Transit-Blogs. Dieser wurde vom Goethe-Institut in Kairo nach den Protesten Anfang des Jahres 2011 ins Leben gerufen und erfreute sich schnell einer großen Leser- und Autorenschaft. Weiter heißt es in der Notiz, dass man es als Fehler ansehe, den gesamten Inhalt des Blogs offline gestellt zu haben. Dies war Ende Februar mit dem Hinweis geschehen, man wolle das Konzept des Blogs überarbeiten und ihn mit neuer Technik versehen.

 

Mit der Reaktion der Autorenschaft und der Öffentlichkeit auf diese Entscheidung hatten die Verantwortlichen, namentlich die Leiterin des Kairener Instituts, Gabriele Becker, und der Leiter der dortigen Kulturabteilung, Günther Hasenkamp, wohl nicht gerechnet. Es hagelte Protestmails an die Institutsleitung, denn es war schnell klar geworden, dass eine Umgestaltung des Blogs nicht seine Abschaltung verlangt. Deshalb wollte Daniel Roters, selbst Autor des Blogs, der hauptsächlich in Arabisch und Deutsch geschrieben ist, schon am 28. Februar in seiner Facebook-Notiz wissen »ob die Nichtverfügbarkeit aller Beiträge mit den aktuellen Entwicklungen um die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Stiftungen und NGOs zusammenhängt«. Diese berechtigte Annahme sollte der Aufhänger für die Hauptstoßrichtung der Protestbekundungen werden.

 

Tatsächlich stellt sich die Frage ob sich deutsche Einrichtungen von dem repressiven Klima, das der ägyptische Militärrat (SCAF) gegen ausländische Institution aufbaut, einschüchtern lassen sollten. Die Verantwortlichen des Goethe-Instituts scheinen dem Druck zwischenzeitlich nachgegeben zu haben. So räumte Gabriele Becker in einem Interview mit dem Deutschlandradio ein, dass das Goethe-Institut in der derzeitigen Lage eine »Gratwanderung« begehen müsse.

 

Sie bezog sich dabei auf die Durchsuchung ausländischer Nichtregierungsorganisationen und die Anklage einer Reihe von Mitarbeitern, wovon auch deutsche Konrad-Adenauer-Stiftung betroffen ist. Becker sagte weiter, dass man zwar nie von der Pressefreiheit abrücken werde, aber es momentan taktisch klüger sei, nicht zu provozieren. Man werde beobachtet. Doch wann hört vertretbare Vorsicht auf und wann fängt Selbstzensur an? Und welches Signal sendet man damit in die Welt?

 

Mitten in der Kundgebung erreichte die Demonstranten die Nachricht, dass der Blog wieder online ist

 

Schon im Januar wurden zwei Artikel von Julia Tieke und von Magdy Samaan von der Leitung des Instituts nicht genehmigt, obwohl die Redaktion des Blogs keine Einwände hatte. Im Einzelnen handeln die Artikel von einem Offizier der ägyptischen Armee und den so genannten »Fulul« – den verblieben Schergen des alten Regimes. Als dies öffentlich wurde, wurde die Entscheidung, den gesamten Inhalt des Blogs offline zu stellen, von der Autorenschaft als Fortsetzung dieser Selbstbeschränkung interpretiert.

 

Der Transit-Blog ist ein stark frequentiertes Forum der freien Meinungsäußerung, das gerade aufgrund seiner Mehrsprachigkeit auch ein Ort des Austausches ist. Die Relevanz eines solchen Blogs ist nicht zu unterschätzen, da die arabischen Medien noch immer unter Einschränkungen leiden.

 

Außerdem ist es ein starkes Zeichen, dass eine deutsche Kultureinrichtung das Rückgrat hat, ein Forum wie den Transit-Blog zu betreiben. Eine Abschaltung unter den besagten Umständen hat fatale Folgen, da sie den Eindruck verstärken, der Westen verfolge eine doppelmoralische Politik, die im Zweifelsfall die Bewahrung seiner ökonomischen und geostrategischen Interessen, Menschenrechten und Demokratie vorziehe.

 

In die gleiche Richtung argumentiert auch Wael Eskander, der in seinem exzellent recherchierten Artikel für die englische Ausgabe der ägyptischen Zeitung Al-Ahram vom 13. März zum Thema berichtete. Er fragte offen, ob ökonomische Interessen wichtig genug seien, damit deutsche Institutionen demokratischen Prinzipien verletzen.

 

Für Kristin Jankowski, Redakteurin des Blogs, war dieser Artikel für die Entscheidung, den Inhalt des Blogs wieder verfügbar zu machen, dann auch am wichtigsten. Er erschien einen Tag vor der Protestkundgebung, die unter dem Titel #OccupyGICairo angekündigt wurde. Mitten in der Kundgebung erreichte die Demonstranten die Nachricht, dass der Blog wieder online ist.

Die Affäre um den Transit-Blog ist richtungsweisend und deshalb wichtig. Damit liegt die Entscheidung, sich durch die Veröffentlichung eines Artikels möglicherweise selbst zu gefährden wieder bei den Autoren. Soviel Selbstbestimmung sollte man der deutschen und arabischen Jugend schon zumuten dürfen.

Von: 
Christoph Sanders

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