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Entsendestopp für Arbeitsmigranten

Ein Ruck durch die Gesellschaft

Analyse

Indonesien verkündet ein Entsendestopp für Arbeitsmigranten ab 2017 und fordert soziale Rechte für seine Bürger im Ausland. Doch ein Fall zeigt, wie schnell die Solidarität der indonesischen Gesellschaft auch umschlagen kann.

Das neue Jahr begann der indonesische Minister für Arbeit und Transmigration, Muhaimin Iskandar, mit großen Worten: Bis zum Jahr 2017 werde Indonesien, so ließ er verlauten, die Entsendung von Arbeitsmigranten ins Ausland einstellen. Bislang suchen jährlich über 600.000 Indonesier ihr temporäres Glück in Singapur, Malaysia, Hongkong, Saudi-Arabien oder den Golfstaaten – und das sind nur die registrierten Arbeitskräfte, über die Anzahl der illegal im Ausland arbeitenden Indonesier gibt es nur Vermutungen.

 

Einen Großteil der Arbeitsmigranten stellen Frauen, die im informellen Sektor als Hausmädchen arbeiten – und sich damit meist in einem rechtlichen Niemandsland wiederfinden. Es hat lange gedauert, doch nun gelten auch der indonesischen Regierung die Bedingungen, unter denen diese Frauen arbeiten, als nicht mehr tragbar. Ein seit Jahren nicht enden wollender Strom von Medienberichten zu immer neuen Fällen von Arbeitskräften, die von ihren malaysischen und nahöstlichen Arbeitgebern keinen Lohn erhalten, zum Teil wie Sklaven gehalten werden, körperlich und seelisch misshandelt, vergewaltigt und in einigen spektakulären Fällen auch ermordet werden, hat die indonesische Öffentlichkeit längst aufgerüttelt und für das Thema sensibilisiert.

 

Ende 2010 hatten Bilder der aufs Schwerste misshandelten Sumiati für Entsetzen gesorgt. Die 23-Jährige wurde von ihrer saudischen Arbeitgeberin und deren Tochter brutal verprügelt, ihre Lippen wurden mit einer Schere weggeschnitten, sie wurde mit einem heißen Bügeleisen malträtiert. Bewusstlos, unterernährt, mit Knochenbrüchen und Wunden am ganzen Körper wurde sie schließlich in ein Krankenhaus eingeliefert.

 

1,2 Millionen indonesische Arbeitskräfte – allein in Saudi-Arabien

 

Anders als Sumiati setzte sich Ruyati binti Satubi zur Wehr. Von ihrer Arbeitgeberin bedrängt und daran gehindert, nach Indonesien zurückzukehren, stach die dreifache Mutter und siebenfache Großmutter schließlich mehrfach auf die Hausherrin ein.

 

Wegen Mordes an ihrer saudischen Arbeitgeberin zum Tode verurteilt, wurde die 54-jährige indonesische Hausangestellte Mitte Juni 2011 in Mekka mit einem Schwert enthauptet. Ein Aufschrei entsetzter Empörung ging durch die indonesische Öffentlichkeit. Die indonesische Regierung beklagte, von saudischer Seite nicht über die Hinrichtung informiert worden zu sein, und zog umgehend ihren Botschafter aus Riad ab.

 

Zudem entschied sich Jakarta, ab Anfang August bis auf weiteres keine weiteren indonesischen Arbeitskräfte nach Saudi-Arabien zu entsenden. Im Königreich leben über 1,2 Millionen indonesische Arbeitskräfte, zumeist Frauen, die als Hausangestellte tätig sind. Die jährlich überwiesenen Milliardenbeträge der Gastarbeiter lassen keinen Zweifel an der wirtschaftlichen Bedeutung von Frauen wie Ruyati für das Schwellenland Indonesien. Doch mit Ruyatis grausigem Ende war Mitte letzten Jahres der vorläufige Tiefpunkt der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Staaten erreicht.

 

Für die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls im saudischen Todestrakt sitzende 22-jährige Darsem binti Dawud Tawar wurde Ruyatis tragisches Schicksal jedoch zum unverhofften Rettungsanker. Die Mutter eines fünfjährigen Sohnes hatte einen psychisch kranken Verwandten ihres Arbeitgebers getötet, als dieser sie vergewaltigen wollte. Die indonesische Regierung erklärte sich bereit, das von der Familie des Opfers geforderte »Blutgeld« von einer halben Million US-Dollar zu zahlen und Darsem »freizukaufen«.

 

In den Medien wurde aus dem Opfer über Nacht ein Sündenbock

 

Das erfuhr die indonesische Öffentlichkeit jedoch zu spät: Denn zuvor hatte bereits der Fernsehkanal TV One medienwirksam das »indonesische Volk« zu Spenden aufgerufen, um Darsem zu retten. 140.000 US-Dollar kamen so zusammen. Das Geld wurde der bereits freigekauften Darsem bei ihrer Rückkehr nach Indonesien übergeben – in der Erwartung, dass sie eine »sinnvolle« Verwendung dafür finden werde. Zum Beispiel, um anderen Opfern zu helfen. Oder der Familie der hingerichteten Ruyati.

 

Darsem, die aus einem ärmlichen Fischerdorf stammt, dachte jedoch erst einmal an sich und ihre Familie. Ein neues Haus, etwas Land für Reisanbau, ein neues Fischerboot für den Vater, eine Nähmaschine, um eine Schneiderei zu eröffnen. Und dem Sohn eine gute Ausbildung ermöglichen. Doch plötzlicher Geldsegen kommt im auf kollektiven Ausgleich bedachten dörflichen Alltag Indonesiens nicht gut an. Schnell sprachen die Nachbarn böse von Darsem als einem »wandelnden Juweliergeschäft«. In den Medien wurde aus dem Opfer so über Nacht ein Sündenbock. Ob sich die indonesische Öffentlichkeit ein zweites Mal so engagiert und spendabel für die Rettung eines Hausmädchens in der Todeszelle einsetzen wird, ist fraglich.

 

Einer im letzten Sommer eigens von der Regierung eingesetzten »Migrant Workers Special Task Force« gelang es bis Ende letzten Jahres, mittels diplomatischer und juristischer Hilfe mehr als 60 im Ausland zum Tode verurteilten indonesischen Arbeitsmigranten die Rückkehr nach Indonesien zu ermöglichen. Erst im Dezember konnte die »Task Force« drei Hausangestellte aus dem saudischen Todestrakt retten, ein viertes dort einsitzendes Hausmädchen wartet weiterhin auf Hilfe.

 

»Arbeitsmigranten haben ein Recht auf geregelte Arbeitszeiten, freie Tage, einen garantierten Mindestlohn und Schutz durch Versicherungen«

 

Angesichts dieser Zustände und der weiterhin ungeklärten Arbeitsbedingungen der Frauen im informellen Sektor sah sich die Regierung nun zum Handeln gezwungen und verkündete das geplante Entsendungsstop für Arbeitsmigranten bis 2017 im Rahmen einer »Roadmap Domestic Worker 2017«. Zunächst sei vorgesehen, ab März dieses Jahres keine Arbeitskräfte mehr ins Nachbarland Malaysia zu senden. Die gegenwärtig geltende Entsendungssperre für die Länder Saudi-Arabien, Jordanien, Syrien und Kuweit bleibe weiterhin bestehen. »Diese Ländern verfügen über keinen rechtlichen Rahmen, der unseren Arbeitskräften einen ausreichenden Rechtsschutz bieten könnte und sicherstellt, dass ihre Rechte gewahrt werden«, so Arbeits- und Transmigrationsminister Muhaimin gegenüber der indonesischen Presse.

 

Muhaimin betonte: »Die Arbeitsmigranten haben ein Recht auf geregelte Arbeitszeiten, freie Tage, einen garantierten Mindestlohn und Schutz durch Versicherungen.« Erst wenn die Wahrung ihrer Grundrechte garantiert sei und für sie die gleichen Bedingungen wie für Beschäftigte im formellen Sektor gelten, könnte die Entsendung von Arbeitskräften wieder aufgenommen werden. Das Tätigkeitsfeld müsse zudem klar definiert sein, so ob eine Einstellung als Köchin, Haushälterin oder Pflegehelferin vorgesehen sei. 

 

Der Minister erklärte, er sei sich bewusst, wie schwer sein Vorhaben zu verwirklichen sein wird – das Land ist auf die Devisen in Milliardenhöhe, die die Arbeitsmigranten jährlich in die Heimat überweisen, dringend angewiesen. Ganz zu schweigen davon, dass der inländische Arbeitsmarkt keinerlei Alternativen für die über vier Millionen derzeit im Ausland arbeitenden Arbeitsmigranten bereithält.

Von: 
Bettina David

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